Sucht schon den sechsten Trainer seit 2013: Präsident Bernd Wahler Foto: Baumann

Und wieder kann der VfB Stuttgart nicht agieren, nur reagieren. Das bringt ihn bei der Trainersuche nicht zum ersten Mal in Nöte – und deckt den einen oder anderen Widerspruch auf.

Stuttgart - Seit Montag stapeln sich auf dem Schreibtisch von Bernd Wahler die Schreiben, sein E-Mail-Postfach quillt über, und manch einer bedient sich öffentlicher Kanäle, wie Mirko Slomka und zuvor Christoph Daum. „Sie können sich nicht vorstellen, was da an Bewerbungen reinkommt“, sagt Präsident Bernd Wahler, „bis ins höchste Alter und von Leuten, die vielleicht mal eine Hobbymannschaft betreut haben.“

Kein Vergleich zur Bundesliga. Dabei ist schon Alexander Zorniger, der zuvor immerhin Zweitliga-Erfahrung gesammelt hatte, krachend gescheitert. Jetzt ist die Not beim VfB groß. Der Mann, der als Idealtyp für die Nachfolge gilt, Lucien Favre also, ist nur schwer zu haben, auch wenn der VfB keine Mittel und Wege scheuen will, um ihn nach Stuttgart zu lotsen. Die erste Alternative, Tayfun Korkut, ist schon nicht mehr der Kandidat jener Güte, die unbedingt euphorisch stimmt.

Zoran Barisic (45), mit Rapid Wien Dritter (2013) und Zweiter (2014) und in der Gruppenphase der Europa League nur knapp gescheitert, genießt einen guten Ruf, der auch beim VfB angekommen ist – aber findet er sich auf Anhieb in der Bundesliga zurecht? Was auch für Pierluigi Tami (54) gilt, den Coach von Grasshopper Zürich und Schweizer Trainer des Jahres 2011. Oder ist Jürgen Kramny der Richtige? Zunächst schon. „Er ist geradlinig“, sagt Wahler über den Interimstrainer, „und die Mannschaft hat auf klare Ansagen entsprechend reagiert.“ Geradlinig? Das war Zorniger auch – bis weit über die Schmerzgrenze sogar.

Bernd Wahler: „Erfahrung ist ein ganz wichtiges Kriterium“

Was nur heißt: Alles ist relativ.

Der Neue muss die sportliche Konzeption mit der engen Verzahnung von Nachwuchs, Scouting und Profiabteilung mittragen, dazu soll er laut Wahler „eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit“ mitbringen – auch dies  relativ. Und Erfahrung, betont der Präsident, „Erfahrung in einer der vier großen Ligen ist ein ganz wichtiges Kriterium“. Was Korkut, der als Cheftrainer nur 15 Monate Erfahrung bei Hannover 96 vorzuweisen hat, zum krassen Außenseiter stempelt – und irgendwie doch nicht. „Erfahrung“, sagt Wahler, „bemisst sich nicht nur nach der Länge eines Engagements, sondern auch nach dessen Intensität.“ Die Frage sei eben, wie man das gewichtet. Relativ eben.

„Jetzt“, sagt Wahler und drückt energisch den Rücken durch, „jetzt muss ganz klar ein Impuls von der Mannschaft kommen.“ Nun hat die jetzige Mannschaft in den vergangenen Jahren wahrlich nicht so viele eigene Impulse gesetzt, als dass berstende Zuversicht Wahlers Hoffnung nähren würde. Nur im Finale der vergangenen Saison, als es tatsächlich um Kopf und Kragen ging, hat sie sich am Riemen gerissen und die nötigen drei Siege eingefahren. „Die Mannschaft funktioniert in extremen Drucksituationen oft besser“, hat Wahler festgestellt. Jetzt also auch, bei nur zehn Punkten aus 13 Spielen? „Wir haben eine ernste Situation. Wir wissen, wie viele Punkte wir haben und noch brauchen“, sagt er. Am liebsten würden sie die vier Partien bis zur Winterpause auch zu einem Finale ausrufen. Was mitten in der Saison aber nicht überzeugend wäre, und überhaupt: „Wir wollen keinen Feuerwehrmann.“ Weil die Situation so brenzlig nun auch nicht ist? Auch das: relativ also.

Das gilt erst recht für das frische Blut, das in der Winterpause die Mannschaft beleben soll. „Keine Ergänzungen, sondern Verstärkungen“, verspricht Wahler. Fünf bis sechs Millionen Euro stehen wohl zur Verfügung – oder standen? Nun, da die Abfindungen von rund 1,5 Millionen Euro für das entlassene Trainerteam aufgelaufen sind, muss der VfB für die gleiche Summe schon ins Risiko gehen – finanziell und sportlich. Zum Vergleich: Toni Sunjic war drei Millionen Euro teuer – und lässt viele Wünsche offen.

Jürgen Kramny soll den Strategen mit Erfolgen Zeit für die Trainersuche verschaffen

So klammern sich die Strategen des VfB an eine Hoffnung nach der anderen. Sie hoffen, dass Jürgen Kramny ihnen mit Erfolgen Zeit verschafft, um mit dem in Costa Rica weilenden Lucien Favre überhaupt ins Gespräch zu kommen. Dann hoffen sie, dass die Beschwörungskünste von Sportvorstand Robin Dutt den Topkandidaten nach Stuttgart locken. Falls eines von beidem nicht gelingt, hoffen sie auf Korkut und dessen Geschick, die Mannschaft zum Laufen zu bringen. Alles relativ eben – und irgendwie vage.