Mit dem Wappenspruch der Württemberger und einem tapferen Ritter ins Derby gegen den alten Rivalen aus Baden – der VfB Stuttgart besiegte im September 2008 den Karlsruher SC mit 3:1 Foto: Baumann

Es ist nicht falsch, wenn ein Bundesligaverein die Öffentlichkeit interessiert. Der VfB Stuttgart steht aber im Zentrum einer Diskussion, die persönlich, politisch und manchmal polemisch geführt wird. Ist das Motto der alten Württemberger moralisch diskreditiert?

Stuttgart - Zoll wird an dieser Grenze schon lange nicht mehr erhoben. Wer sie überquert, kann sie trotzdem nicht übersehen. Plötzlich grüßen nahe Freudenstadt, Horb, Gernsbach oder Rottweil schwarz-rote Fahnen aus den Gärten gut gepflegter Eigenheime: Willkommen im Königreich Württemberg! Eine neckische Stichelei schwäbischer Patrioten gegen vermeintliche südbadische Separatisten. Und ein sympathischer Hinweis auf die landsmannschaftlichen Eigenheiten des Bindestrich-Landes Baden-Württemberg.

So wollten es auch die Pflegekräfte traditioneller Werte beim Verein für Bewegungsspiele 1893 verstanden wissen, als sie ihren neuen Slogan aus einer Zeit rekrutierten, in der König Wilhelm I. zwischen Bad Mergentheim und Friedrichshafen noch herrschte und teilte. „Furchtlos und treu“ stand auf den Bändern des Reichs-Wappens.

Und so steht es jetzt auch auf den Insignien Cannstatter Fußball-Herrlichkeit. Der Schriftzug „Furchtlos und treu“ ziert den Mannschaftsbus, die Homepage, Briefbögen und Fan-Artikel. Doch die mit langem Anlauf kreierte Corporate-Identity stößt nicht überall auf Begeisterung.

Teile der weiß-roten Fan-Gemeinde sind entsetzt. Die Anleihe aus den Zeiten der Monarchie entfachte einen Shitstorm im Netz, in den Zeitungsredaktionen stapeln sich die Leserbriefe, Meinungsmultis widmeten sich der Causa zustimmend wie ablehnend. Die Vorwürfe reichen von rückwärtsgewandt über altbacken bis chauvinistisch, militaristisch und rechtsextrem. Ein flüchtiger Blick in die Geschichtsbücher scheint dafür auch die passenden Argumente zu liefern.

„Furchtlos und treu“ stand auf den Koppelschlössern der Soldaten, die im württembergischen Regiment in den I. Weltkrieg zogen. Mehr denn je, rief König Wilhelm am 2.  August 1914 seinen Untertanen zu, sei dieses Motto in den anstehenden Schlachten zu beherzigen. Im II. Weltkrieg erschien eine Frontzeitung mit dem Titel „Furchtlos und treu“, geleitet von Georg von der Vring, der in den 30er Jahren als Lektor beim Südfunk Stuttgart arbeitete. Und in neuerer Zeit bemächtigte sich eine rechtsextreme Splittergruppe des Nazinetzwerkes „Blood & Honour“ des Württemberger-Mottos.

Jetzt blicken die Erneuerer auf dem Cannstatter Wasen einigermaßen ratlos hinüber zum nahen Württemberg (395 m). Dort wo 1083 noch die Burg Wirtemberg die Blicke auf sich zog, Stammburg des Hauses Württemberg. Wilhelm I. ließ an dieser Stelle 1824 seiner heiß geliebten und in jungen Jahren verstorbenen Katharina die berühmte Grabkapelle erbauen, bis heute beliebte Pilgerstätte frisch verliebter Paare. Doch der Sinn für Romantik hat unter den Traditionalisten des VfB Stuttgart inzwischen gelitten.

Der Streit ums VfB-Motto entwickelt sich zur heiklen Geschichte: Ist die gut gemeinte Hinkehr zu den Wurzeln des Landes ein sinnstiftender Akt mit schärfender Wirkung für die landsmannschaftliche Identität? In Freiburg, Karlsruhe und Hoffenheim schmettern die Fans vor jedem Spiel das Badner-Lied – und platzen fast vor Stolz. Oder ist der VfB das Opfer einer Gedankenlosigkeit , die den Hirnschalen radikal-kreativer PR-Gurus entsprungen ist?

Der Local Hero der Landesgeschichte jedenfalls schlägt sich öffentlich auf die Seite des auch in sportlicher Hinsicht nicht verwöhnten Bundesligisten. Der Stuttgarter Geschichts- und Geschichten-Kenner Gerhard Raff gratuliert den VfB-Verantwortlichen ausdrücklich zu ihrem Mut, „die schöne altwirtembergische Devise furchtlos und trew in zeitgemäßer Form wieder aufleben zu lassen“. Er verweist auf die demokratischen Anfänge des Landes, die nicht zuletzt durch Wilhelm I., dem „Reformer auf dem Königsthron“ (Paul Sauer), an Dynamik gewannen. Nicht ohne Grund habe Baden-Württembergs erster Ministerpräsident, Reinhold Maier, den amerikanischen Befreiern entgegen geschleudert: „Mir hend in Wirteberg scho en Landtag ghet, da isch euer Columbus no uffem Scheißhäfele ghockt!“

Mag der neue VfB-Slogan dem einen oder anderen das Nackenhaar sträuben, aus Sicht der Geschichtsexperten ist eher wenig gegen „furchtlos und treu“ zu sagen. Markus Friedrich, Historiker am Landesinstitut für Sportgeschichte in Maulbronn, rät, das Motto im Kontext der Verhältnisse um die Staufer-Begeisterung zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu bewerten. „Das war Lokalpatriotismus im positiven Sinne.“ Er hält es für falsch, die weiß-rote Devise „automatisch in die Ecke des Militarismus zu stellen“. So sieht es auch der bekannte Historiker und Autor Harald Schukraft. „Das Motto ‚furchtlos und treu’ hat nichts mit Kriegsverherrlichung zu tun“, sagt der Stuttgarter, „es kann bedenkenlos verwendet werden.“

Patriotische Parolen zierten zu fast jeder Zeit die Koppelschlösser aller Soldaten in den Landesregimentern. Dass einzelne, auch zwielichtige Gruppen im Lauf der Geschichte das Württemberg-Motto für ihre Zwecke eingesetzt haben, ist für Markus Friedrich kein ethisches K.-o.-Kriterium. „Das ist mir ein bisschen zu einfach, man darf diesen Leuten nicht die Deutungshoheit überlassen.“ Gerhard Raff spricht von der „demokratischen Pflicht, in den braunen Sümpfen germanischer Urwälder geistig zurückgebliebenen Zeit- und Volksgenossen diese schöne Devise wieder zu entreißen“.

Etwas vorsichtiger bewertet Rainer Schimpf, wissenschaftlicher Mitarbeiter am baden-württembergischen Haus der Geschichte, die Diskussionen. „Es ist sehr spannend, wie in diesem Fall Geschichte eingesetzt wird.“ Schimpf sieht „furchtlos und treu“ als Mittel zur regionalen Positionierung in einer globalisierten Welt, verhehlt aber nicht eine „gewisse Ambivalenz“. Wenn man den Slogan als Verein einsetze, müsse man um die Aneignungen und Deutungen, die es schon gegeben habe, wissen. Schimpf betont aber: „Wir sind nicht die Schiedsrichter.“ Das ist nach Einschätzung von Florian Gauss auch gar nicht nötig.

Der Archivar und Archäologe leitet seit Oktober vergangenen Jahres die historische Abteilung des VfB. Gauss hält das Württemberg-Motto für historisch und politisch unbedenklich: „Der VfB belegt es mit positiven Elementen.“ Furchtlosigkeit soll für die jungen und wilden Spieler des Bundesligisten stehen, Treue für die Heimatverbundenheit und den regionalen Bezug. „Wir haben uns im Vorfeld auch mit dem Haus Württemberg beraten. Da gab es keinerlei Bedenken.“

Eberhard Herzog von Württemberg ist Mitglied beim VfB und einigermaßen erstaunt über die Aufregung ums Motto. VfB-Marketingmann Jochen Spieth, Chef der Kampagne, war weniger überrascht. „Uns war bewusst, dass es polemische Kritik geben kann“, sagt er, „dennoch sind wir überzeugt: Dieses Motto passt zum VfB. Es wäre schade, es ein paar Idioten zu überlassen.“

So sieht es auch der harte Kern der Fans. Im September 2008 begeisterte die Cannstatter Kurve mit einer Darbietung, die vor dem Bundesligaderby gegen den Karlsruher SC den württembergischen Ritter unter dem Motto furchtlos und treu ins „letzte Gefecht“ gegen den alten Rivalen aus Baden schickte. Vergangenes Jahr wählten die Fans die Choreografie zur schönsten der Vereinsgeschichte. Das Motiv liegt als Poster im Fanshop aus. Der VfB siegte 3:1. Er soll ziemlich furchtlos aufgetreten sein.