Fassungslos: dem VfB-Torwart Ron-Robert Zieler unterläuft gegen Werder Bremen ein Eigentor mit fast schon historischer Qualität. Danach ist der 29-Jährige bedient.Foto:Pressefoto Baumann Foto:  

Trotz kuriosen Eigentors – der VfB Stuttgart gewinnt gegen Werder Bremen, weil er sich auf ein Spektakel einlässt. Nun will der Fußball-Bundesligist daraus Energie für das Spiel bei Hannover 96 ziehen.

Stuttgart - Diese Szene wird Ron-Robert Zieler noch lange verfolgen. Vermutlich ein Torwartleben lang. Ausgerechnet ihn, der jahrelang durch unaufgeregtes und komplettes Spiel mit Händen und Füßen überzeugt hatte. Doch wie Jean-Marie Pfaff anno 1982 im Gehäuse des FC Bayern hat nun auch Zieler gegen Werder Bremen ein Tor durch einen Einwurf hinnehmen müssen. Anders als vor 36 Jahren warf diesmal aber kein Gegner (Uwe Reinders), sondern ein Mitspieler: Borna Sosa.

Der Linksverteidiger des VfB Stuttgart täuschte nach vorne an und überraschte dann seinen eigenen Schlussmann mit dem Einwurf nach hinten. Seine Stutzen hatte der 29-Jährige gerade gerichtet, sich einen Augenblick der Unaufmerksamkeit geleistet und dann rollte dieser vermaledeite Ball auf ihn zu. Nach einer Schrecksekunde wollte Zieler den Ball klären – und das war fatal. Denn erst durch seine leichte Berührung kam es zum Eigentor. Ansonsten hätte es laut dem Reglement Eckball gegeben.

Zieler war fassungslos. Wie alle, die es gesehen hatten. „Da ist vielleicht Bundesliga-Geschichte passiert, und ich Idiot habe gar nicht hingeschaut“, meint Florian Kohfeldt. Wie dem Werder-Trainer erging es vielen Zuschauern im Stadion (68.). Zum Glück für Zieler und den VfB war die historische Dimension nur vorübergehend, weil die Stuttgart noch mit 2:1 gewannen.

Zielers Verteidigungslinie

Deutlich entspannter verliefen deshalb auch die Diskussionen über die vermeintliche Schuldfrage. Zieler stellte sich seiner Verantwortung. „Ich wüsste nicht, wie ich ein kurioseres Tor bekommen könnte“, sagt der Keeper und seine Verteidigungslinie zielt darauf, dass Sosa schon auch hätte schauen müssen, ob er bereit sei. Zudem missachtete der junge Kroate eine weitere Grundregel des Fußballs, da er den Ball auf das Tor warf und nicht seitlich davon, wie es schon in der Jugend gelehrt wird. Dennoch: Zum Torwartspiel gehört es, das Spielgerät immer im Blick zu haben – auch wenn gerade eine Auswechslung über die Bühne geht.

„Ich möchte nicht nach einem Schuldigen suchen“, sagt dagegen Tayfun Korkut. Der VfB-Coach weiß, dass es zu Zielers Stärken gehört, nach Fehlern (und davon gab es zuletzt einige) nicht zu wackeln. Wichtiger war es ihm zu sehen, wie sich seine Mannschaft von diesem Schock erholte. Schließlich hatte der Ausgleich nach dem Führungstreffer durch Anastasios Donis (19.) das Potenzial, ein Trauma hervorzurufen. Doch die Stuttgarter kämpften sich gegen alle Widerstände, die spielstarke Bremer ihnen auch in Unterzahl boten, zurück. Gonzalo Castros Treffer (75.) löste dann Erleichterung aus – allerdings erst nach einer irren Schlussphase, die eines offenbarte: Der VfB kann auch Spektakel.

Untypisch mag das erscheinen für eine Mannschaft, die in der vergangenen Rückrunde noch durch ihren Pragmatismus bestach und zuletzt als Offensiv-Langweiler auftrat. Doch es greift zu kurz, Korkuts Team darauf zu reduzieren. Der Trainer sucht schon länger nach einer offensiven Lösung für das Stuttgarter Spiel – und gegen Werder schien er die richtige Statik gefunden zu haben.

Korkuts Statik

Mit Donis als Sturmpartner von Mario Gomez und Daniel Didavi als Mann für die entscheidenden Pässe dahinter. Doch aufgrund der Verletzung von Donis war dem VfB nur ein kurzer Blick in die Zukunft mit dem wilden Griechen vergönnt. In einer Raute hatte Korkut sein Mittelfeld angeordnet, dem einstigen Markenzeichen eines Bremer Galafußballs. An diese Zeiten erinnerte die aktuelle Elf mit großem Offensivgeist. Trotz der Gelb-Roten Karten für Milos Veljkovic (36.) wurde angegriffen. „Die Bremer haben nach dem Platzverweis weitergespielt, als ob nichts gewesen wäre“, sagt Korkut.

Seine Formation stand dagegen plötzlich als die Mannschaft da, die etwas zu verlieren hat. Viel läuft in solchen Phasen in den Köpfen ab – und weniger in den Beinen. Da jedoch auch Korkut kein Unentschieden im Sinn hatte, spielten die Gastgeber ebenfalls wie entfesselt. Bei Werder waren von neun Feldspielern vier Stürmer, und der VfB hielt mit sämtlichen Offensiveinwechslungen dagegen. „Wir hatten den Mut, nach vorne zu denken, und die Hartnäckigkeit, es umzusetzen“, sagt Korkut.

Hohes Risiko ist der Trainer dabei gegangen – ohne Rücksicht auf seine scheinbar geschwächte Position nach dem verpatzten Saisonstart. „Dieser erste Saisonsieg kann uns einen Schub geben“, sagt der Manager Michael Reschke. Neue Energie will der VfB daraus ziehen. Wenngleich der Trainer ganz der Realist bleibt, der er schon vorher war. „Wir haben jetzt eine schwierige Etappe bewältigt, aber noch lange keinen Berg erklommen“, sagt Korkut vor dem nächsten Spiel bei Hannover 96.