Thomas Kraft (re.) will Christian Gentner umstoßen – doch der VfB-Kapitän bleibt lieber stehen Foto: dpa

Sollte der VfB am Ende der Saison tatsächlich den Weg in die zweite Liga antreten, kann man ihm in dem ganzen Chaos eines nicht vorwerfen – dass er seine Würde verloren hätte.

Stuttgart - Es mussten schon viele Vereine das Fußball-Oberhaus verlassen; manche auf Zeit, andere für immer. Und jeder Abstieg schreibt seine eigene Geschichte. Vom großen Drama bis zum leisen Abgang gab es alles. Der VfB ist gerade dabei, sich mit seinem eigenen Abschied zu arrangieren – einem Abstieg mit Anstand. Und zwar quer durch alle Bereiche.

Die Spieler: Christian Gentner ist ein Mann von eher hagerer Gestalt. Insofern hätte ihm niemand verübelt, wenn er im Spiel gegen Hertha BSC (0:0) am Freitag nach einem Schubser von Thomas Kraft branchenüblich reagiert hätte: mit vors Gesicht geschlagenen Händen und einer doppelten Rolle seitwärts. Er hätte die Gunst der Stunde nutzen und dem Hertha-Torwart einen (berechtigten) Platzverweis einhandeln können.

Tat er aber nicht. Der VfB-Kapitän blieb stehen, Schiedsrichter Brych zückte nur Gelb. Ein ehrbares Verhalten, das dem Tabellenletzten aber keine Punkte und Gentner wahrscheinlich noch nicht einmal eine Nominierung für den Fair-Play-Preis bringt. Dass Trainer Huub Stevens hinterher auch noch Gentners Aufrichtigkeit lobte, zeigt, dass die Roten eines nicht sind: eine miese Truppe. Das Ganze ließe sich aber auch als mangelnde Abgezocktheit auslegen.

ine ähnliche Szene spielte sich schon zum Ende der Vorrunde im Spiel gegen den Hamburger SV ab: Damals verzichtete Georg Niedermeier nach einer Attacke von Rafael van der Vaart auf Schauspielerei, der Hamburger kam ungeschoren davon. Überhaupt, die Schiedsrichter: Allein in den vergangenen drei Spielen wurden drei Szenen zum Nachteil des VfB gewertet. Statt wütender Aufschreie hört man vom Tabellenletzten aber nur stillen Protest. Man möge sich an dieser Stelle nur einen Jürgen Klopp oder Matthias Sammer vorstellen!

Der Trainer: Angesichts der Darbietungen seiner Elf – das engagierte Hertha-Spiel mal ausgenommen – müsste man sich fast wünschen, der Niederländer würde seinen Spielern öfter mal den Kopf waschen. Stattdessen: kein schlechtes Wort über niemanden! Zumindest nicht in der Öffentlichkeit, intern mag das anders sein.

Stevens bewahrt Haltung und lässt seinen Frust lieber an Journalisten aus. Vielleicht ist das ja auch der Grund, warum die Mannschaft und der Trainer trotz der Misserfolge eng zusammenstehen. Kapitän Gentner jedenfalls sagt: „Wir wollen mit diesem Trainer weitergehen.“ Stevens würde wohl auch niemand übelnehmen, wenn er längst von sich aus hingeworfen hätte. Grund genug hätte er ja – jedenfalls mehr als Armin Veh.

Der Sportvorstand: Kritiker werfen Robin Dutt falsches Spiel vor, wenn er nach außen hin Huub Stevens stützt, gleichzeitig aber bereits mit dessen möglichem Nachfolger Alexander Zorniger verhandelt. Angesichts der bedrohlichen Lage ist es aber nur professionell, einen Plan B zu haben. Der 50-Jährige will dennoch, solange es geht, am Niederländer festhalten – hier lebt auch ein Stück weit der Trainer im Sportvorstand Dutt weiter. Langjährige Manager wie der Mainzer Christian Heidel sind mit einem Rauswurf viel schneller bei der Hand – siehe Kasper Hjulmand.

Die Fans: Der Fan-Trost für Timo Baumgartl nach dem Dortmund-Spiel ging um die Welt. Auch gegen Berlin zeigte sich die Kurve am Ende trotz des neunten sieglosen Heimspiels in Serie (Negativ-Vereinsrekord!) versöhnlich und spendete brav Applaus. Das wäre andernorts nur schwer vorstellbar und war auch in Stuttgart schon anders. Die Krawalle rund ums Spiel hatten nichts mit der Mannschaft zu tun.

Das Umfeld: Mit der Bundesliga-Uhr inszeniert der Hamburger SV seinen jährlich aufs Neue drohenden Untergang fast schon. Dazu verdrückt HSV-Legende Uwe Seeler ein paar Tränen, und alle schreien: Der Dino darf nicht sterben. Als der 1. FC Kaiserslautern 1996 abstieg, erweckten Berichte von der drohenden Pleite der örtlichen Einzelhändler den Eindruck, die Pfalz würde den kollektiven Fußball-Tod sterben. In Stuttgart jammert niemand. Man erträgt das Schicksal des VfB aufrecht – so aufrecht wie Christian Gentner.