VfB-Trainer Alexander Zorniger lässt als teambildende Maßnahme regelmäßig einen Kreis bilden Foto: Baumann

Eisen verbiegen, Knallfrösche zünden, Spieler beleidigen: Schon lange vor Alexander Zorniger bedienten sich die Trainer auf dem Cannstatter Wasen ungewöhnlicher Motivationsmethoden.

Stuttgart - Was genau Alexander Zorniger mit seinen nachgeäfften Kusshändchen von Hoffenheim bezwecken wollte, wird wohl nie so ganz geklärt werden. Ging einfach der Gaul mit ihm durch? Oder wollte er Timo Werner nach seiner vergebenen Siegchance nur anstacheln? Wahrscheinlich leitet sich das eine vom anderen ab, zumindest verkauft der 48-Jährige seinen Auftritt im Nachhinein als Motivationsspritze.

Wer jetzt die Fähigkeiten des Fußballlehrers als Pädagoge anzweifelt, dem hilft vielleicht ein Blick zurück in Zornigers Vergangenheit bei Normannia Gmünd (2004–2009). Schon damals griff er zu ähnlichen Praktiken, um selbstzufriedene Kicker anzustacheln. Alexander Raaf und Nizam Bedak zum Beispiel dürften sich noch gut an ein Spiel beim FV Zuffenhausen in der Saison 2004/05 erinnern. Zorniger hatte frisch die Viererkette eingeführt. Die Abwehr der Normannia wackelte, zur Pause lag sie 0:1 hinten. Und was macht Zorniger? Faltet in der Halbzeit Raaf und Bedak nach allen Regeln der Kunst zusammen – ausgerechnet zwei Stürmer. Zorniger war mit ihrem Defensivverhalten nicht einverstanden. Die Halbzeitansprache fruchtete: Am Ende gewann sein Team noch mit 2:1.

Wenn Spieler zu selbstverliebt mit ihren eigenen Leistungen umgingen oder er den Erfolg der Mannschaft gefährdet sah, stellte er sie auch mal öffentlich an den Pranger. Ein beliebtes Instrument: Spielern die Tauglichkeit für die Oberliga abzusprechen. Oder, etwas abgeschwächt: ihnen vorzuwerfen, die Spielklasse nicht zu schätzen zu wissen.

In einem anderen Fall sorgte der Mutlanger für Irritationen, als er dem jungen Torwart Magnus Burkhardt mit auf den Weg gab: „Ohne deine Rückenprobleme wärst du bald Bundesligaspieler.“ Der Junge kam gerade aus der A-Jugend und wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Am Ende behielt Zorniger recht – Burkhardts körperliche Malaise hinderte ihn am Ende tatsächlich an einer größeren Karriere.

Parallelen zu heut sind unverkennbar

Die Parallelen zu seiner heutigen Zeit beim VfB Stuttgart sind unübersehbar. Daniel Didavi sprach er wegen dessen lädierten Knies die Fähigkeit ab, bei einem Top-Verein Bundesliga und Champions League zu spielen – öffentlich natürlich. Zuvor hatte er bereits Georg Niedermeier mangelnde Tauglichkeit und Timo Werner fehlenden Biss attestiert.

„Der Alex hat sich kein bisschen verändert zu früher“, sagt einer, der ihn aus gemeinsamen Gmünder Zeiten kennt. „Auch damals hat er sich mit seiner teils öffentlichen Kritik nicht immer beliebt gemacht.“ In Schwäbisch Gmünd – und später auch bei RB Leipzig – gab ihm der Erfolg recht, nun wartet Zorniger vor dem Heimspiel am Sonntag (17.30 Uhr/Sky) gegen den FC Ingolstadt noch auf den ersten Heimsieg.

Mit seiner besonderen Art der Motivation besitzt Alexander Zorniger in der Liga derzeit ein Alleinstellungsmerkmal. Im Vergleich zu früheren VfB-Zeiten nehmen sich seine Methoden aber fast harmlos aus:

Christoph Daum (Trainer 1990–1993): Der Meistertrainer kanzelt Marc Kienle und Thomas Schneider in der Öffentlichkeit als „Weichkekse“ ab. Zur Zukunft von Maurizio Gaudino gibt er folgende Prognose: „Entweder er wird Nationalspieler oder Taxifahrer.“ Daum behält recht: Gaudino schafft es tatsächlich für kurze Zeit in die DFB-Elf.

Felix Magath (2001–2004): Als er Viorel Ganea in Leverkusen 23 Minuten nach dessen Einwechslung und zahlreichen vergebenen Großchancen wieder vom Platz holt, ist der Stürmer ein Häuflein Elend. Eine Woche später besiegt er den VfL Bochum mit drei Toren im Alleingang und sagt: „Der Trainer hat alles richtig gemacht.“ Das sieht Magath in aller Regel genauso. Einmal verpasst er sich gegenüber der Mannschaft einen Maulkorb und redet nichts – vier Wochen lang.

Arie Haan (1987–1990): Nach einer 1:6-Klatsche beim 1. FC Kaiserslautern gibt er den Spielern beim VfB-Ball die Erlaubnis, einen draufzumachen. Einzige Bedingung: Beim wenig später folgenden Spiel in München sollen Punkte her. Die Mannschaft lässt sich nicht zweimal bitten, feiert und trotzt dem FC Bayern ein 3:3 ab. „So was kannst du aber nur einmal machen“, sagt Haan heute.

Ralf Rangnick (1999–2001): Er verleitet die VfB-Profis dazu, Eisenstangen mit ihren Kehlen zu verbiegen. Routinier Thomas Berthold zeigt dem Jungtrainer den Vogel, doch dieser landet einen Punktsieg: 2:0 gegen Bayern München. Bei Hannover 96 zündet Rangnick kurz vor einem Auswärtsspiel in Leverkusen einen Knallfrosch in der Kabine. Motto: Erschrecken statt einschlafen. Hannover landet den ersten Sieg.

Was lehrt uns das? Spezielle Motivationsmethoden können durchaus ihre Wirkung erzielen – wenn auch nur kurzfristig. Ob die Kusshändchen-Affäre Timo Werner gegen Ingolstadt nun zu einer besonderen Leistung beflügelt? Motivationsexperte Stefan Reutter glaubt nicht daran. „Junge Spieler lassen sich durchaus anstacheln, sie wollen schließlich besser werden. Aber nie öffentlich kritisieren! Das kommt Hochverrat gleich und nimmt dem Spieler Selbstvertrauen.“ Also auch keine Trotzreaktion? „So etwas gibt es nicht“, meint Reutter, der in der Jugend selbst beim VfB gespielt hat.

Vielleicht nimmt sich Zorniger angesichts der Sturm-Misere ja ein Beispiel an Dettmar Cramer. Der jüngst verstorbene Coach ließ während einer Torflaute bei Gerd Müller den Stürmer im Zwiegespräch von seinen schönsten Toren erzählen. Mit jedem visualisierten Tor leuchteten die Augen des Bombers mehr – prompt traf er wieder.