Spielt sportlich keine Rolle beim VfB: Verteidiger Karim Haggui Foto: Baumann

Als Bankdrücker vom Dienst hätte Karim Haggui allen Grund zur Resignation. Stattdessen stellt der Innenverteidiger des VfB Stuttgart den Teamgedanken über sein persönliches Schicksal – woran auch seine Biografie schuld ist.

Stuttgart - Seine beste Zeit beim VfB liegt schon eine gefühlte Ewigkeit zurück. Im November 2013 bestritt Karim Haggui (31) drei Spiele in Folge über 90 Minuten. Seither kam er noch zweimal für je eine Minute zum Einsatz, in dieser Saison war er noch kein einziges Mal am Ball. Da kann schon mal Verbitterung aufkommen. So sagt Haggui über seinen letzten großen Auftritt beim 3:1 in Freiburg: „Wird man als Innenverteidiger bestraft, wenn man auswärts gewinnt?“

Bestraft worden ist er damals nicht. Es war nur so, dass Antonio Rüdiger eine Rotsperre abgebrummt hatte und wieder seinen Stammplatz einnahm – auf dem Rasen. Deshalb musste auch Karim Haggui auf seinen Stammplatz zurück – auf der Ersatzbank. „Danach“, sagt der gebürtige Tunesier mit deutschem Pass, „habe ich keine Chance mehr bekommen. Ich frage mich, warum.“

Die Antwort ist einfach: Karim Haggui, ausgestattet mit der Erfahrung aus 78 Länderspielen für Tunesien sowie 261 Erstligaspielen in Deutschland (Bayer Leverkusen, Hannover 96, VfB) und Frankreich (Racing Straßburg), hat seine liebe Mühe mit den Anforderungen des modernen Tempofußballs. Zu diesem Schluss sind alle seine Trainer seither gekommen, von Thomas Schneider über Huub Stevens bis zu Armin Veh und wieder Stevens.

Haggui weiß das, da macht er sich nichts vor. Aber er macht das Beste daraus – im Verborgenen. „Manchmal muss ein Spieler nicht auf dem Platz sein, um der Mannschaft zu helfen. In der Kabine kann auch jeder dazu beitragen, dass die Mannschaft erfolgreich ist“, sagt er und lebt es vor: „Ich weiß, dass ich neben dem Platz eine wichtige Rolle habe. Die nehme ich sehr ernst.“

Nun mag leicht der Eindruck entstehen, er sitze seinen Vertrag (bis Saisonende) einfach nur ab. Als trainiere er fleißig mit und beziehe seine größte Freude beim Blick auf die monatliche Gehaltsabrechnung. Ein Eindruck, der täuscht, wie intern allerorten zu hören ist. Haggui, heißt es, bereite sich gewissenhaft auf jedes Training vor, lasse sich nicht hängen und stehe den Mitspielern mit Rat und Tat zur Seite. Tatsächlich hat sein Wort Gewicht. Die Mitspieler schätzen Haggui für seine Kollegialität und Integrität. Haggui ist kein Dampfplauderer, vor allem nimmt er sich und sein Los nicht wichtiger als den Erfolg der Mannschaft. Das haben die Mitspieler schon gewürdigt, als sie Haggui bereits nach einem halben Jahr in den Mannschaftsrat gewählt haben. Und das zeigt sich seither in seiner internen Stellung, die ungleich höher ist als seine Bedeutung auf dem Rasen: „Ich spüre, wie die jungen Spieler auf mich hören.“

Haggui ist, neudeutsch gesagt, ein Teamplayer. Was nicht von ungefähr kommt. „Ich habe schon immer Verantwortung für andere übernommen“, sagt er. Fast sein ganzes Leben lang war das so – seit sein Vater gestorben ist, als er vier Jahre alt war. Mit seiner Mutter und fünf Geschwistern wuchs Klein Karim in Kasserine auf, das Geld war knapp, die Perspektive düster. Haggui war mehr gefordert als seine gleichaltrigen Kameraden, mit denen er kickte. Als er 13 war, zog er von der Familie weg, ins Jugendinternat von Etoile Sousse. Dort erlebte er eine neue Art von Verantwortung, zunächst für sich selbst, als Junge, der weitgehend auf sich allein gestellt war, aber weiter auch für seine Familie. Mit 18 wurde er Profi, mit 20 gewann er den Afrika-Cup, nahm an den Olympischen Spielen in Athen teil und ging ins Ausland. „Ich bin sehr früh erwachsen geworden“, sagt er. Zwangsläufig. Das Leben ließ ihm keine andere Chance.

Deshalb ist er nun vor Eitelkeiten, wie sie im Profigeschäft üblich sind, gefeit. Er hat seine Ansprüche der Realität angepasst, weil das seiner Mentalität entspricht. Dabei war er bei seinen vier Vereinen vor dem VfB jeweils Stammspieler. „Ich habe überall eine Hauptrolle gespielt“, sagt er, auch in der Nationalmannschaft, deren Kapitän er war. Auch da war er sich seiner Verantwortung bewusst, er hat sie gelebt, selbstlos bis zur Selbstaufgabe: 2012 hat er seinen Stammplatz freiwillig geräumt, weil er dem Neuaufbau nicht im Weg stehen wollte.