Markus Weinzierl darf vorerst weitermachen. Foto: Getty

Die Entscheidung, mit Markus Weinzierl als Trainer beim VfB Stuttgart weiterzumachen, ist umstritten – und zieht etliche Fragen nach sich.

Stuttgart - Der VfB Stuttgart erlebt in diesen Tagen eine Krise der besonderen Art. Trainer und Sportchef zugleich sind nach dem blamablen Auftritt gegen Fortuna Düsseldorf in der Schusslinie. Was kann jetzt noch helfen?

Wie kam die Entscheidung zustande?

Es war mal wieder eine dieser Nächte, in der die Entscheidungsträger des Bundesligisten die Köpfe lange zusammensteckten. Was wird aus Markus Weinzierl? Was wird aus Michael Reschke? Dass Letzterer kurz vor dem Start der montäglichen Übungseinheit dann die vorläufige Weiterarbeit mit seinem Schützling vermeldete, galt zumindest als kleine Überraschung. „Er wird diese Woche das Training leiten und gegen RB Leipzig (Samstag, 15.30 Uhr) auf der Bank sitzen – ohne Wenn und Aber.“ Mehr als eine Jobgarantie für ein Spiel wollte der Manager aber nicht geben. Beim am Abgrund taumelnden Club aus Cannstatt gilt das Motto: Wir fahren auf Sicht.

Eingebunden in die Diskussion über die sportliche Zukunft waren neben Sportchef Reschke die beiden weiteren Vorstände Stefan Heim und Jochen Röttgermann sowie der Präsident Wolfgang Dietrich. Der Präsidialrat um Dietrich und die beiden Aufsichtsräte Hermann Ohlicher und Wilfried Porth, ein Gremium für besondere Notlagen, kam nicht zusammen.

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Inwieweit bei der Entscheidung pro Weinzierl auch Reschkes Zukunft eine Rolle spielte, wollte der Rheinländer nicht verraten. „Meine persönliche Zukunft ist im Moment total uninteressant.“ Dabei ist klar: Scheitert Weinzierl, ist auch der Sportvorstand am Ende. Das Wegbrechen von zwei sportlichen Führungsfiguren mitten in der Saison wollte zum jetzigen Zeitpunkt aber niemand riskieren – die Gefahr, das Chaos noch größer zu machen, erscheint als zu hoch. Weshalb auch Markus Gisdol als reiner Weinzierl-Ersatz nicht infrage kommt. Sollte der 44-Jährige mit der Bilanz von zehn Niederlagen aus 14 Spielen aber auch in den nächsten Partien gegen Leipzig, Werder Bremen und Hannover 96 nichts Zählbares einfahren, kommen die Clubbosse kaum mehr umhin, das ganze Gebilde neu zu denken. Die Alternative für eine große Lösung wäre zum Beispiel Felix Magath, der nach wie vor enge Verbindungen nach Stuttgart pflegt. Oder Jürgen Klinsmann. Dessen Bereitschaft, seinem früheren Club zu helfen, ist nach wie vor vorhanden. Oder der VfB bedient sich in seinem eigenen Stall – etwa bei Nachwuchschef Thomas Hitzlsperger, der im Verbund mit Andreas Hinkel zumindest bis Saisonende als Teamchef fungieren könnte und Mannschaft wie Fans gut zu vermitteln wäre. Für Klinsmann und Hitzlsperger wäre der Kampf gegen den Abstieg an vorderster Front allerdings ein Novum.

Welche Optionen hat Weinzierl jetzt noch?

Fast so traurig wie der Auftritt während der 90 Minuten am Rhein war das Bild, das Mannschaft und Trainer nach Schlusspfiff boten. Die Spieler ließen die Köpfe hängen, Weinzierl ging gedankenverloren über den Platz. Als dann auch noch Ron-Robert Zieler und Christian Gentner von „mentalen Problemen“ und „Blockaden“ sprachen, wich fast der letzte Funken Zuversicht. Wie will Weinzierl diese Truppe nur wieder flottkriegen?

Mit harter Arbeit – Reschke forderte einmal mehr „einen völlig anderen Biss und eine völlig andere Leidenschaft“ ein. Nur: Wenn die Mannschaft die Grundkomponenten für erfolgreichen Fußball beim so wichtigen Spiel in Düsseldorf vermissen lässt, wie soll sie dann die Brust bis Samstag gegen Leipzig wieder breit bekommen? Mit Weinzierls intern so geschätzter ruhiger und sachlicher Art? Die scheint nicht mehr zu verfangen. Andererseits hieß es am Montag, Weinzierl stecke nach wie vor seine ganze Energie in seine Arbeit. Er gilt als Kämpfer, der sich nach dem Tiefschlag von Sonntagabend auch schon wieder aufgerichtet hat.

Personell und taktisch hat der 44-Jährige fast alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Mit und ohne Mario Gomez, mit und ohne Daniel Didavi, eine Sturmspitze, zwei Spitzen, Emiliano Insua und Borna Sosa als wechselnde Linksverteidiger, mal Gonzalo Castro, mal Andreas Beck, mal Benjamin Pavard auf rechts, das Mittelfeld – alles einmal durchgemischt. Ohne erkennbaren Erfolg. Die halbe Mannschaft gegen Jugendspieler auszutauschen ist auch keine Option. In Leon Dajaku (Angriff) und Antonis Aidonis (Abwehr) stehen allenfalls zwei Nachwuchskräfte bereit, für die der Überlebenskampf in der Bundesliga noch als zu große Bühne erscheint.

Da der Bayer auch nicht zum Typ Trainer gehört, der seinen Jungs Heißmacherparolen an die Kabinentür pinnt oder sie über glühende Kohlen laufen lässt, bleibt eigentlich nur die Politik der ruhigen Hand. Wie damals in Augsburg, als er selbst nach nur neun Punkten zur Winterpause und nur einem Sieg aus den ersten fünf Spielen der Rückrunde 2012/13 nicht die Nerven verlor. Weinzierl tüftelte weiter und fand irgendwann doch noch den Schlüssel zum Erfolg. Diese Hoffnung haben sie nun auch in Stuttgart noch nicht aufgegeben. Dass alles doch noch wird. Irgendwie. Zum Beispiel über die Relegation.

Was lehrt die Vergangenheit?

An der Mercedesstraße sind reichlich Erfahrungswerte im Umgang mit glücklosen Trainern vorhanden. Zwei Beispiele aus der Vergangenheit zeigen: Lange am Trainer festhalten kann gut gehen. Kann aber auch schiefgehen. Wie im Abstiegsjahr 2016. Nach einem Sicherheit suggerierenden Spurt mit fünf Siegen geriet die Mannschaft im Frühjahr unvermittelt in die Abwärtsspirale. Für Coach Jürgen Kramny und seine Mannen gab es kein Halten mehr. Ein drei Spieltage vor Schluss angesetztes Kurztrainingslager auf Mallorca bleibt als Aktionismus in Erinnerung. Dass Sportchef Robin Dutt bis zuletzt an Kramny festhielt (was einige im Verein im Nachhinein als Fehler erachteten) hatte auch mit der Erfahrung aus dem Jahr zuvor zu tun.

Damals befand sich der zum zweiten Mal als Retter eingesprungene Huub Stevens in einer ähnlichen Lage wie jetzt Weinzierl. Nach acht sieglosen Spielen in Folge und einem 0:0 gegen Hertha BSC – der VfB war Letzter – stand Stevens’ Ablösung unmittelbar bevor. Dachten alle – bis Robin Dutt beim Auslauftraining sanft lächelnd mitteilte, dass man dem Niederländer weiter das Vertrauen schenke. Am letzten Spieltag rettete er den VfB mit einem Sieg in Paderborn gerade noch vor dem Abstieg.

Inwieweit sich die Situation mit heute vergleichen lässt? Die Abstiegssaison mit dem Totalabsturz zum Saisonende ist beispiellos, der Fall Stevens lässt sich noch eher auf die Jetztzeit übertragen. Stevens war Weinzierl in manchen Dingen ähnlich, nur trug er eine Botschaft immer klar vor sich her: Wir schaffen das!