VfB-Präsident Bernd Wahler sieht sich einem Machtkampf mit den Fans ausgesetzt Foto: Baumann

Eine abgestrafte Führungsmannschaft und nichts Genaues zum Zukunftsprojekt Ausgliederung: Wie geht es nach der Mitgliederversammlung beim VfB Stuttgart nun weiter?

- Was bedeutet die Nicht-Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat?
Formaljuristisch können die Mitglieder Schadenersatzansprüche gegen die Vereinsführung wegen vermeintlicher Fehler geltend machen. Ein rein theoretisches Szenario, denn worauf sollten sich Regressansprüche gründen? Dass der Stürmer nicht ins Tor trifft? Die Abstimmung taugt aber als Stimmungsbarometer. Das Ergebnis (51,4 Prozent Nein-Stimmen für den Vorstand, 71,3 Prozent für den Aufsichtstat) hat den Führungsebenen zu denken gegeben. Natürlich war die Abstimmung noch einmal eine Abrechnung mit Ex-Vorstand Fredi Bobic (das Voting bezog sich auf das Kalenderjahr 2014). Aber auch Präsident Bernd Wahler durfte sich angesprochen fühlen.
Wie gehen die Gremien mit dem ausgesprochenen Misstrauen um?
Wahler war nach der Versammlung um Fassung bemüht. „Die ein oder andere Wortmeldung bleibt schon hängen“, sagte der 57-Jährige. Er muss sich vorkommen wie Sisyphos. Intern packt er seit seinem Amtsantritt im Juli 2013 kräftig an. Doch jedes Mal, wenn er den Stein ein Stück weit den Berg hochgerollt hat, schlittert die Mannschaft in die nächste Krise. „Dass die Fans die Fortschritte im Verein noch nicht sehen, kann ich verstehen. Sie sehen halt die Tabelle“, sagt der Präsident. Er konnte am Sonntag nichts anderes tun, als öffentlich Besserung zu geloben. Nur: Welche Hebel kann er noch in Bewegung setzen? Bis auf weiteres wird sein Handlungsspielraum auf Krisenmanagement begrenzt bleiben.
Der Chef des Aufsichtsrats unterstrich die Ehrenamtlichkeit seines Engagements. Sein Job sei eine Angelegenheit des Herzens, sagte Joachim Schmidt. Das miserable Ergebnis hat ihn wie ein Stich in selbiges getroffen. „Aber er ist ein Kämpfer“, sagt Wahler über den 67-Jährigen, der sich am Montag nicht äußern wollte. Ein Rücktritt Schmidts scheint ausgeschlossen, was sich bei den übrigen Mitgliedern nicht ohne weiteres sagen lässt. Eduardo Garcia (Garmo AG/Gazi), Hartmut Jenner (Kärcher), Wilfried Porth (Daimler) und Martin Schäfer (Würth) haben einen Ruf zu verlieren – und sich noch am Abend der Mitgliederversammlung über ihre Zukunft ausgetauscht.
Fehlt dem Aufsichtsrat die Sportkompetenz?
Fakt ist: Nach dem Ausscheiden von Hansi Müller setzt sich das Gremium in Gänze aus Abgesandten der Wirtschaft zusammen. Ein ehemaliger Brustring-Träger könnte sicher nicht schaden – zumindest für die Akzeptanz an der Basis. Thomas Hitzlsperger und Karl Allgöwer haben abgelehnt, jetzt nimmt der Ehrenratsvorsitzende Hermann Ohlicher zumindest regelmäßig an Sitzungen teil. Weitere VfB-Ikonen sind nicht in Sicht. Cacau (34) sieht sich eher im Jugendbereich – wenn er dem Verein denn erhalten bleibt.
Warum gab es inhaltlich nichts zur geplanten Ausgliederung?
Der VfB schiebt das Thema Ausgliederung der Profiabteilung auf die lange Bank. Was aufgrund der sportlichen Entwicklung durchaus nachvollziehbar ist. „Draußen herrscht eine kritisch-skeptische Grundstimmung“, sagt der Projekt-Verantwortliche Rainer Mutschler. Ursprünglich sollte auf der Mitgliederversammlung bereits über Inhalte informiert werden. Stattdessen erfuhren die 1500 Anwesenden in der Porsche-Arena nur die Daten von Regionalkonferenzen und Zukunftswerkstätten. Der VfB plant ein Mammutprogramm, um seine Basis einzubinden. Einige wie die Vertreter des Fan-Ausschusses waren über die Aufschiebung informiert – andere rieben sich am Sonntag verwundert die Augen. Sie sind der Auffassung, dass der VfB eine unternehmerische Entscheidung von solcher Tragweite selbst voranschieben sollte.
Was schwebt dem Verein vor?
„Es gibt kein fertiges Konzept“, sagt Mutschler, der den tendenziell negativ belegten Begriff Ausgliederung eher meidet und lieber von „Vereinsentwicklung spricht“. Ursprünglich sah der Plan vor, bis zu 25 Prozent der Anteile an regionale Partner wie Daimler zu veräußern. 70 Millionen Euro wurden angepeilt, der VfB würde seine Profiabteilung in eine Fußball-AG umwandeln. Als Vorbild dient am ehesten das Modell des FC Bayern München.
Wie groß stehen die Chancen, dieses Ziel zu erreichen?
Aktiengesellschaft – da sträuben sich vielen Anhängern des eingetragenen Vereins die Nackenhaare. „Viele wissen gar nicht, um was es eigentlich geht“, sagt Joachim Schmid vom Fanclub RWS Berkheim.„Die fragen sich: Kommt jetzt ein Scheich?“ Das sicher nicht. Den Verantwortlichen des VfB geht es darum, ein AG-Modell mit möglichst weitreichenden Mitspracherechten zu ermöglichen. Die erforderliche Dreiviertelmehrheit scheint aber in weiter Ferne. Als der Fahrplan zum Thema Vereinsentwicklung vorgestellt wurde, hatten viele die Halle bereits verlassen. Ein Ausdruck des jahrelangen Misstrauens in die Vereinsführung. „Ich befürchte, viele haben eine vorgefertigte Meinung und sind nicht bereit für einen Dialog“, sagt Wahler, der von einem „Machtkampf“ mit den Fans spricht. Die einflussreichen Ultras vom Commando Cannstatt haben ihre grundlegend ablehnende Haltung in einem Flugblatt zum Ausdruck gebracht. „Unser Ziel ist die Wahrung von Mitgliederrechten“, heißt es da.
Wie wird abgestimmt?
Bei der nächsten Mitgliederversammlung am 26. Juni 2016. An diesem Tag, einem Sonntag, finden auch Achtelfinalspiele der Fußball-EM mit möglicher deutscher Beteiligung statt. Der Verein hat die Veranstaltung aber vorsorglich vormittags terminiert. Sein Anliegen muss es sein, möglichst viele Mitglieder zu mobilisieren, um überhaupt eine Chance auf das Erreichen der Dreiviertelmehrheit zu haben.