Red Bull ist zwar nicht Namens-, aber Geldgeber von Fußball-Zweitligist RB Leipzig – für die meisten Fans etablierter Vereine ist der reiche Aufsteiger ein rotes Tuch Foto: dpa

Alteingesessene Vereine tun sich schwer im Umgang mit aufstrebenden Clubs wie RB Leipzig: Eine Testspielansetzung gegen RB Leipzig hat die Fans des VfB Stuttgart in Wallung versetzt. Was wiederum die Frage nach dem bisweilen irrationalen Traditions­bewusstsein in der Liga aufwirft.

Alteingesessene Vereine tun sich schwer im Umgang mit aufstrebenden Clubs wie RB Leipzig: Eine Testspielansetzung gegen RB Leipzig hat die Fans des VfB Stuttgart in Wallung versetzt. Was wiederum die Frage nach dem bisweilen irrationalen Traditionsbewusstsein in der Liga aufwirft.

Stuttgart/Leipzig - Vorbereitungsspiele schaffen es selbst bei den treuesten Fans kaum ganz oben auf die Agenda. Die bislang angesetzten Partien des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart gegen eine Auswahl aus Schwäbisch Gmünd und beim 1. FC Heidenheim haben die Fans zur Kenntnis genommen. Mehr nicht. Anders verhält es sich bei einem Gegner, der den Anhang nicht nur in Stuttgart, sondern in ganz Fußballdeutschland inzwischen fast mehr bewegt als der FC Bayern: Rasenballsport (RB) Leipzig.

Ursprünglich wollte der VfB am 23. Juli in Dessau gegen den Zweitliga-Aufsteiger testen. Wobei: so genau weiß man das nicht. Die Clubs haben sich zu diesem Thema ein Schweigegelübde auferlegt. Nach allem, was man hört, ging die Initiative von den Roten aus Cannstatt aus, die sich kurz vor dem Pflichtspielauftakt beim VfL Bochum im Pokal gerne mit einem Zweitligisten gemessen hätte. Außerdem hatte VfB-Sportvorstand Jochen Schneider die Zuschauer im Osten im Blick – um sich „dort mal wieder zu präsentieren“.

Als erste Gerüchte über das Testspiel durchs Internet waberten, schnellte der Grad der Empörung in den dunkelroten Bereich. Die Fans fragten sich, ob Schneider und sein Kollege Fredi Bobic noch alle Sinne beisammen hätten. Ein Freundschaftsspiel! Gegen RB Leipzig! Wie kann man nur!

„Die Ansetzung dieses Spiels widerspricht unserer Ansicht nach fundamental jenen Werten, für die der VfB Stuttgart als Fußballverein symbolisch einsteht“, lautete einer der sachlichen Kommentare im Netz, formuliert von den Ultras des „Schwabensturms“. Selbst gemäßigtere Anhänger wie Joachim Schmid von den Rot-Weißen Schwaben Berkheim äußerten sich kritisch: „Wer gegen einen solchen Club ein Testspiel machen will, tritt voll ins Fettnäpfchen. “

Eine Online-Petition brachte es in kürzester Zeit auf 1800 Unterzeichner, darunter sogar von Fans aus Karlsruhe. Schließlich entschloss sich der VfB, die Partie abzusagen – „nach Abwägung aller Argumente“, wie es offiziell heißt.

Und tat es damit anderen Vereinen – unter anderem Schalke – gleich, die mit ähnlich fadenscheinigen Begründungen versuchten, den Kopf aus der Schlinge ihrer Fans zu ziehen. Fakt ist: Die Rasenballsportler sind in der Rangliste der unbeliebtesten Vereine im Eiltempo an die Tabellenspitze gestürmt. RB steht für Red Bull, und Red Bull ist böse, so die Kurzformel. Durch den Aufstieg in die zweite Liga dürfte die Missgunst gegenüber dem vom früheren Stuttgarter Alexander Zorniger trainierten Club noch einmal ein neues Niveau erreicht haben.

Völlig zurecht, sagt Jan-Henrik Gruszecki. Der Dortmunder ist ein in der Wolle gefärbter Anhänger der Borussia, trägt als ehemaliger Sprecher des bundesweiten 12:12-Protests aber auch die Brille all jener Fans, die Tradition großschreiben und Clubs wie Hoffenheim und RB Leipzig für Teufelswerk halten. Mit einer konzertierten Schweigeaktion protestierten Fans 2012 gegen das geplante Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball-Liga. 12 Minuten und 12 Sekunden sollte es an den drei Bundesliga-Spieltagen vor dem 12. Dezember 2012 in den Kurven still sein. Gruszecki findet es nun gut, was die VfB-Fans erreicht haben.

Ohne deren Druck hätte sich der Verein doch „offenbar völlig unreflektiert“ auf eine Begegnung mit dem Emporkömmling aus der österreichischen Brause-Dynastie „herabgelassen“. Damit schade man nicht nur dem eigenen Image als Traditionsverein, als den Gruszecki den VfB zweifellos einstuft. Man hofiere außerdem ohne Not ein „Marketing-Produkt“ namens RB.

Im Übrigen sei der mit den Millionen des Dosen-Milliardärs Dietrich Mateschitz angefütterte Club aus dem Osten kein Thema allein der Ultras. Auch der typische Haupttribünenbesucher strafe den Aufsteiger mit Ablehnung, fasst Gruszecki seine Erfahrungen aus den Bundesligastadien zusammen. Oder vielmehr: Er fürchtet sich vor ihm. Warum? „Weil Red Bull die Spirale der Kommerzialisierung in einem bislang ungeahnten Tempo vorantreibt. Und die Leute daraus ableiten, dass ihr Verein sich immer mehr strecken muss, um mitzuhalten und die Dauerkarte immer teurer wird.“

Dass RB in Liga zwei der eine oder andere Spießrutenlauf bevorstehen könnte, fürchtet man offenbar auch bei der Deutschen Fußball-Liga. Offiziell äußern will sich niemand. Auch bei Red Bull herrscht Schweigen – in der Firmenzentrale in Fuschl am See genauso wie beim kickenden Ableger in Leipzig. Was die Antwort auf die spannende Frage offenlässt, ob Mateschitz nicht irgendwann die Lust am Fußball verlieren könnte. Schließlich basiert die Marketingstrategie seines Konzerns auf Action, Abenteuer und Lebensfreude und nicht auf Hass und Großkapitalismus, was man nun mit RB Leipzig in Verbindung bringt.

Zurück nach Stuttgart. Der VfB hat das Testspiel abgesagt – das Problem ist damit aber keineswegs vom Tisch. Die Anhänger haben ein feines Gespür für das Innenleben ihres Vereins. Ihr Vorwurf: Sportvorstand Schneider, Angestellter und Fan zugleich, der gern die Tradition des e.V. von 1893 nach außen kehrt, hätte niemals über das Stöckchen aus Leipzig springen dürfen – zumal nach der missratenen letzten Saison.

Das vermehrte „Gegen-den-modernen-Fußball“-Gezeter inmitten des sonoren Grund-Grummelns rund um den Cannstatter Wasen ist nicht mehr zu überhören. Man muss es Clubs wie RB eben so schwer wie möglich machen, heißt es. Doch was nutzt das dem eigenen Fan-Dasein? Und vor allem: Wie ist der bisweilen irrationale Hang zum Traditionalismus bei einem Verein wie dem VfB Stuttgart überhaupt zu erklären?

Schließlich hat sich noch keiner über die neue, moderne Arena mit der prächtigen Stehplatztribüne beschwert. Spielfeld-Blick vom Pissoir inbegriffen. „Alle Vereine haben Sponsoren, weil sie sonst die teuren Spieler und die Stadien nicht bezahlen können“, sagt Nils Havemann. „Und bei all diesen Profivereinen lassen sich auch Sponsoren finden, die aus irgendwelchen wirtschaftsethischen Gründen kritisiert werden könnten.“Der Sporthistoriker von der Uni Stuttgart vertritt eine klare Meinung: „Wenn die Logik um sich greifen würde, die nun im Fall Red Bull angewandt wird, müsste nicht nur die Bundesliga ihren Spielbetrieb einstellen, dann gäbe es auch weltweit bald keinen Spitzenfußball mehr.“

Havemann kann das Unbehagen der Fans verstehen. Er warnt aber davor, dass Stillstand in der Realität des Profisports meist Rückschritt bedeutet. Wolfsburg, Hoffenheim oder Leipzig sind für ihn „der Stachel in der Entwicklung des Fußballs“. Die Traditionsvereine sollten sich vielmehr fragen, „warum vermeintliche Retortenclubs plötzlich besser als sie geworden sind“.

Nun lässt sich einwenden, dass in Leipzig in erster Linie Fußball gespielt wird, um mehr von den blau-silbernen Dosen mit dem roten Bullen zu verkaufen. Und es sich in Stuttgart mit Mercedes ein wenig anders verhält. Die Fans sind schnell bei der Hand, den eigenen als Traditionsverein zu glorifizieren. Wie sich Tradition überhaupt definieren lässt, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Messbare Faktoren sind sicherlich das Gründungsdatum und die Erfolge. Auch berühmte Spieler und sportliche Sternstunden spielen eine Rolle.

Havemann, der sich in dem Buch „Samstags um halb 4“ der Bundesliga historisch genähert hat, findet für Traditionalisten einige erschütternde Gegenbeweise: 1899 Hoffenheim ist zum Beispiel ein halbes Jahrhundert älter als der 1. FC Köln, der erst aus einer Fusion hervorgegangen ist. Der VfL Wolfsburg, der immerhin schon mal Meister war, dürfte demnach eher als Traditionsverein bezeichnet werden als Hertha und Schalke, die noch nie die Schale in die Höhe reckten. Der VfB Stuttgart ist für Havemann zweifellos ein Traditionsverein. „Aber wenn man sportliche Erfolge zum Maßstab nimmt, sollte er sich nicht mehr allzu viele schlechte Spielzeiten erlauben. Erfolgreichere Vereine könnten ihm sonst schnell diese Bezeichnung absprechen.“

RB Leipzig zum Beispiel. Nasser al-Khalifa, milliardenschwerer Präsident des Neureichen-Clubs Paris St. Germain, soll dem Vernehmen nach keine Fanversammlung einberufen haben, als die Leipziger ihn ebenfalls wegen eines Testspiels anfragten. Er sagte zu.