Der Mann des ruhenden Balls: Tamas Hajnal tritt die meisten Ecken und Freistöße beim VfB. Foto: dpa

Der VfB Stuttgart trifft nach Freistößen und Ecken häufiger als jedes andere Team der Liga.

Stuttgart - Acht seiner 17 Tore in dieser Saison erzielte der VfB Stuttgart nach Standardsituationen. Das ist der Topwert der Liga. Und der Lohn für die Zeit, die Bruno Labbadia jede Woche im Training für Freistöße und Ecken investiert. "Man muss diese Abläufe immer wieder einpflegen", sagt der Trainer.

Es läuft die 22. Minute im Spiel der Roten gegen Borussia Dortmund. Tamas Hajnal und Cristian Molinaro stehen auf der linken Seite zum Freistoß bereit, etwa 21 Meter vom Tor entfernt. Martin Harnik hat sich neben der BVB-Mauer aufgestellt, Khalid Boulahrouz lauert etwa fünf Meter vom Strafraum entfernt. Im Sechzehner stehen Serdar Tasci, Zdravko Kuzmanovic und Maza bereit. Molinaro überläuft den Ball, Hajnal flankt, Boulahrouz sprintet los, ebenso wie Kuzmanovic, Maza und Tasci. Die Dortmunder sind verwirrt. So kann sich Martin Harnik fast unbemerkt auf den Weg machen von der Mauer auf der linken Strafraumseite bis zum rechten Torpfosten - und genau dort landet der Ball. Harnik trifft zwar nur Aluminium, doch Tasci steht parat und verwandelt den Abpraller - ein perfekt einstudierter Freistoß.

Das 1:0 gegen den deutschen Meister (Endstand 1:1) war das achte Tor der Roten nach ruhenden Bällen. Viermal trafen sie nach Freistößen, alle getreten von Tamas Hajnal, zweimal nach Ecken - eine von Kuzmanovic, eine von Hajnal -, zweimal ging ein Elfmeter in die gegnerischen Maschen. Damit ist das Team von Trainer Bruno Labbadia zumindest bei Standardsituationen spitze in der Liga.

Eine oder andere Überraschung

Das war beileibe nicht immer so. In den vergangenen Spielzeiten war ein Freistoß oder eine Ecke getreten von einem VfB-Profi für die Gegner in etwa so furchteinflößend wie Fritzle, das Maskottchen. In der Saison 2011/12 aber sollten die Kontrahenten gewarnt sein: Tore gehören bei den Roten zum Standardprogramm.

Für Bruno Labbadia ist diese Tatsache der Lohn für harte Arbeit. "Standards stehen bei mir immer auf dem Plan", erklärt er. Aus einem guten Grund. "Wenn man sich Statistiken nach Welt- oder Europameisterschaften anschaut, sieht man, dass rund 30 Prozent aller Tore nach Standards fallen. Deshalb muss man diese Abläufe immer wieder einpflegen", erklärt der Stuttgarter Trainer, der den Spielern nicht nur Abläufe vorgibt, sondern sie auch selbst kreativ werden lässt. Mindestens einmal pro Woche stehen beim VfB Freistöße und Ecken auf dem Trainingsplan. Meistens dann, wenn das Trainingsgelände für Zuschauer gesperrt ist. Die Roten wollen sich nicht in die Karten schauen lassen, wenn sie Varianten wie die vom vergangenen Samstag einstudieren.

Den Trick mit Harniks Crosslauf haben die Roten bereits in der Vorwoche beim 1. FC Nürnberg probiert, damals noch ohne Erfolg. Auch den Dortmundern war die Variante bei der Vorbereitung auf das Spiel in Stuttgart nicht verborgen geblieben - dennoch konnte BVB-Kapitän Sebastian Kehl Martin Harnik nicht schnell genug folgen. Allzu oft wird dieser Trick in der Bundesliga nun nicht mehr funktionieren. Die eine oder andere Überraschung, sagt Bruno Labbadia, habe man aber noch parat.

Mainz bei Standards anfällig

Der Coach weiß allerdings auch: die Freistoß- und Eckballvarianten können noch so kreativ sein - ohne Spieler, die in der Lage sind, sie umzusetzen, sind sie wertlos. Deshalb ist Labbadia froh, Profis wie Tamas Hajnal und Zdravko Kuzmanovic in seinem Team zu haben. "Das sind zwei, die ein gutes Gefühl dafür haben", sagt Labbadia. "Der Trainerstab kann nur Lösungsmöglichkeiten vorgeben, auf dem Platz müssen die Spieler selbst entscheiden, was sie tun."

Ein Problem aber bleibt: Wenn 30 Prozent aller Tore durch Standards entstehen, dann gilt dasselbe für Gegentore. Beim VfB waren es bislang sogar noch ein bisschen mehr als 30 Prozent: Vier von neun, um genau zu sein. Zwei gegen den HSV (1:2), zwei gegen Nürnberg (2:2). Bis zum HSV-Spiel habe man den Gegner bei ruhenden Bällen im Griff gehabt, erklärt Labbadia. Diese Stärke wollen die Roten nun wieder ausspielen: "Die Gegner können ja auch was, damit müssen wir leben. Wenn wir aber vermehrt Standards trainieren, trainieren wir gleichzeitig ja auch die Defensive."

An diesem Freitag (20.30 Uhr/Sky, Liga total) wollen die Roten den FSV Mainz 05 schlagen. Auch dort könnte das Standardprogramm fruchten. Das Team von Trainer Thomas Tuchel hat insgesamt 22 Gegentore bekommen - neun davon nach Standardsituationen.