Weil der Mensch alles für bewährt hält, was ihm das Leben bequem macht, schätzt er Veränderungen naturgemäß wenig. Das macht die fällige Modernisierung beim VfB Stuttgart nicht leichter. Was hilft’s? Der Bundesligist ist in die Jahre gekommen.
Weil der Mensch alles für bewährt hält, was ihm das Leben bequem macht, schätzt er Veränderungen naturgemäß wenig. Das macht die fällige Modernisierung beim VfB Stuttgart nicht leichter. Was hilft’s? Der Bundesligist ist in die Jahre gekommen.
Stuttgart - Wenn Armin Veh am Montag in Stuttgart vor die Presse tritt, dann wird er mutmaßlich eine Taktik wählen, die er schon während seiner ersten Runde als VfB-Trainer (2006 bis 2008) für besonders geeignet hielt: Ehr und Preis dem Verein. Aber Pech und Schwefel auf alle, die ihre Erwartungen nicht zu zügeln vermögen. „Man muss eben“, sagte der Trainer einst, „auch mal mit einem siebten Platz zufrieden sein.“
Anzunehmen ist eher, dass die Veh’sche Strategie des fundamentalen Realismus in Reihen der weiß-roten Glaubensgemeinschaft auf Sicht ebenso wenig verfängt wie die Jammer-Orgie seines Vorvorvorgängers Bruno Labbadia. Der flüchtete sich mit Blick auf die hochfliegenden Visionen des neuen Präsidenten Bernd Wahler in ätzenden Zynismus, verlor darüber das Zutrauen der Mannschaft und legte so den Grundstein für seine Demontage. „Man könnte meinen, wir hätten Messi und Neymar verpflichtet“, sagte Labbadia. Jetzt kommt nicht José Mourinho, aber Armin Veh.
Fans zweifeln eher am Personal denn an Sponsoren
Es ist ja auch nicht einfach, die auf alle und alles passende sportliche Zielvereinbarung zu finden, wenn die Parkplätze am Stadion vor jedem Heimspiel so wirken, als hielten dort Mercedes und Porsche die neuesten Modelle zur Auslieferung an betuchte Kunden bereit. Zwar betonen die Chef-Piloten auf dem Cannstatter Wasen bei jeder Gelegenheit, dass der Wohlstand dieser Region noch nicht beim VfB Stuttgart angekommen ist, doch das liegt nach Meinung der Fans eher an der Unfähigkeit der handelnden Personen als an der Knausrigkeit hiesiger Unternehmen. So ganz von der Hand zu weisen ist dieser Verdacht freilich nicht.
Die Patrone der regionalen Wirtschaft, so ist seit dem Fast-Abstieg am Ende der vergangenen Saison zu hören, wären durchaus bereit, tiefer in die Kasse zu greifen. Teile des Führungspersonals, Konzepte, Strategien und die sportlichen Darbietungen beim Verein für Bewegungsspiele 1893 taugten in deren Augen in der Vergangenheit aber nur bedingt zum positiven Imagetransfer. Der VfB Stuttgart musste sich seit 2011 eben nicht nur zweimal gegen den Abstieg stemmen, er ist auch sonst ein wenig in die Jahre gekommen. Jetzt versucht der neue Präsident Bernd Wahler mit mikroinvasiven Eingriffen einen Organismus wieder flottzumachen, der streng genommen den Erfordernissen der hochkommerzialisierten und -professionalisierten Branche nicht mehr standhält. Anders ausgedrückt: Der VfB zählt nicht mehr zu den ersten Adressen der Liga.
Dass, Joselu, Vehs Wunschkandidat für die Offensive, lieber bei Hannover 96 unterschrieb, gilt als unmittelbare Folge der schleichenden Erosion. Im Gegenzug blieb der VfB wenig überraschend auf seinem Fehleinkauf aus Niedersachsen sitzen: Mohammed Abdellaoue. Den in Stuttgart geborenen Stürmer Joselu überzeugten offenbar Spielphilosophie und sportliche Perspektive in Hannover mehr als vergleichbare Parameter beim VfB. Wie immer spielte natürlich auch das Einkommen eine nicht unwesentliche Rolle. Fredi Bobic dagegen meldet bisher als Neuzugänge Florian Klein (RB Salzburg), Adam Hlousek und Daniel Ginczek (beide vom Absteiger aus Nürnberg). Begeisterungsstürme unter den Fans löste er damit nicht aus. Bobic bittet um Geduld. Nach der Fußball-WM soll nachgebessert werden.
Causa um Joselu weiteres Signal eines Niedergangs?
Die Kritiker der aktuellen VfB-Führung werten die Causa um Joselu nichtsdestotrotz als weiteres Signal eines Niedergangs und fordern rasche Veränderungen bei Personal und Struktur. Diskutiert wird deshalb die Ausgründung der Lizenzspielerabteilung – zum Beispiel in eine Aktiengesellschaft. Der Zeitpunkt dafür könnte jedoch nicht ungünstiger sein. Wer kauft schon gern Anteile, wenn die aktuelle Unternehmens-Story so spannend ist wie die Gebrauchsanweisung für eine Heckenschere? Auf höchstens 400 Millionen Euro taxieren Experten derzeit den Wert des Vereins. Würden 20 Prozent veräußert, flössen einmalig 80 Millionen Euro in die Kasse. Das klingt vielversprechend, macht den VfB aber nicht automatisch zu einem Spitzenverein. Allein in den Jahren nach der Meisterschaft 2007 verbrannten die roten Häuptlinge schätzungsweise 100 Millionen Euro.
Weil ein Verein weit mehr als ein Unternehmen auch von internen Stimmungen und von der Gunst der öffentlichen Meinung lebt, mag Bernd Wahler die neuen Türen aber nicht mit dem Stemmeisen öffnen. Er bevorzugt die Reform auf Schwäbisch. Das kann dauern. Und soll nach Möglichkeit nichts kosten. Zuletzt putzte er auf seiner Ochsentour die Klinken mittelständischer Unternehmen aus der Region. Er entwickelte eine veränderte Konzeption zur Markenentwicklung und -pflege, die Kenner als überzeugend bezeichnen. Und er initiierte den einen oder anderen Wechsel an wichtigen Schnittstellen. Ex-VfB- und DFB-Coach Rainer Adrion soll die eigenen Talente wieder in die raue Welt der Profis führen. Ehren-Kapitän Guido Buchwald wird künftig ein Platz im bisher eher bedeutungslosen Ehrenrat eingeräumt. Dessen Vorsitz soll die VfB-Legende Hermann Ohlicher übernehmen.
Für die Neubesetzung des Aufsichtsrats hat Ehrenpräsident Erwin Staudt ein ganzes Paket mit Personalvorschlägen vorgelegt – darunter EU-Kommissar Günther Oettinger. Auch der amtierende Vorsitzende Joachim Schmidt denkt dem Vernehmen nach an Wandel. Statt sechs könnten künftig acht Kontrolleure dem Vorstand auf die Finger schauen. Der frühere Mercedes-Manager Schmidt will Vorsitzender bleiben. Und weil er dafür gute Argumente braucht, zieht er nach Recherchen unserer Zeitung schon in den nächsten Tagen ein Ass aus dem Ärmel.
Ob Hansi Müller im Team bleibt, ist nicht sicher
Wilfried Porth, das für Personal zuständige Vorstandsmitglied der Daimler AG, soll ihm zur Seite stehen. Eduardo Garcia, der gern mal eine andere Meinung als die Präsiden vertritt, denkt indes an Verlängerung. Dass Ex-Profi Hansi Müller im Team bleibt, ist dagegen alles andere als sicher. Teile der Fans schätzen den Beau aus dem Remstal so sehr wie den Löwenzahn im Rasen. Neu ins Wächtergremium aufrücken sollen auch Hartmut Jenner, Geschäftsführer des Top-Sponsors Kärcher, und Martin Schäfer, Vertriebschef bei der Würth GmbH & Co. KG. Beide haben angeblich drängende Fragen an Fredi Bobic. Außerdem noch im Rennen: Joachim Schmid, Vorsitzender des größten VfB-Fanclubs, Rot-Weiße Schwaben Berkheim.
Um dem ständigen Vorhalt mangelnder Sportkompetenz im Vorstand zu begegnen, denken die VfB-Granden offenbar über einen prominent besetzten Sportbeirat nach. Als Mitglieder des Gremiums werden die üblichen Verdächtigen gehandelt: Thomas Berthold, Andy Buck, Jens Lehmann, Karl Allgöwer. Die Freude über die externen Berater dürfte sich vor allem bei Fredi Bobic in engen Grenzen halten. Sein zeitweiliger Alleinvertretungsanspruch in Vereinsangelegenheiten wird wohl ein Ende finden. Nach der vermasselten Saison wurde intern bereits darüber diskutiert, ihm als Sportdirektor einen Teammanager mit weitreichenden Kompetenzen zur Seite zu stellen. Da nimmt es kein Wunder, dass der Vielgescholtene neuerdings verspricht, „wieder näher an die Mannschaft zu rücken“. Er weiß: Es wird bei der Mitgliederversammlung am 28. Juli viel zu bereden geben.
Dem selbstbewussten Armin Veh wird es ohnehin gleich sein, wer unter ihm sein Chef ist. Seinen ersten Auftritt an alter Wirkungsstätte bestreitet der neue Trainer ohne den Begleitschutz des Managers. Fredi Bobic macht ab Montag Urlaub in den USA – „im ständigen Kontakt mit dem Trainer“.