In der Kritik: VfB-Torhüter Sven Ulreich Foto: Bongarts

Es läuft nicht beim VfB Stuttgart. Armin Veh hat genug zugesehen, jetzt nimmt der Trainer sein Führungspersonal in die Pflicht. Christian Gentner, Vedad Ibisevic und Sven Ulreich. Der Torhüter rechtfertigt seine Interpretation seiner Rolle – und hat dafür triftige Gründe.

Stuttgart - Ein Torhüter muss Bälle abwehren, Sven Ulreich muss mehr. Der Schlussmann des VfB Stuttgart muss auch die Kritiker abwehren. Und zwar häufiger, so scheint es, als seine Bundesliga-Kollegen.

Wer sich in Fankreisen umhört, erhält den Eindruck: Ulreich (26) ist an allem schuld, vor allem an der Dauermisere des VfB. Beim 0:2 gegen Bayern München etwa glänzte er am Samstag mit Klasseparaden gegen Mario Götze und Thomas Müller. Dass der VfB dennoch verlor, hatte für einige Nörgler nur einen Grund: Sven Ulreich. Sie kreiden ihm Fehler bei beiden Gegentoren an.

Subjektiv lässt sich das nicht nachvollziehen. Genauso wenig wie viele der Vorwürfe, die es nach so gut wie jedem Spiel gegen ihn hagelt. Ulreich kann tun und lassen, was er will – der Tenor ist immer der gleiche: Ulreich ist schlecht, alle anderen sind besser. Was Ulreich naturgemäß anders sieht. „Ich weiß, was ich kann“, sagt er, „ich habe in den vergangenen Jahren einen Riesenschritt in meiner Entwicklung gemacht.“ Die Noten-Statistik unserer Zeitung stützt das: Seit drei Jahren ist Ulreich jeweils der Spieler des Jahres. Auch Fachzeitschriften führen ihn konstant unter den Top-Torhütern.

Sven Ulreich stellt sich der Kritik von Trainer Veh

Zu Recht, wie Armin Veh unterstreicht. „Ulle ist ein wesentlich besserer Torhüter geworden, seit ich 2008 vom VfB weg bin“, konstatiert der Trainer seiner Nummer eins, „er ist gewachsen und reifer geworden, als Mensch und in seinem Torwart-Spiel.“ Allerdings sagt Veh auch: „Sven muss lernen, ein Spiel besser zu lesen. Er muss besser Fußball spielen, das Spiel schneller eröffnen. Das wird immer wichtiger.“

Armin Veh hat bei diesen Worten vor allem Manuel Neuer vor Augen, der das Torwart-Spiel bei der WM neu interpretiert hat. Der Münchner hat als Torwart-Libero weltweit Maßstäbe gesetzt. Insofern könnte sich Ulreich geadelt fühlen, wenn da nicht unterschwellig Zweifel mitschwingen würden. Denn Veh sagt: „Er muss das hinbekommen. Ich hoffe, dass er es hinbekommt. Ich traue es ihm zu.“ Richtig überzeugt klingt das nicht.

Sven Ulreich stellt sich der Kritik: „Klar nehme ich das an, was der Trainer sagt.“ Ein anderer Ulreich wird demnächst aber nicht im VfB-Tor stehen. „Ich werde meinen Weg weitergehen und nicht Harakiri spielen und unnötig Risiken eingehen“, sagt er. Torwarttrainer Andreas Menger bestätigt ihn: „Das Wichtigste ist immer noch, dass der Ball nicht ins Tor geht. Das ist wichtiger als die Frage, ob ich meinem Mitspieler den Ball über 50 Meter auf die Brust spielen kann.“

Ulreich hat ein Problem mit der Anspielstation

Genau das kann Sven Ulreich nicht, was am wenigsten seine Schuld ist. „Ich gebe immer mein Bestes. Aber man muss auch Anspielstationen haben“, sagt er. Die muss er beim VfB mit der Lupe suchen. Wenn Ulreich den Ball nach außen zum rechten oder linken Verteidiger spielt, verliert der ihn in vielen Fällen. Von Gotoku Sakai blieb aus dem Spiel in München vor allem das Bild hängen, wie er in scheinbarer Verzweiflung nach Ballverlusten die Hände in die Luft und den Kopf nach hinten wirft, als wolle er der Welt mitteilen: „Gibt’s doch nicht!“ Variante zwei: Der Außenverteidiger spielt den Ball zu Ulreich zurück – und gibt damit die Verantwortung für die Spieleröffnung gleich wieder ab. Florian Klein ist so ein Kandidat: Das Spiel nach vorn ist nicht sein Fall.

Also spielt Ulreich den Ball in die Mitte, was die schlechtere, da gefährliche Variante ist – oder regelmäßig lang nach vorn. Dort ist allerdings kaum ein Mitspieler in der Lage, den Ball kontrolliert anzunehmen und weiterzuleiten – sei es wegen technischer Defizite oder weil er die Verantwortung scheut. Bei Manuel Neuer und anderen Torhütern ist die Chance jedenfalls ungleich größer, dass seine Abschläge und Abwürfe ankommen.

Das ändert nichts daran, dass Ulreich unter verschärfter Beobachtung steht. „Ich stelle seinen Status als Nummer eins nicht infrage“, hatte Armin Veh vor der Saison gesagt – wohl wissend, dass Ulreichs Vertreter Thorsten Kirschbaum „von der Leistung her kein zweiter Mann ist“. Das Rennen, so scheint es, ist zumindest offener geworden.