Tristesse pur in Mainz: Der VfB (Daniel Schwaab, Christian Gentner, Arthur Boka, Benedikt Röcker, Vedad Ibisevic und Sven Ulreich/v. li.) bläst schon nach den ersten 90 Minuten Trübsal. Foto: Pressefoto Baumann

Der Auftakt ging daneben. Der VfB Stuttgart offenbart beim Bundesligastart bekannte Mängel: Der Mannschaft fehlen ein erkennbarer Plan, Gewitztheit und Draufgängertum.

Stuttgart - In Moritz Leitner, der Leihgabe von Borussia Dortmund, steckt ein kleiner Philosoph. Nach dem Spiel legte er die Stirn in Falten, sinnierte und sprach: „Heute haben wir besser gespielt als in der Europa League. Aber dort sind wir weitergekommen, und heute haben wir verloren. Die Frage ist, was uns wichtiger ist.“ Am besten natürlich beides: schön spielen und (hoch) gewinnen. Der Zweck darf jedenfalls auf Dauer nicht die Mittel heiligen. Unansehnlichen Fußball hat die VfB-Gemeinde lange genug ertragen. Und besser gespielt? Wenn nicht mehr als Laufbereitschaft, Wille und Fehler des Gegners ein packendes Spiel ausmachen, ist das relativ.

Da trifft es sich gut, dass der VfB einen zweiten Westentaschen-Philosophen in seinen Reihen hat. Daniel Schwaab, der Neue aus Leverkusen, rief sich die Mängel gegen Mainz vor Augen und übertrug sie selbstkritisch auf das nächste Spiel an diesem Samstag – gegen Leverkusen. „Die Mainzer“, sagte Schwaab, „haben immer wieder in die Schnittstellen unserer Abwehr gespielt. Da haben wir nicht gut ausgesehen. Daraus müssen wir lernen. Denn Leverkusen spielt über seine Außenstürmer ebenfalls häufig in die Schnittstellen des Gegners.“

Alles schon mal da gewesen

Lernen muss der VfB seit zweieinhalb Jahren. Seit Bruno Labbadia als Trainer angeheuert hat. Aber irgendwie lassen die Fortschritte auf sich warten, vergangene Saison fielen sogar fast alle Profis in ein Leistungstief. Auch in Mainz hatten die 3200 mitgereisten Fans ihr Déjà-vu-Erlebnis: alles schon mal da gewesen. Der VfB schleppt die alten Probleme in die neue Saison.

Der Plan: Mainz stand tiefer als gegen andere Clubs, ließ den VfB im Wissen um dessen Probleme im Spielaufbau kommen und setzte auf pfeilschnelle Konter. Das ist die bewährte VfB-Taktik von Trainer Thomas Tuchel, und sie funktionierte wieder. Im Wissen um Tuchels Gedankenspiele setzte Labbadia auf Moritz Leitner auf der Zehn: „Wir mussten aus einer guten Ordnung kommen und brauchten einen, der ballsicher ist.“ Das war, mit Verlaub, viel zu kompliziert gedacht. Oder: Wer nichts wagt, der nicht gewinnt. Leitner blieb wirkungslos. Alexandru Maxim, der bewiesen hat, dass er die Mitspieler einsetzen kann. drückte die Bank.

Stupide Spieleröffnung: Sven Ulreich spielt gern lange Bälle nach vorn. Oder er passt den Ball auf die Seite, dann schlagen garantiert die Außenverteidiger Langholz nach vorn. Allzu häufig gehen dabei Ball- und Spielkontrolle verloren – wie vor dem 0:1, als Vedad Ibisevic vorn den Ball prompt nicht behauptete. Ein Plan, wie dem Gegner mit Köpfchen und System beizukommen ist, lässt sich da nur schwer erkennen.

Individuelle Fehler: Als Nicolai Müller den Gegenangriff startete, setzte es Gotoku Sakai auf den Hosenboden. Der Japaner pumpte und streckte alibimäßig das Bein aus, als könne er Müller stoppen. Doch der ließ sich nicht aufhalten, sondern tanzte auch noch Benedikt Röcker aus. Der traf als letzter Mann die falsche Entscheidung (Grätsche) und führte sie auch noch unzulänglich aus.

Wenig Kreativität: Das Mittelfeld strotzt weiter vor Biederkeit. Wenn Christian Gentner keinen guten Tag erwischt und Arthur Boka nicht Normalform bringt, funktioniert die Absicherung nach hinten nicht. Martin Harnik und Ibrahima Traoré machen außen mehr oder weniger Betrieb – aber kein Vergleich zu Leverkusens (Vorsicht, nächster Gegner!) neuer Flügelzange Sam und Son.

Der Spielmacher: Moritz Leitner kam, sah und tauchte ab. Keine Initialzündung, schwache Zweikampfwerte, aber der Ober-Motzki des VfB! Er sollte besser nicht darauf hoffen, dass ihn die Fans so akzeptieren.

Kaum Torgefahr: Der VfB erzielte vergangene Saison nur 37 Bundesligatore. In Mainz wurde wieder klar, warum: Mit Ausnahme von Vedad Ibisevic versemmelt er die dicksten Torchancen – allen voran Martin Harnik.

Keine Überraschungsmomente: Der VfB arbeitet Fußball, andere spielen ihn. Leichtfüßigkeit, Gewitztheit? Fehlanzeige. Den Pass, mit dem der Gegner nicht rechnet und der ein Spiel entscheiden kann, hat der VfB selten im Repertoire.

Zu wenig Draufgänger-Typen: Nicolai Müller (25) spielte beherzt, wildentschlossen, temporeich und ballsicher. So entschied er sein 56. Bundesligaspiel mit zwei Kontertoren fast im Alleingang. Dagegen wirkten die VfB-Profis allzu unscheinbar. Viel zu wenige trauen sich etwas Konstruktives zu. So verlor der VfB in Mainz sein viertes Spiel in Folge. „Wenn der VfB zu uns kommt, ist er nicht mehr automatisch Favorit“, sagte Tuchel, „das haben wir uns erarbeitet.“ Nicht nur: Das hat sich der VfB auch selbst eingebrockt. So war in Mainz im Grunde nur eines neu: die gefährlichen Standards durch Konstantin Rausch. Ganz schön wenig.