Der Schiedsrichter Sascha Stegemann sitzt in einem Videoassistcenter vor Monitoren. Foto: dpa

In der Theorie ist der Videobeweis keine schlechte Idee. Aber in ihrer jetzigen Form hat die Neuerung in der Bundesliga keine Zukunft, meint Marko Schumacher.

Stuttgart - Reinhard Grindel sah goldene Zeiten auf den Fußball zukommen, als im Sommer die Revolution begann. Der Videobeweis, frohlockte der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), werde „mehr Gerechtigkeit in den Fußball“ bringen und sei „ein Beitrag, die Schiedsrichter zu entlasten und sie vor Fehlentscheidungen zu schützen“.

Keine drei Monate ist von der Aufbruchstimmung nichts übrig geblieben. Im Gegenteil: Reinhard Grindel ist immer öfter damit beschäftigt, Scherben zusammenzukehren – und jetzt muss er auch noch mit ansehen, wie die Gegenrevolution ins Rollen kommt. Immer mehr Fans fordern die Abschaffung des Videobeweises; in dem Gladbacher Dieter Hecking hat an diesem Wochenende auch der erste Bundesliga-Trainer offen von der Rolle rückwärts gesprochen. Was ist bloß schiefgelaufen?

Die Schiedsrichter sind zunehmend verunsichert

In der Theorie ist der Videobeweis keine schlechte Idee. In der Praxis aber tun die Verantwortlichen bislang alles dafür, nicht mehr nur die Traditionalisten, die technische Hilfsmittel von Beginn an strikt abgelehnt haben, gegen sich aufzubringen. Sondern auch jene, die der Neuerung anfangs wohlwollend gegenüberstanden.

Die technischen Probleme am ersten Spieltag mögen (trotz einjähriger Vorbereitungszeit) als Kinderkrankheit zu entschuldigen gewesen sein. Viel schlimmer ist, das seither kein Wochenende vergeht, an dem man in den Stadien nicht die totale Konfusion erleben würde. Die Spieler wissen nicht mehr, ob sie nach einem Tor jubeln dürfen, weil womöglich lange vorher und weit entfernt eine vermeintliche Regelwidrigkeit vorlag. Die Schiedsrichter sind zunehmend verunsichert, auch weil sie sich der ständigen Forderung nach dem Videobeweis ausgesetzt sehen. Und die Fans rätseln, was auf dem Rasen vor sich geht, wenn das Spiel wieder einmal minutenlang ruht. Wie ein Hohn klingt es, dass die Zeitspanne zur Klärung einer Situation vor Saisonbeginn auf zehn bis maximal 40 Sekunden beziffert wurde.

Zu Recht beklagt der VfB einen unberechtigten Platzverweis

Wer soll verstehen, was alles entschieden wird? Zu Recht beklagt der VfB einen unberechtigten Platzverweis in Hamburg, den der Video-Assistent nicht korrigieren durfte. In der Vorwoche profitierten die Stuttgarter gegen Freiburg von einer ebenso unberechtigten Roten Karte, die dem Schiedsrichter eingeflüstert wurde. Ausgleichende Ungerechtigkeit sozusagen.

Der DFB hat mit seiner völlig intransparenten Kurskorrektur tatkräftig dabei mitgewirkt, die Verwirrung noch größer werden zu lassen. Dass Präsident Grindel unter der Woche zu einem Machtwort ausholte und seinen Schiedsrichter-Chef öffentlich an den Pranger stellte, war nur ein weiterer Beleg dafür, dass dem Verband das Thema völlig über den Kopf gewachsen ist. Wer ist hier der Boss? Der Schiedsrichter auf dem Platz? Der Video-Assistent in Köln? Oder gar der Präsident? Und wann genau darf der Videobeweis eigentlich angewendet werden? Keiner weiß es so genau.

Fußball war schöner, als das Spiel nicht ständig unterbrochen wurde

Das Problem ist: anders als bei der Frage, ob ein Ball vor oder hinter der Torlinie war, gibt es bei Elfmetern oder Roten Karten häufig kein eindeutiges Urteil. Das war schon vor dem Videobeweis so, und das hat sich auch jetzt, da sich zwei Experten damit beschäftigen, nicht geändert. Auch die Diskussionen über Schiedsrichter hat es schon immer gegeben – nur waren sie früher nicht so hysterisch wie jetzt, da endgültig klar geworden ist: Vor schweren Fehlentscheidungen und himmelschreiendem Unrecht schützt auch der Videobeweis nicht. Stattdessen macht er alles komplizierter.

In dieser Form, das steht außer Frage, hat der Videobeweis keine Zukunft. Denn man muss kein ewiggestriger Romantiker sein, um zu konstatieren: Der Fußball war schöner, als das Spiel noch nicht permanent unterbrochen wurde und Foul war, wenn der Schiedsrichter gepfiffen hat.