Daniel Ginczek traut dem neuen VfB-Stil noch nicht richtig und setzt auf entscheidende Fortschritte im Trainingslager in St. Gallen Foto: Pressefoto Baumann

Wilde Zeiten hat Trainer Alexander Zorniger für das Spiel des VfB Stuttgart angekündigt, und wilde Zeiten erleben seine Spieler zurzeit im Training. Manch einem fehlen noch Sicherheit und das nötige Zutrauen für den Ernstfall. Daniel Ginczek etwa.

Stuttgart - Unruhige Zeiten sind für einen Fußballprofi nichts Ungewöhnliches. Mal fehlt die Fitness, mal fehlt die Form, mal fehlen die Punkte – und wenn es ganz dumm läuft, fehlt auch der Stammplatz. Dann wird nachgebessert, bis alles gut ist – oder bis das nächste Unheil um die Ecke biegt. So gesehen darf sich Daniel Ginczek wie ein König fühlen. Er hat im Finale der vergangenen Saison mit dem VfB den Klassenverbleib geschafft, er hat sich dabei als Topstürmer ordentlich Renommee verschafft, er ist gefragt, beliebt – doch was zu viel ist, ist zu viel.

Denn rings um Daniel Ginczek (24) herrscht zurzeit mehr Unruhe, als ihm lieb ist, beruflich wie privat. Töchterchen Lou Carlotta hat gerade das Laufen erlernt und hält Mama Wiebke und Papa Daniel ordentlich auf Trab. „Da muss man ständig auf der Hut sein“, sagt Ginczek. Was noch mehr in seinem Metier als Fußballprofi gilt.

Qualen, viel Schweiß und noch mehr Überwindung

Normalerweise bricht nicht der Frohsinn aus, wenn eine Mannschaft ins Trainingslager reist. Denn das bedeutet Qualen, viel Schweiß und noch mehr Überwindung. Beim VfB ist es an diesem Sonntag so weit, doch Ginczek sagt vor dem Trip nach Sankt Gallen: „Jede Vorbereitung geht über den inneren Schweinehund, das muss so sein. Vergangene Saison haben wir am Ende noch zugelegt, da zahlen sich dann die Grundlagen aus.“ Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum sich Ginczek auf den einwöchigen Aufenthalt in der Schweiz freut – Berge. Berge von Arbeit, die vor der Mannschaft liegen.

„Wir brauchen die nächsten drei Wochen bis zum Saisonstart noch ganz dringend“, mahnt er und freut sich auf den Intensivkurs in Sankt. Gallen. Weil das neue Spielsystem mit permanentem Pressing, Balleroberung und schnellem Umschaltspiel, das Trainer Alexander Zorniger der Mannschaft einbläut, herrlich anzuschauen ist, wenn es funktioniert. Wenn nicht, dann tritt das ein, was Daniel Ginczek so formuliert: „Ab und zu bricht bei uns im Training Hektik aus. Dann verlieren wir ein bisschen die Ruhe.“ Und die Ordnung. Im Training ist das ja nicht weiter schlimm. Aber Bayern München oder die Borussen aus Dortmund und Mönchengladbach nutzen das im Ernstfall richtig unverschämt aus.

„Ich bin sicher, das ist eine Spielweise, die den Gegner nervt“, sagt Christian Gentner, „das geht auch gegen Dortmund oder den FC Bayern.“ Wenn sie denn mal sitzt. Wobei Daniel Ginczek dem Kapitän da gar nicht groß widersprechen will – im Prinzip. „Wenn das funktioniert, und du hast 60 000 Fans im Rücken, dann kann das richtig mitreißen.“ Doch so weit ist der VfB noch nicht. Weshalb das anstehende Trainingslager so immens wichtig ist.

"Man kann nicht alles auf einen Zettel schreiben"

„Es gibt viele Neuerungen, wir haben viele Sitzungen, die Umstellung ist schon groß“, findet Daniel Ginczek, „aber man kann nicht alles auf einen Zettel schreiben, und dann hält sich jeder an die Vorgaben.“ Um die neuen Abläufe einzustudieren, benötigt der VfB vor allem Zeit. Die ist im Profigeschäft bekanntlich eng begrenzt. Am 8. August steht schon das DFB-Pokalspiel bei Holstein Kiel an, am 16. August ist der Ligastart gegen den 1. FC Köln. Dann sollten die VfB-Profis den neuen Stil abrufen können, zu dem ja noch zwei Besonderheiten gehören.

Statt einem Stürmer will Zorniger künftig zwei Angreifer einsetzen, was Daniel Ginczek zugutekommt: „Ich bin ja nicht der Langsamste, ich gehe ja öfter den tiefen Weg in die Räume. Und ich habe früher auch schon mit einem Sturmpartner gespielt.“ Zweites Merkmal: Die Position von Filip Kostic gibt es bei Zorniger nicht mehr. Dabei waren die Läufe des Serben an der linken Außenlinie und seine präzisen Flanken eine echte Waffe, die den VfB vergangene Saison vor dem Abstieg bewahrt hat. Das gibt Zorniger nun auf und zwingt Kostic auf den Weg in und durch die Mitte des Platzes, immer direkt aufs gegnerische Tor zu. Begründung: Laut Zorniger ist die Außenlinie sein Feind, weil sie Kostic einschränkt und er nicht nach links ausweichen kann. „Wir werden mithelfen, damit Filip zurechtkommt“, sagt Ginczek.

Schließlich ist nicht nur der VfB abhängig vom Erfolg des neuen Systems, auch Ginczeks Perspektive ist davon betroffen. Denn der ehemalige Nürnberger hat Feuer gefangen. Seine starken Auftritte mit sieben Treffern in den letzten neun Spielen der vergangenen Saison und der Rücktritt von Miroslav Klose aus der Nationalmannschaft lassen ihn von einer Berufung ins Team des Weltmeisters träumen. „Nach meinem Kreuzbandriss war es für mich ein schwieriger Weg bis zum Finale der vergangenen Saison“, sagt er. Er hat ihn gemeistert, was ihm Mut macht für den auch nicht einfachen Weg in die Nationalmannschaft. „Ich muss im neuen System beim VfB Leistung bringen, das ist die Voraussetzung“, sagt Daniel Ginczek.

Aber erst mal muss das System funktionieren. Nach Sankt Gallen sind sie alle schlauer – Ginczek und die ganze Mannschaft.