Wieder eine vertane Chance der VfB-Stürmer: Martin Harnik (li.) Foto: Baumann

Chancen im Übermaß, aber zu wenig Tore: Noch ist nichts gewonnen. Der VfB muss im Saisonfinale beim SC Paderborn siegen, dann bleibt er  in der Bundesliga. Dazu braucht er Glück, Geduld – und Tore, Tore, Tore. In der kommenden Saison soll ein Mentaltrainer Abhilfe schaffen.

Stuttgart - Die historische Negativmarke hat der VfB gerade so umschifft. Auf 37 Saisontore ist der Verein in den Spielzeiten 2005/06 und 2012/13 gekommen – es waren jeweils die wenigsten Treffer in seiner Bundesligageschichte. Aktuell steht der VfB einen Spieltag vor Schluss bei 173 Schüssen und 40 Saisontoren – macht eine Trefferquote von 23,1 Prozent.

Gelingt an diesem Samstag beim Finale in Paderborn ein Volltreffer, erreicht er die Marke aus der Saison 1998/99, mit zwei Toren zieht er mit den Spielzeiten 1965/66 und 2000/01 gleich. So oder so: Die VfB-Profis treffen eindeutig zu wenig. „Auch deshalb stehen wir so weit unten“, sagt Kapitän Christian Gentner.

Normalerweise schafft der VfB mühelos 50 Treffer in 34 Spielen, mit der Tendenz zu 60 oder gar 70 Treffern. Warum er der eigenen Norm hinterherhinkt, wurde selten deutlicher als zuletzt beim 2:1 gegen den Hamburger SV. Da hatte der VfB Chancen zuhauf, die allerwenigsten hat er genutzt. Filip Kostic (40., 49., 74., 84.), Martin Harnik (44., 62., 82.), Daniel Didavi (61.), Timo Baumgartl (63.), Christian Gentner (83.) und Timo Werner (88.) – alle schossen sie Fahrkarten, um nur die auffälligsten Möglichkeiten zu nennen. Etliche parierte HSV-Torhüter René Adler, für die anderen galt: Knapp daneben ist auch vorbei. „Klar wäre es beruhigender gewesen, wenn wir mehr Tore erzielt hätten“, sagt Timo Baumgartl (19), „aber man kann es sich nicht aussuchen.“

Aussuchen vielleicht nicht, aber steuern. Wobei Torschusstraining bis zum Morgengrauen keineswegs die effektivste Methode darstellt. „In der jetzigen Situation, drei Tage vor Saisonende, wird das die Qualität der Torabschlüsse nicht wesentlich verbessern“, sagt VfB-Sportvorstand Robin Dutt. Vielversprechender ist es aus der Sicht des langjährigen Bundesligatrainers, „den Spielern Vertrauen zu schenken und sie zu bestärken“. Da hält es Dutt wie Trainer Christian Streich, der die Torflaute des SC Freiburg im März so moderierte: „Wir dürfen das nicht zerreden, sonst werden die Jungs alles, nur nicht sicherer.“ Der einzige Ausweg sei: „Üben und die Spieler bestärken – damit sie sich trauen und eine Leichtigkeit im Spiel entwickeln.“

Üben, aber wie?

Am besten mit Methodik.

Ein Pass, eine Flanke – und draufhalten: Das gilt in Fachkreisen eher als Spaßübung. „Torschussübungen sollten so nahe wie möglich an eine Wettkampfsituation angelehnt sein und Spielsituationen simulieren“, sagt ein Experte aus dem Lehrstab des Württembergischen Fußball-Verbandes (WFV).

Dabei kommt es auf die (geringe) Anzahl an Schussversuchen an – weniger ist mehr! „Der Trainer muss den Spielern klarmachen: Du hast nur eine Torchance – mach sie rein!“ Um eine Drucksituation, ähnlich wie im Spiel, aufzubauen, müsse den Spielern klar sein: Ihr tragt für die ganze Mannschaft Verantwortung. „Der Trainer kann ihnen klarmachen: Wenn du die Chance vergibst und kein Tor machst, muss die ganze Mannschaft deshalb zusätzliche Aufgaben übernehmen.“ Indem sie noch mehr aufs gegnerische Tor drängt und jeder andere ein Stück mehr Verantwortung aufgebürdet bekommt.

In der Praxis hat es sich auch bewährt, wenn der Trainer auf dem Rasen einen Fleck markiert, auf dem die Stürmer präzise angespielt werden, und ihnen das Schussziel vorgibt. „Damit nimmt er dem Spieler diese Entscheidung ab, die Schützen können sich ganz auf den Torschuss konzentrieren. So ergeben sich dann Automatismen“, sagt der WFV-Experte. Was darauf hindeutet: Beim Torschuss entscheidet sich viel im Kopf.

Gespräche sind deshalb wichtig. „Aber nicht übertreiben“, warnt der WFV-Lehrer, „und immer das Positive betonen – zum Beispiel, dass sich der VfB gegen den HSV viele Torchancen überhaupt erst herausgearbeitet hat.“ Auch spezielle Konzentrationsübungen und die Arbeit mit einem Mentaltrainer sind eine Hilfe – nicht einmal, nicht zweimal, sondern dauerhaft. Was Robin Dutt durchaus begrüßt.

„Was das betrifft, bin ich ein Anhänger der Langfristigkeit“, sagt der Sportvorstand. In der Winterpause hatte der VfB einmalig einen Mentalcoach zurate gezogen, damals eher wegen der Tabellensituation des Vereins. Zur neuen Saison soll dauerhaft ein Mentaltrainer anheuern, der sich dann auch speziellen Bereichen wie dem Torschusstraining widmen soll. So lange – und vor allem für das Finale in Paderborn – gilt das Motto von Trainer Huub Stevens: „Geduld bewahren – und immer ein Tor mehr erzielen als der Gegner.“ Egal wie.