Pünktlich zur Weihnachtszeit lässt die weltgrößte Unterwäsche-Firma „Victoria's Secret“ jedes Jahr Topmodels nur mit Unterwäsche und Flügeln über den Runway laufen.
 Foto: dapd

Pünktlich zur Weihnachtszeit lässt die weltgrößte Unterwäsche-Firma „Victoria's Secret“ jedes Jahr Topmodels nur mit Unterwäsche und Flügeln über den Runway laufen.  

New York - An dem Tag, an dem sich alles um Models in knapper Unterwäsche dreht, tobt über New York ein Schneesturm. Dicke Flocken fallen auf eine dicht gedrängte Schlange von Menschen, die an der Lexington Avenue mitten in Manhattan vor einem Wellblechcontainer stehen. Hunderte Mode-Experten, Blogger und Journalisten haben sich in dicke Jacken, Handschuhe, Schals und Mützen gepackt, um bei der alljährlichen „Victoria's Secret Extravaganza“ - „der nicht zu verpassenden Parade des Jahres“, wie sie das „Wall Street Journal“ einmal nannte - leichtbekleidete Models zu bestaunen.

1995 hat das amerikanische Unterwäsche-Imperium „Victoria's Secret“ das Laufsteg-Spektakel erfunden und mit gigantischem PR-Aufwand zur wohl bekanntesten Lingerie-Modenschau der Welt gemacht. Supermodels wie Heidi Klum, Gisele Bündchen, Tyra Banks, Helena Christensen, Karolína Kurková und Adriana Lima durften schon „Engel“ spielen und - außer BH und Unterhose - nur mit großen Flügeln bekleidet über den Laufsteg spazieren. Dazu traten Stars wie die Spice Girls, Kanye West, Katy Perry oder die Black Eyed Peas auf.

Im Jahr 2007 brachte die Show dem Unternehmen als erste Marke einen Stern auf dem Walk of Fame ein. Das „Victoria's Secret“-Imperium ist vor mehr als 30 Jahren ursprünglich mit Männer-Unterwäsche aufgebaut worden und setzt inzwischen jährlich rund fünf Milliarden Dollar um.

Fast zwölf Millionen Menschen sahen das Spektakel 2011 im US-Fernsehen. Bei der diesjährigen Ausstrahlung der Show sind unter anderem die Topmodels Miranda Kerr und Alessandra Ambrosio dabei. Rihanna, Bruno Mars und Justin Bieber sorgen für die Musikbegleitung. „Die Menschen werden es wie immer aufnehmen und immer und immer wieder anschauen“, schrieb das „Wall Street Journal“. „Und der Pause-Knopf ist dabei besonders praktisch.“

Aber die Show ist nicht live, sondern wird jedes Jahr vor der Ausstrahlung aufgezeichnet - und der einzige Weg dorthin führt durch den Wellblech-Container auf der Lexington Avenue. Ein Wachmann lässt die schneeberieselten Menschen aus der Schlange in kleinen Grüppchen herein. Für die mehr als 1000 Plätze allein für Journalisten habe es zehnmal so viele Anmeldungen gegeben, heißt es im Unterwäsche-Unternehmen. „Die konnten wir bei weitem nicht alle reinlassen.“ Ausdrückliche Knappheit ist bei der Show fester Bestandteil der Firmen-PR.

Seit einigen Jahren wird die Show in einer Armee-Kaserne in Manhattan präsentiert. Innen in der Kathedrale der Unterwäsche ist es düster, die dicken Steinwände sind braungelb und grün gestrichen. „Wir waren auch schon in Cannes oder Los Angeles, aber hier ist das alles einfach sehr praktisch“, erzählt Andrew, der durch das Labyrinth des mehrstöckigen, mehr als 100 Jahre alten Hauses führt.

Soldaten des 69. Regiments der US-Infanterie, die hier stationiert sind, laufen in Uniformen durch die Gänge, Spürhunde schnüffeln das Gepäck jeden Besuchers ab. „Naja, ein bisschen surreal ist es wohl auch“, sagt Andrew. „Und dieses Jahr ist es irgendwie auch ein bisschen unangenehm. Die Soldaten haben nach dem Wirbelsturm Sandy sehr viel mit dem Wiederaufbau zu tun und ich fürchte, wir stören ein bisschen.“

Aus dem Hintergrund der Eingangshalle glänzt es pink und blau. Der Laufsteg ist schon vorbereitet, Licht und Ton werden gerade geprobt, aber die Models sind jetzt um die Mittagszeit noch lange nicht fertig. Ihr Tag beginnt um zehn Uhr morgens. Nach stundenlangem Styling sind sie dann um vier Uhr nachmittags fertig für die erste Show und - nach nochmals stundenlangem Styling - um acht Uhr abends für die zweite.

„Ja, die Show findet zweimal statt“, sagt Andrew, als wäre es das normalste der Welt. „So passen schließlich mehr Zuschauer rein und wir haben mehr Bilder zur Auswahl für die Fernsehshow.“ Ein gigantischer Aufwand, denn das gesammelte Material des Abends ist Grundstein für die gesamte Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens. Videos und Fotos der Show gehen um die ganze Welt und auf Leinwänden in allen Läden der Kette - allein in den USA gibt es davon mehr als 1000 - wird sie das ganze Jahr über immer und immer wieder gezeigt. „Der Tag der Aufzeichnung ist für uns der wichtigste Tag im Jahr.“

Durch dunkle Treppenhäuser und Gänge mit Linoleumboden geht es weiter in eine große Halle und dann sind sie plötzlich alle da: Adriana Lima, Miranda Kerr, Alessandra Ambrosio und Doutzen Kroes - die Stars des Abends - sitzen in rosafarbene Seidenbademäntel gehüllt an lang aufgereihten Tischen mit Spiegeln in einem riesigen Gewimmel aus Friseuren, Stylisten, Kellnern, Kameramännern, Fotografen und Journalisten und machen, wofür sie bezahlt werden: Gut aussehen und lächeln.

Während sie geschminkt und frisiert werden, posieren die jungen Frauen für Fotos und geben Interviews. „Wie bei den 'Oscars'“, sagt Andrew strahlend. Den Blick hinter die Kulissen zuzulassen, ist Teil der Imagepflege und fester Bestandteil der Verträge der „Engel“, die sich auch mal bodenständig geben sollen. Dafür kassieren sie laut Medienberichten angeblich siebenstellige Summen.

„Ach“, winkt das deutsche Topmodel Toni Garrn ab und zeigt auf den Stylisten, der mit einem kleinen Pinsel dunkle Farbe auf ihr Augenlid aufträgt. „Er muss doch mein Make-Up machen. Ich muss mich nicht konzentrieren, ich muss nur ein bisschen reden.“ Zwei Reihen weiter springt gerade ein Model auf den Tisch zwischen Berge von Bürsten, Haarteilen in allen Farben, Nagellack, Puder und Rouge und entblößt die Wäsche unter dem Bademantel. Fotoapparate klicken. Garrn lächelt. „Später auf dem Laufsteg muss ich mich konzentrieren, dass ich nicht umkippe. Meine Flügel sind echt riesig.“

Für die 20-jährige Blondine ist es der zweite Engel-Auftritt. „Es ist eine der wenigen Shows, wo ich wirklich aufgeregt werde, wo ich mich freue, weil es anders ist, aber hauptsächlich wirklich wegen der Performances.“ Wie viel Vorbereitung braucht denn so ein Auftritt in Unterwäsche? „Ich bin sowieso ein Sport-Freak. Ich habe diesmal darauf geachtet, dass ich den Monat vorher in einer Zeitzone bleibe. Dadurch kann ich jeden Tag ins Gym gehen, man isst routinierter und geregelter und ist einfach gesünder mit dem Essen. Sobald ich in einer Zeitzone bin, klappt das eigentlich ganz gut.“

Auf dem Weg raus aus der Halle geht es am Buffet vorbei: Reis, Gemüse, Hühnchen - und ja, auch die Models bedienen sich. Auf den Wasserflaschen steht groß der Unternehmensname. Ein Model knipst sich und ihren Stylisten kichernd mit ihrer Handykamera. Miranda Kerr reißt einem Mann die Filmkamera aus der Hand, richtet sie auf sich selbst und zieht Grimassen. Wieder klicken Fotoapparate.

Vier Stunden - und dann noch einmal acht Stunden - später sind Kerr und ihre Kolleginnen wieder ganz Profi. In Unterwäsche - darunter auch ein juwelenbesetzter BH mit Millionenwert - stolzieren sie vor Stars wie der Moderatorin Alexa Chung und dem Hip-Hop-Musiker Russell Simmons über den Laufsteg und zwinkern den Fotografen zu. Tänzer seilen sich von der Decke ab, Rihanna, Justin Bieber und Bruno Mars singen umgeben von den flanierenden Models je zwei Lieder und am Ende fliegen Luftballons und Konfetti von der Decke. Nach je einer halben Stunde ist das doppelte Unterwäsche-Spektakel - der „wahrgewordene Traum eines jeden Teenagers“, wie die „Newsweek“ schrieb - für dieses Jahr dann auch schon wieder vorbei. Und draußen tobt immer noch der Schneesturm.