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Torun hat Hürde zum Klassespieler noch nicht genommen. Beim VfB wagt er neuen Anlauf.

Stuttgart - In den Notizbüchern der meisten Chefeinkäufer steht der Name von Tunay Torun unter der Rubrik: Offensiv-Spieler mit besonderem Talent. Doch die Tinte ist ein wenig blass geworden in den vergangenen Jahren. Mario Götze entwickelte sich zum Superstar, Marco Reus zum Aufsteiger der Saison, Ilkay Gündogan reifte zum Klassemann. Doch der Bursche, dem die Experten ganz ähnliche Fähigkeiten nachsagten, blieb auf der Strecke wie ein ins Aus gerollter Ball.

Nun will der VfB Stuttgart den jungen Türken mit dem deutschen Pass wieder ins Spiel bringen. Torun, 22, kam ablösefrei von Hertha BSC und setzte erleichtert seine Unterschrift unter einen Dreijahresvertrag. „Ich bin sehr dankbar, dass mir der VfB diese Chance gegeben hat“, sagt der leichtfüßige Angreifer, der sich überall dort am wohlsten fühlt, wo das Spiel zielstrebig aufs gegnerische Tor zutreibt.

Muss Hajnal um Stammplatz fürchten?

„Er hat unheimlich viel Qualität“, sagt Tayfun Korkut, der Co-Trainer der türkischen Nationalmannschaft, und schwärmt von einem Spieler, der für jene besonderen Momente sorgen kann, die eine gegnerische Abwehr überrumpeln. „Sein Tempo-Dribbling ist überragend, er kann als hängende Spitze den tödlichen Pass spielen, und er ist torgefährlich“, schätzt Korkut, der bis vor einem Jahr noch die U 19 beim VfB Stuttgart trainierte.

Das hört sich an, als müsse Tamas Hajnal, der angestammte Passgeber im VfB-Spiel, ernsthaft um seinen Stammplatz fürchten. Doch die Sorge, dass sich die Auster nicht öffnen könnte, in der die Perle verborgen liegt, ist alles andere als unbegründet. Beim Hamburger SV ging das Licht des Ausnahmekönners unter Bruno Labbadia erst auf, dann flackerte es – und als sein Entdecker und Förderer gefeuert wurde, war es am Erlöschen. Eine für die Karriere eines Fußballprofis unheilvolle Reihenfolge, die sich bei Hertha BSC so ähnlich wiederholte.

Toruns Vertrag ist stark leistungsbezogen

Jetzt lehnt er sich ein wenig misstrauisch zurück, faltet die Hände schützend vor dem Bauch und sagt: „Ich bin sehr dankbar, dass mir der VfB Stuttgart diese Chance gegeben hat.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass er sie diesmal nützen kann, stehen nicht gerade schlecht. Tunay Torun kommt ohne nennenswerte Hypothek vom Bundesligaabsteiger aus Berlin. Der VfB musste keine Ablöse zahlen, das Gehalt des Offensiv-Allrounders liegt bei jährlich 500 000 Euro. Sein Dreijahresvertrag ist stark leistungsbezogen.

Doch das Geld spielt derzeit nicht die herausragende Rolle in seinem Leben. Er kämpft unverändert um den Güte-Stempel für sein sportliches Prädikat. „Natürlich bin ich nicht nach Stuttgart gekommen, um mich hier auf die Bank zu setzen“, sagt Torun. Es ist einer dieser Fußballer-Sprüche, die zwar sportlichen Ehrgeiz signalisieren, aber nicht immer Schritt halten mit der aktuellen Gemütslage. Vieles spricht dafür, dass sich Bruno Labbadia an einem Talent versucht, das dem Alter nach von der Reife des Erwachsenen zehren sollte. Doch der Sportsfreund Torun riss bisher die Hürden, die ihm der Weg zum Fußballstar in den Weg stellte. Und wer ihn reden hört über die Unwägbarkeiten seiner bisherigen Karriere, dem bleibt der Eindruck eines Zweifelnden auf der Suche nach dem eigenen Ich. Weil in solchen Lebensphasen selbst kleine Rückschläge zu herben Einbußen an Selbstvertrauen führen, wird das psychische Einfühlungsvermögen von Bruno Labbadia und seinem Assistenten Eddy Sözer womöglich entscheidend Toruns Fortkommen beeinflussen. „Er muss sich wohlfühlen, sein Umfeld muss stimmen“, sagt Tayfun Korkut, „dann kann er die optimale Leistung abrufen.“ Korkut hat ihn in die türkische Nationalmannschaft berufen und sagt: „Man muss viel mit ihm reden. Er braucht das für sein Selbstvertrauen. Bruno Labbadia weiß das. Er kennt ihn so gut wie kein anderer.“

Schwierige Wohnungssuche in Stuttgart

Bisher immerhin fühlt sich Torun am Neckar so sicher und wohl wie in Abrahams Schoß. Martin Harnik und Christian Gentner zeigten ihm die Stadt, gemeinsam mit den Frauen oder Freundinnen saßen sie beim Essen. „Die Jungs haben mich prima aufgenommen“, sagt Tunay Torun, der für sich und seine Freundin Franziska, eine Immobilien-Fachfrau, händeringend nach einer Dreizimmerwohnung sucht.

„Es ist eben alles nicht so einfach“, sagt Tunay Torun und hebt wie zum Beweis seinen dick verbundenen Fuß ins Licht:„Gestern habe ich in den Rasen getreten, und heute ist mir noch jemand auf den Zeh gestiegen.“ Dann lächelt er und hebt beschwichtigend die Hände. So, als wolle er es mit Kurt Tucholsky sagen: „Meine Sorgen möcht’ ich haben!“