Martin Harnik (re.) zeigt im Trainingslager des VfB Stuttgart in Belek Physiotherapeut Gerhard Wörn sein Fußgelenk Foto: Pressefoto Baumann

Er war VfB-Profi, doch seine Bestimmung fand Gerhard Wörn erst danach: als Physiotherapeut.

Belek - Die Fans können Gerhard Wörn live bei seiner Arbeit beobachten. Immer dann, wenn während des Spiels ein Profi der Roten verletzt auf dem Platz liegt oder Richtung Seitenlinie humpelt. Dann eilt Wörn mit langen Schritten zu ihm hin und leistet erste Hilfe. Noch häufiger bekommen ihn die Zaungäste beim Training zu sehen. Da ist Wörn der Mann, der die Rekonvaleszenten beim Trimmtrab um die Plätze begleitet. Bei Wind und Wetter, im Sommer wie im Winter. Und das seit 1990. Wie viele Kilometer er in dieser langen Zeit heruntergespult hat? „Gute Frage“, sagt Gerhard Wörn (54) und lächelt, „darüber habe ich noch nie nachgedacht. Aber es müssen Tausende gewesen sein.“ Eher noch ein paar mehr.

Ihn als Laufburschen zu bezeichnen, ist deshalb nicht ganz falsch. Gerecht wird es seiner Arbeit aber nicht. Schließlich gehört der Mann, der in Weil im Schönbuch geboren wurde und seit vielen Jahren in Wernau wohnt, einer besonderen Spezies in der Bundesliga an. Hermann Rieger, der Dino vom Hamburger SV, ist weit vor seiner Pensionierung zur Legende geworden. Dieter Trzolek war einst bei Bayer Leverkusen und später beim 1. FC Köln eine Institution. Fredi Binder gehört zum FC Bayern wie die Isar zu München. Und dann kommt schon Gerhard Wörn. „Der Fußball ist ein Produkt, und ich bin ein Produkt des Fußballs“, sagt er.

Es reichte nicht ganz für oben

Schließlich begann seine Karriere schon vor 1990, als der Mannschaftsarzt Thomas Frölich den damaligen Masseur an der Göppinger Klinik am Eichert zu den Roten zurückholte. 1972 stieg Wörn als Spieler in der Jugend des VfB ein, im Trainingslager in Belek geht er also in sein 40. Jahr bei den Roten. „Der VfB zieht sich durch mein gesamtes Leben“, sagt er.

In seinem dritten Jahr im Nachwuchs des VfB wurde er deutscher Jugendmeister . Zusammen mit Hansi Müller und Harald Beck bekam er einen Profivertrag. Drei Jahre später musste er einsehen: Es reicht nicht ganz für oben. Wörn reihte sich in den Kader der zweiten Mannschaft ein, die damals noch Amateure hießen. Es war nicht zu seinem Nachteil. Am 20. Juni 1980 gewann er mit den Roten die deutsche Amateurmeisterschaft, an der Seite von Spielern wie Rainer Adrion, Werner Gass, Frank Elser und Gunnar Weiß. Die Erinnerung zaubert ihm noch heute ein Leuchten in die Augen: „Unser Teamgeist war einmalig. Wir hätten damals alles geschlagen, was sich uns in den Weg stellt.“

Und dennoch packt ihn beim Blick zurück Wehmut und Traurigkeit. Trainer war damals Willi Entenmann, der am Dienstag im Alter von 68 Jahren gestorben ist. „Er hatte das Gespür dafür, im richtigen Augenblick das Richtige zu tun und zu sagen. Er war der ideale Förderer für mich und alle anderen Spieler“, sagt Wörn. Die Verbundenheit mit Entenmann ist bis zuletzt geblieben, umso trauriger stimmt es ihn, dass er heute nicht bei seiner Beerdigung dabei sein kann. Das Trainingslager mit den Profis geht vor.

Nachhaltigkeit vor kurzfristigen Erfolg

Nach dem Titelgewinn 1980 spielte Wörn damals ein Jahr weiter, 1981 war Schluss mit der Karriere. Wehmut, dass es nicht zur Profi-Laufbahn gereicht hat, plagt ihn nicht. „Ich hatte damals Angebote vom 1. FC Köln und von Alemannia Achen und hätte vom VfB weg müssen, aber das wollte ich nicht“, sagt Wörn. Neben der Ausbildung zum Masseur spielte er beim SV Göppingen in der Oberliga – bis ihn 1990 Frölichs Ruf ereilte. Als Physiotherapeut der Profis erlebte Wörn Trainergrößen wie Arie Haan, erneut Willi Entenmann, Christoph Daum und Armin Veh. Wen er am meisten schätzen gelernt hat? „Mich hat nie ein Trainer besonders beeindruckt, jeder hat seine Spuren hinterlassen.“

Das macht Wörn auch längst beim VfB. So rasant, wie sich der Fußball verändert hat, so drastisch hat sich auch die Medizin und die Bedeutung der Physiotherapie im Fußball entwickelt. „Durch meine Vergangenheit als Fußballer besitze ich mehr Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse der Spieler. Ich weiß, was sie brauchen, das ist der Vorteil für meine Arbeit“, sagt er. Die Nachhaltigkeit einer Therapie geht ihm dabei immer über den kurzfristigen Erfolg. „Mein Anliegen ist es nicht allein, die Muskulatur schnell in Ordnung zu bringen, damit jeder Spieler am Samstag wieder eine Topleistung bringen kann. Ich möchte den Spieler weiter begleiten und mit meiner Arbeit Verletzungen vorbeugen“, sagt er.

Und wie das so ist, holt ihn die Gegenwart schneller ein, als ihm lieb ist. Im Training hat sich Stürmer Martin Harnik den Fuß verdreht. „Ich muss los, die Arbeit ruft“, sagt Gerhard Wörn und eilt auf den Platz. Die nächsten Meter für den Marathonmann.