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Ob Nürnbergerle, Dresdner Stollen oder Frankfurter Kranz: Viele Gerichte heißen nach ihrem Ursprungsort. Doch wie sieht es beim Gaisburger Marsch aus?

Stuttgart - Ob Nürnbergerle, Dresdner Stollen oder Frankfurter Kranz: Viele Gerichte heißen nach ihrem Ursprungsort. Doch wie sieht es beim Gaisburger Marsch aus? Die Suche nach der Antwort auf die Fragen, wie der Eintopf zu seinem Namen kam, hat einem Historiker zwei Jahre Recherche eingebrockt.

Gaisburger Marsch fehlt in keinem schwäbischen Kochbuch. Eine kräftige Fleischbrühe, in der mindestens Spätzle und Kartoffeln schwimmen. Zutaten wie Fleisch, gebratene Zwiebeln oder Schnittlauch sind eine Glaubens- und vor allem eine Geschmacksfrage. "Es gibt so viele Rezepte, wie es Köche gibt", sagt Ulrich Gohl. Der Historiker hat zwei Jahre damit verbracht, der Herkunft des Gerichts auf die Spur zu kommen. Das Ergebnis seiner Recherche füllt noch bis Ende September zwei Ausstellungsräume des Muse-O in Gablenberg.

"Im ältesten Rezept, das ich gefunden habe, kommt gar kein Fleisch vor", sagt Gohl. Die Anleitung für "Kartoffeln in der Fleischbrühe mit Spatzen" steht in "Löffler-Bechtel's großem Illustriertem Kochbuch" aus dem Jahr 1897. Andernorts heißt der Marsch Böckinger Feldgeschrei, Spätzle mit Kartoffelschnitzen - und Verheierte. Letzteres leitet sich wohl von den Grundzutaten Spätzle und Kartoffeln ab, die in der Suppe eine Verbindung eingehen. Doch als Gaisburger Marsch ist der Eintopf auch außerhalb der Landesgrenze bekannt: Bundespräsident Horst Köhler ließ seine Leibspeise bei seinem Amtsantritt servieren.

Was die Entstehungsgeschichte angeht, gibt es fast so viele Thesen wie Rezepte. Sieben hat Gohl ausgegraben. "Im Internet findet man zu 99 Prozent Erklärungen, die von ein und demselben Text abstammen." Die Quelle ist Thaddäus Trolls "Preisend mit viel schönen Reden". Erzählt wird die Geschichte der Offiziersanwärter der Stuttgarter Bergkaserne, die das Privileg genossen, auswärts speisen zu dürfen. Von ihrem Sonderrecht machten sie am liebsten in der Bäckerschmiede Gebrauch, deren Spezialität ein deftiger Eintopf gewesen sei. Um dort zu essen, marschierten sie eigens nach Gaisburg. "Die These ist gut, aber nicht zu belegen", sagt Gohl. Vielmehr gibt es Gründe, die gegen sie sprechen.

So wird der Name des Lokals immer wieder falsch geschrieben. Es schreibt sich ohne "e", da abgeleitet vom Familiennamen Schmid. Um 1910, der vermuteten Entstehungszeit des Eintopfs, war die Bäckerschmide eine Konditorei und Weinstube. Gohl hat ein Notizbuch des Besitzers ausfindig gemacht. Es enthält Backrezepte, aber nicht ein einziges für einen Eintopf.

Die Legende, dass Gaisburger Ehefrauen ihren in Kriegsgefangenschaft geratenen Männern jeden Mittag einen Eintopf im Gefängnis vorbeibrachten, scheitert mangels passenden Kriegs - und mangels passenden Gefangenenlagers. Auch der Gaisburger Schlachthof wird bemüht: Ein Teil ihres Lohns wurde den dort beschäftigten Arbeitern in Fleisch ausbezahlt. Dieses brachten sie angeblich in die Gaststätte Zur Glocke, wo sie ihr Fleisch in einer kräftigen Brühe garen ließen. Da das stets mit Trinkgelagen einherging, soll ihnen die Wirtin regelmäßig den Marsch geblasen haben. "Schöne Theorie, aber nicht zu beweisen", so Gohl.

Ebenso wenig wie die vom Berger Trompeter, der zum Mittagessen blies, was man bis nach Gaisburg gehört haben soll. Oder die von den Daimler-Frauen, die ihren Männern das Essen im Henkelmann brachten und deshalb bis nach Untertürkheim marschierten. Die wahrscheinlichste Entstehungsgeschichte ist zugleich die unrühmlichste. Gohl durchforstete alle Ausgaben der Gaisburger Zeitung von 1901 bis 1933 nach dem Begriff "Gaisburger Marsch". Gefunden hat der Historiker nichts. "In einem Begleitheft zum deutschen Turnfest 1933 gab es einen Artikel über 28 schwäbische Gerichte. Selbst da wurde er nicht erwähnt."

Erstmalig in gedruckter Form findet Gohl den Namen "Gaisburger Marsch" in einem Artikel aus dem Jahre 1933. Darin geht es um den Eintopfsonntag, den die Nationalsozialisten eingeführt hatten. "Am jeweils ersten Sonntag eines Wintermonats durfte man nur Eintopf essen, das gesparte Geld musste dem Winterhilfswerk gespendet werden." Im Oktober 1933 berichtet die Presse, dass in vielen Stuttgarter Gaststätten Gaisburger Marsch serviert worden sei - und findet dies "drollig". "Das ist die wahrscheinlichste These", sagt Gohl. Von da an findet man den Namen auch in Kochbüchern. Erstmalig 1935, hier aber noch als Zusatz zum Gericht Kartoffelschnitz und Spätzle. Inzwischen ist der Eintopf so berühmt, dass er auch ohne erklärenden Zusatz auskommt.