Vor einem Jahr hat der VfB Stuttgart seiner Profisparte nach langen Debatten den Rahmen einer Aktiengesellschaft gegeben. Seither profitiert der Verein für Bewegungsspiele nicht nur sportlich. Eine Bilanz.
Stuttgart - Der Herr der Zahlen weiß Bescheid. „Vor 748 Tagen sind wir abgestiegen, vor 599 Tagen wurde Wolfgang Dietrich zum Präsidenten gewählt und vor 376 Tagen sind wir wieder aufgestiegen“, sagt Stefan Heim. Der Finanzvorstand des VfB Stuttgart hat diese Meilensteine der Vereinsgeschichte stets parat. Und vor 365 Tagen hat der Bundesligist die Profisparte aus dem Hauptverein auf seine Tochtergesellschaft übertragen. In einer denkwürdigen Mitgliederversammlung stimmten 84,2 Prozent für die Ausgliederung.
Seit diesem historischen Schritt firmieren die Fußballer unter der VfB Stuttgart 1893 AG – einer nicht börsennotierten Aktiengesellschaft. „Die Mitglieder haben mit ihrer Entscheidung die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft gestellt“, sagt der Präsident Wolfgang Dietrich. 41,5 Millionen Euro für 11,75 Prozent der Anteile erlösten die Stuttgarter dadurch von ihrem Ankerinvestor – der Daimler AG. Seither stellt sich die große Frage: Was hat die Ausgliederung denn gebracht? Ein Überblick.
Spieler
30 Millionen Euro hat der VfB in der kürzlich abgelaufenen Saison in Beine gesteckt. Den größten Teil davon in Ablösesummen für neue Spieler. Dazu kamen noch diverse Vertragsverlängerungen mit entsprechenden Gehaltssteigerungen. So wurden Benjamin Pavard und Timo Baumgartl längerfristig an den Verein gebunden. „Hätten wir die Ausgliederung nicht vollzogen, hätten wir einen Großteil dieser Aktivitäten wirtschaftlich nicht stemmen können“, sagt der Finanzchef Stefan Heim. Oder anders ausgedrückt: Ungefähr Zweidrittel der Neuverpflichtungen wie zum Beispiel Ron-Robert Zieler, Mario Gomez, Santiago Ascacibar, Anastasios Donis, Holger Badstuber oder Chadrac Akolo wären ohne die Ausgliederung nicht möglich gewesen.
„Diese positive Entwicklung wirkt sich nun auch bereits auf die kommende Spielzeit aus“, sagt der Präsident Wolfgang Dietrich. Mit dem frühzeitigen Klassenerhalt und der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit wurden kurz nach dem Saisonfinale fünf Neuverpflichtungen und zwei Vertragsverlängerungen vermeldet. Insgesamt sollen in der neuen Saison wieder mehr als 25 Millionen Euro in Spieler fließen. „Durch die positive Entwicklung der Mannschaft hat sich ein sportlicher Erfolg über Plan eingestellt. Der siebte Tabellenplatz war nicht zu erwarten“, sagt Dietrich. Trotzdem bleibt es das Ziel, das Team nachhaltig zu entwickeln und in der nächsten Saison einen Mittelfeldplatz zu erreichen.
Entwicklung
Durch den sportlichen Erfolg hat sich eine Vielzahl von positiven Effekten eingestellt. Aber auch ansonsten wirken die Investitionsmöglichkeiten dank der Daimler-Millionen offenbar wie ein Schwungrad. Die Mitgliederzahlen sind auf das Rekordhoch von 62 500 angestiegen. Im nationalen Zuschauerranking belegt der VfB Platz vier. Erfolgsprämien im Sponsoring kommen zum Tragen und mit Jako wurde ab 2019 ein neuer Partner im Ausrüstungsbereich gewonnen, der mehr bezahlt als Puma bisher. Im TV-Ranking machte der Aufsteiger gleich mehrere Plätze gut, die aufgrund der Fünfjahreswertung Mehrerlöse einbringen. Auch im Logen-, Business- und Fanartikelbereich gab es zusätzliche Erlöse.
„Wir werden den Gegenbeweis zwar nie antreten können, aber ohne Ausgliederung wäre eine solch gute Entwicklung sicher nicht möglich gewesen“, sagt der Finanzvorstand Stefan Heim. Und dank der verbesserten Eigenkapitalstruktur kann der VfB bis auf Weiteres aus einer Position der Stärke agieren. Dazu zählt, dass er nicht erst Spieler verkaufen muss, bevor er andere holt. Und dazu zählt auch, dass die VfB Stuttgart 1893 AG gewillt ist, ein kontrolliertes Risiko einzugehen und für eine gewisse Zeit nicht jede Jahresbilanz mit einer schwarzen Null abschließen wird, um weiter in die Mannschaft investieren zu können. Im Gegenzug konnte bereits aktuell der Wert des Lizenzspielerkaders enorm gesteigert werden – auf 140 Millionen Euro.
Infrastruktur
Im Vorfeld des 4:1 gegen den FC Bayern nutzte Stefan Heim die Gelegenheit und schaute sich den neuen Bayern-Campus an. Nahezu 100 Millionen Euro hat sich der deutsche Rekordmeister seine Nachwuchsakademie kosten lassen. Acht Spielfelder, ein Schwimmbad und Essen vom Sternekoch sollen dafür sorgen, dass wieder eigene Stars der Zukunft heranwachsen. Beim VfB gehört dieses Ansinnen ja schon seit Jahrzehnten zur Philosophie.
Allerdings können sich die Stuttgarter eine solche Luxusstätte, wie sie auch RB Leipzig oder 1899 Hoffenheim pflegen, nicht leisten. Aber: durch die Ausgliederung waren sie in der Lage, zehn Millionen Euro in infrastrukturelle Maßnahmen auf dem Vereinsgelände zu stecken – vor allem in die Sanierung und Modernisierung der sechs eigenen Trainingsplätze. So wurden alle Plätze modernisiert, eine weitere Rasenheizung eingebaut und Trainingskamerasysteme installiert, um die Übungseinheiten dokumentieren und auswerten zu können. „Die Plätze sind schließlich die Klassenzimmer für unsere Toptalente“, sagt der VfB-Finanzchef Heim. Im Herbst sollen die Baumaßnahmen dann abgeschlossen sein.
Nachwuchs
Auch die Nachwuchsabteilung profitiert von der Ausgliederung. So wurde eine Reihe von Verträgen mit U-17-Spielern verlängert. Darunter der begehrte Stürmer Leon Dajaku, der künftig mit den Profis trainieren soll. Das verleiht dem VfB das gute Gefühl, dass man ihm nicht mehr so einfach seine Spitzentalente vom Hof holen kann. „Wir waren auch in diesem Bereich in der Lage, in unsere Zukunft zu investieren“, sagt der Finanzvorstand Stefan Heim.
Zudem ergaben sich neue Handlungsoptionen. Der VfB Stuttgart überweist für Roberto Massimo 2,5 Millionen Euro an Arminia Bielefeld. Viel Geld für ein 17-jähriges Talent, das zunächst wieder an den Zweitligisten ausgeliehen wird. Für David Kopacz von Borussia Dortmund ist zwar keine Ablöse fällig, aber die Stuttgarter konnten dem 18-jährigen Mittelfeldspieler eine Perspektive aufzeigen. Unabhängig davon bleibt es ein Ziel, wieder mehr eigene Nachwuchskräfte an die Profis heranzuführen. Deshalb arbeitet die Vereinsführung daran, eigene Sponsoren für die Jugend zu finden. 60 Prozent des Acht-Millionen-Etats sind bereits gedeckt, um die Nachwuchsabteilung finanziell auf eigene Beine zu stellen.
Verein
Wolfgang Dietrich ist überzeugt, dass ein Verein wie der VfB langfristig nur Erfolg haben kann, „wenn er die Balance zwischen Tradition und Kommerz hinbekommt“. Die Stuttgarter sieht er auf einem guten Weg, da die Ausgliederung nicht nur frisches Kapital gebracht hat, sondern dem Bundesligisten weitere Möglichkeiten eröffnet. Aufgrund der verbesserten Eigenkapitalstruktur kann der VfB auch gegenüber Banken aus einer verbesserten Position agieren.
Gleichzeitig verfestigt sich der Eindruck, dass die Ausgliederung den Verein nicht entzweit hat. Jahrelang belastete das Thema den VfB, seit der Entscheidung ist weitgehend Ruhe eingekehrt – auch wenn es Fans gibt, welche die Ausgliederung weiterhin nicht befürworten. Doch wie der Präsident betont, will der VfB Stuttgart auch jenen Mitgliedern „eine Heimat“ bieten, die gegen die Ausgliederung gestimmt hatten.
Investoren
Der VfB liegt bei seiner Suche nach einem weiteren Investor im Zeitplan. Im Laufe der Saison 2018/2019 soll der nächste Geldgeber präsentiert werden. In dieser Transferperiode müssen die Stuttgarter ohne eine zweite Tranche auskommen. Doch das beunruhigt beim VfB niemanden. Erstens wurde mit den Neuverpflichtungen bereits gezeigt, dass man weiterhin handlungsfähig ist und die weitere sportliche Entwicklung abwarten kann. Und zweitens will der Präsident Wolfgang Dietrich ohnehin nicht unter Zeitdruck agieren. Er beginnt jetzt mit seinen Sondierungsgesprächen.
„Wir haben unsere Anforderungen an einen potenziellen neuen Investor formuliert“, sagt Dietrich. Über mögliche Kandidaten schweigt er sich aus. „Ich kann die Mitglieder nur um Vertrauen bitten. Wir werden den nächsten Schritt auf Grundlage des Mitgliederbeschlusses vom 1. Juni 2017 sehr sorgfältig angehen und versuchen, das Beste herauszuholen“, sagt der Clubchef, der auch als Aufsichtsratsvorsitzender der AG fungiert. Es zeichnet sich aber ab, dass es die regionalen Unternehmen Würth und Kärcher nicht werden. Würth hat bereits erklärt, sich nicht als Investor zu sehen. Klar ist, dass der VfB nicht mehr als zwei weitere Investoren gewinnen will. Laut Plan müssten diese bis zu 60 Millionen Euro in die Kasse spülen. Der Vereinswert betrug vor einem Jahr 353 Millionen Euro.
Fazit
„Die Fans können wieder stolz auf ihren VfB sein“, sagt Wolfgang Dietrich. Der Clubchef macht das Stimmungshoch unter anderem an der ersten Mitgliederversammlung nach der Ausgliederung im Dezember des vergangenen Jahres fest. „Sämtliche Gremien wurden mit deutlicher Mehrheit entlastet“, sagt Dietrich und kann auf der nächsten Mitgliederversammlung am 10. Juni auf eine Erfolgsbilanz verweisen. Spannend bleibt jedoch die Frage, ob es dem VfB gelingt, den eingeschlagenen Weg fortzuführen. Schließlich ist es das erklärte Ziel, sich mittelfristig im oberen Tabellendrittel zu etablieren.