Trainer in Aktion: Bruno Labbadia, Florian Kohfeldt, Tayfun Korkut, Stefan Ruthenbeck und Bernd Hollerbach (von links) sind während der Saison als Nothelfer eingesprungen. Foto: Getty, Baumann

Unter dem neuen Trainer Tayfun Korkut braucht der VfB Stuttgart nicht viel Ballbesitz, um Spiele zu gewinnen. Und wie läuft es gegen RB Leipzig?

Stuttgart - Pep Guardiola ist der Großmeister des Fußballs. Er erkennt Räume im Spiel, die sonst keiner sieht. Und wenn sich der Spanier in sein Trainerbüro zurückzieht, um die nächste Begegnung vorzubereiten, dann geht es immer auch darum, diesen einen Fehler im System des Gegners zu entdecken, diese Lücke zu finden oder zu reißen, durch die sein Team den Ball passen soll, um zum Erfolg zu kommen. Oft sitzt Guardiola stundenlang in seinem Kabuff. Er überlegt sich Matchpläne, verwirft sie wieder und denkt sich neue aus. Von zwei Grundsätzen verabschiedet er sich aber nie. Erstens: „Wir wollen den Ball haben.“ Zweitens: „Wir greifen an.“

Das war so beim FC Barcelona, danach beim FC Bayern und jetzt bei Manchester City. Ein Ballbesitzfußball der besonderen Art hat sich daraus ersponnen. Bewundert von den Fans, verehrt von den Fachleuten – und von Kollegen kopiert. Dabei geht der Ursprung dieser Spielidee keineswegs auf Guardiola zurück, er hat sie nur perfektioniert und sowohl die Primera División als auch die Bundesliga mit seinem Stil geprägt.

Dieter Hecking äußert Kritik

Doch im Jahr zwei nach dem Abgang von Fußballpapst Pep hat in der deutschen Eliteklasse ein Gegentrend eingesetzt: Erstmals seit der Saison 2014/2015 weisen Mannschaften mit weniger Ballbesitz wieder eine höhere Siegquote aus. Über 53 Prozent liegt diese. Das widerspricht Guardiolas reiner Lehre und ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass Ballbesitzfetischisten wie er oder Thomas Tuchel aktuell nicht in der Bundesliga aktiv sind.

„Schauen Sie sich in der Liga um“, sagt Dieter Hecking, Coach von Borussia Mönchengladbach: „Es gibt nicht mehr viele Mannschaften, die Fußball spielen wollen.“ Was auch einer Reihe von Trainerwechseln im Tabellenkeller geschuldet ist. Der 1. FC Köln vertraut mittlerweile auf Stefan Ruthenbeck, der Hamburger SV auf Bernd Hollerbach, der VfL Wolfsburg auf Bruno Labbadia und Werder Bremen auf Florian Kohfeldt – mit ihnen hat ein neuer Pragmatismus Einzug gehalten, da verteidigen einfacher als angreifen ist. Und das beste Beispiel lautet: Tayfun Korkut. Seit er den VfB Stuttgart übernommen hat, liegt die Ballbesitzquote im Schnitt bei spärlichen 39 Prozent. Allerdings scheint sich daraus im Kampf um den Klassenverbleib eine Erfolgsformel abzuleiten: wenig Ballbesitz, viele Siege.

Die Ausbeute von 13 Punkten aus fünf Spielen ist ein starkes Argument – mit einem Fußball, der sich auf einfache Prinzipien beschränkt. Viele hohe, weite Pässe, kaum Klein-Klein – das klassische Mittel von Außenseitern. Das wird sich auch am Sonntag (15.30 Uhr) nicht ändern, wenn RB Leipzig kommt. Ein Team, das überfallartig angreift – wenn es die Chance dazu erhält. Also wird Korkut die Räume verdichten lassen. Dazu gibt es nun weniger Personal- und Systemrochaden als unter Vorgänger Hannes Wolf, aber dafür mehr Sicherheit und eine höhere Effizienz. Wolf pflegte einen komplexeren Ansatz. In den 20 Erstligaspielen unter ihm kamen die Stuttgarter auf einen durchschnittlichen Ballbesitzwert von 50,6 Prozent. Weshalb der VfB mit 48,8 Prozent auf Rang acht liegt.

Doch wie seine Kollegen in Köln oder Bremen weiß auch Korkut, dass es spielerische Lösungen braucht, um sich oben zu halten. Eine vielbeinige Abwehr und Kampf allein reichen nicht mehr. Und der Glücksfaktor darf auch nicht unterschätzt werden, wie zuletzt wieder das Spiel beim 1. FC Köln gezeigt hat. „Wir waren früh gezwungen umzustellen“, sagt Korkut. Nicht jedoch um die Offensivkraft nach dem frühen Rückstand durch Claudio Pizarro zu erhöhen, sondern um ein weiteres Gegentor vor der Pause zu verhindern.

Für Korkut zählt nur das Ergebnis

Also lautete die Maßgabe: Fünferabwehr plus Vierermittelfeld. Eine Verschiebung, die Korkut zuvor in den Endphasen bevorzugt hatte, um jeweils den Vorsprung zu verteidigen. Doch die Kölner dominierten vom Anpfiff weg und bespielten über weite Strecken die sich bietenden Räume besser als der VfB, wie es im Trainerjargon heißt. „Die Stuttgarter haben lange Zeit gar nicht stattgefunden“, sagt Armin Veh.

Aber aus dem Nichts erzielte Mario Gomez zwei Tore, und dem FC-Geschäftsführer blieb nichts anderes, als immer wieder den Kopf über die Geschehnisse im Rhein-Energie-Stadion zu schütteln. Da boten die Gastgeber zunächst eine ihrer besten Saisonleistungen und standen am Ende doch als die großen Verlierer da. „Es ist nicht normal, dass ein Tabellen-18. so einen Ballbesitzfußball praktiziert“, sagt der FC-Coach Stefan Ruthenbeck. 58 Prozent an Ballaktionen wies die Statistik aus – oder umgekehrt: nur 42 Prozent für den VfB.

„Die wichtigsten Zahlen sind für uns im Moment die Ergebnisse. Das steht über allem“, sagt Korkut. Ein Tor mehr erzielen als der Gegner beziehungsweise eines weniger kassieren – 3:2, das ist die schlichte Wahrheit von Köln, und so soll es gegen die Elf von RB-Coach Ralph Hasenhüttl weiterlaufen. Im Geißbockheim stricken sie dagegen an der Legende, die wohl spielstärkste Mannschaft zu sein, die jemals abgestiegen ist. Vielleicht ein tröstender Gedanke, den aber selbst Guardiola nicht gutheißen würde. Denn zu den Leitsätzen des Katalanen gehört es auch, das schöne Spiel nicht um seiner selbst willen betreiben zu lassen. Guardiola will gewinnen – unbedingt und mit allen spielerischen Mitteln.

VfB Stuttgart - Bundesliga

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