Markus Weinzierl hat die Ruhe weg: „Wir arbeiten zielgerichtet weiter.“ Foto: Baumann

Anders als im Abstiegsjahr 2016 geht der VfB Stuttgart mit Ruhe und Besonnenheit ins Saisonfinale – mit zu viel Ruhe?

Stuttgart - Die Fußball-Bundesliga biegt auf die Zielgeraden ein. Sechs Spieltage noch, vielerorts der Zeitpunkt für letzte Personalkorrekturen. Der FC Augsburg versucht es mit Martin Schmidt anstelle von Manuel Baum auf der Trainerbank, Hannover 96 hat die geplante Zäsur vorgezogen und seinen Sportchef Horst Heldt schon jetzt vor die Tür gesetzt. Der FC St. Pauli hofft durch den neuen Coach Jos Luhukay noch auf einen starken Schlusssprint Richtung erste Liga.

Beim VfB Stuttgart, der im Heimspiel gegen Bayer Leverkusen (15.30 Uhr) um wichtige Punkte im Kampf gegen den Abstieg kämpft, gelten weitere Personalrochaden indes als ausgeschlossen. Zumindest legen dies die Aussagen von Sportvorstand Thomas Hitzlsperger nach dem 1:1 gegen den 1. FC Nürnberg nahe. „Wir ziehen das gemeinsam durch“, klingt nicht nach neuerlichem Trainerwechsel. Zumindest nicht in dieser Saison. Immerhin wurde am Donnerstag in Sven Mislintat ein neuer Sportdirektor verpflichtet. Der hat zwar zuvorderst die langfristige Personalplanung als Aufgabe, vielleicht hat seine Anwesenheit aber gerade deshalb auch eine kurzfristige Wirkung. Nun schaut noch einer mehr hin, wer sich in dieser Mannscahft als zukunftstauglich präsentiert. Setzt das noch einmal etwas frei beim einen oder anderen Spieler?

Welche Möglichkeiten hat Weinzierl?

Schwer zu sagen – und darauf verlassen sollte man sich nicht. Vielmehr liegt es nun an Markus Weinzierl, bis zum möglichen Saisonende am 27. Mai (dem Rückspiel der Relegation) noch einmal Schwung in eine Truppe zu bringen, die nach einem Aufwärtstrend zuletzt wieder seltsam blockiert wirkte. Nach dem mauen 1:1 gegen Nürnberg machte sich ein Gefühl der bleiernen Schwere über Club, Mannschaft und Fans breit. Der Tabellen-16. schien dem Abstieg näher als der Rettung.

Weinzierl muss noch einmal aufrütteln, die Sinne schärfen, neue Reize schaffen. Doch ist der 44-Jährige der Typ dafür? Und: Welche Optionen hält der psychologische Instrumentenkasten überhaupt bereit?

„Der wirkungsvollste Impuls wäre, die Mannschaft noch einmal umzustellen“, sagt der sportpsycholgische Berater Mirko Irion. Und zwar so, dass damit ein möglichst großer öffentlicher Erwartungsdruck einhergeht. Diese Möglichkeiten hat Weinzierl in den zurückliegenden Wochen aber weitgehend ausgeschöpft. Weder die Herausnahme von Mario Gomez noch von Christian Gentner zeigten nachhaltig Wirkung. Genauso wenig die Rückkehr von Anastasios Donis am vergangenen Wochenende. Personell scheint so gut wie alles durchexerziert.

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Bleiben teaminterne Maßnahmen. Die obligatorische Rafting-Tour hat der VfB in der Sommervorbereitung bereits hinter sich gebracht. Ohne nachhaltigen Erfolg, wie man inzwischen weiß. Mannschaftsabende in der Kneipe wirken irgendwie aus der Zeit gefallen. Seine Rolle als Mannschaftsführer legt Christian Gentner außerdem eher pragmatisch aus. Sich gegenseitig die Meinung zu geigen oder – der positive Ansatz – etwas gemeinsam zu unternehmen, hatte beim VfB zuletzt Seltenheitswert. Kürzlich besuchte ein Teil der Mannschaft samt Partnerinnen das neue Stuttgarter Musical Aladdin.

Auch Brandreden als finaler Wachrüttler sind aus dem roten Haus keine zu vernehmen. Die Ansage von Präsident Wolfgang Dietrich vor dem Spiel gegen den 1. FC Nürnberg („Wir brauchen vier Heimsiege – fertig“) ist rechnerisch schon wieder Vergangenheit, Sportvorstand Thomas Hitzlsperger stärkt bei seinen seltenen öffentlichen Auftritten den Coach – für alle zusammen gilt das Motto: In der Ruhe liegt die Kraft!

Experte stützt Handeln des Trainers

Sämtliche Abläufe rund um die Mannschaft bleiben unverändert. Ganz bewusst wird das so gehandhabt, um den Spielern Sicherheit zu vermitteln. Weinzierls einzige Aufsehen erregende Maßnahme zuletzt war die Suspendierung von Pablo Maffeo. An den Grundfesten der Mannschaft hat er damit nicht gerüttelt.

„Es bringt nichts, in Aktionismus zu verfallen“, betont der 44-Jährige vor den verbleibenden sechs Spielen. Die Stuttgarter sind schließlich ein gebranntes Kind. Das Kurz-Trainingslager auf Mallorca im Frühjahr 2016 (vor dem 32. Spieltag) entpuppte sich als Fiasko. Wenig später stieg der VfB ab. So angespannt die Lage im Club auch jetzt wieder ist, Weinzierl und seine Spieler vermitteln nach außen den Eindruck: Keine Panik auf der Titanic! Wird schon alles gut! „Wir arbeiten zielgerichtet weiter“, beteuert der Bayer und legt Wert darauf, dass er einen zentralen Punkt Woche für Woche überdenkt: Personal und Taktik.

Mirko Irion kann Weinzierls Bierruhe durchaus nachvollziehen. „Der Trainer ist offenbar überzeugt davon, seine Ziele zu erreichen. Große Veränderungen bergen immer auch Risiken. Deshalb behält er die Ruhe und sorgt für Stabilität.“ So stabil, wie der VfB seit Wochen auf dem 16. Platz festhängt. Fast scheint es, Trainer und Mannschaft wären Stand heute froh darüber, dort auch am Saisonende zu stehen. Weinzierl sieht’s pragmatisch: „Der Klassenverbleib ist ein Erfolg. Die Relegation wäre ein Weg zum Erfolg.“