Der VfB-Sportvorstand Michael Reschke (li.) hat sieben neue Spieler geholt, der Trainer Tayfun Korkut soll nun möglichst viel aus ihnen herausholen. Foto: Baumann

Neue Spieler und frisches Selbstvertrauen – der VfB Stuttgart geht gestärkt in die Saison. Ob es für die Stuttgarter aber auch schon in den Europapokalrang reicht, ist vor dem Start beim FSV Mainz 05 jedoch die große Frage.

Stuttgart - Die Begeisterung kennt keine Grenzen. Ganz gleich, zu welcher Uhrzeit Wolfgang Dietrich während seines Besuchs im Trainingslager aus dem Hotelfenster in Grassau geschaut hat, immer sah der Präsident des VfB Stuttgart Fans vor dem neuen Mannschaftsbus stehen. Sie suchten nach ihren Namen auf der rechten Flanke des Gefährts. Auch beim Jubiläumsfest des Fußball-Bundesligisten war das Gedränge groß – und die Freude ebenso, wenn die Anhänger ihren Namenszug gefunden hatten. Ein Aufschrei, ein Lächeln, ein Foto. „Mit euch an unserer Seite“, lautet das Motto der Aktion, bei der sich 40 000 VfB-Mitglieder melden konnten, um auf dem Teambus ihrer Lieblinge verewigt zu werden.

Ein gelungener PR-Gag mag man meinen, aber beim Verein für Bewegungsspiele von 1893 betrachten sie 125 Jahre nach der Gründung die rege Beteiligung auch als Zeichen einer hohen Identifikation. Schon lange war die Stimmung rund um den Wasenclub nicht mehr so gut wie im Vorfeld der anstehenden Saison. Doch mit den vielen Emotionen gehen in Stuttgart leicht auch hohe Erwartungen einher. Das ist der Zwiespalt, in dem der VfB steckt. Einerseits ist er stolz darauf, was er in den vergangenen zwei Jahren alles erreicht hat, andererseits sollen die Ansprüche an die Mannschaft nicht zu schnell steigen. Als Aufsteiger sprang am Ende der Vorsaison der siebte Tabellenplatz heraus – überraschend gut und ganz nah an den Europapokalrängen.

Starke Konkurrenz

„Wir haben unseren Mehrjahresplan aber nicht verändert“, sagt Dietrich. Ein Platz im Mittelfeld ist das Saisonziel. Das klingt zwar bescheiden, erscheint den Verantwortlichen aber realistisch. „Schauen Sie doch, wer unmittelbar vor uns lag“, sagt der Manager Michael Reschke. RB Leipzig und Bayer Leverkusen – zwei Clubs, die über mehr Geld als der VfB verfügen. Plus die Vereine auf den Champions-League-Rängen (FC Bayern, Schalke 04, 1899 Hoffenheim, Borussia Dortmund) ergibt das eine Spitzengruppe, in die schwer vorzudringen ist. Auf Augenhöhe mit diesen Konkurrenten wähnt sich der VfB noch nicht, wenngleich es ihm schmeichelt, dass er in der Branche wieder als stiller Europapokalanwärter wahrgenommen wird. Denn Rückrunden-Vizemeister war er ja, personell gut verstärkt hat er sich nun, und das Selbstvertrauen ist mitgewachsen. „Ich bin überzeugt, dass wir nicht groß mit dem Kampf gegen den Abstieg zu tun haben werden“, sagt Reschke. Trotz der vielen Sonne an der Mercedesstraße will sich der Sportchef aber nicht blenden lassen. Auch hinter den Stuttgartern ist das Feld dicht gedrängt. Und das Auftaktprogramm des VfB weckt gemischte Gefühle: Zuerst wird in Mainz gespielt, wo sich die Elf zuletzt zweimal den Schneid abkaufen ließ; dann kommt der FC Bayern, der eben der FC Bayern ist; anschließend geht es nach Freiburg, wo zwar die Statistik stimmt, sich allein mit dem Verweis auf die Zahlen jedoch auch kein Spiel gewinnen lässt.

Keine Zweifel an der Qualität des Kaders

Für möglich hält es Reschke da, dass die Mannschaft nicht auf Anhieb mit Punkten glänzt. An der Qualität des Kaders zweifelt jedoch keiner. Sieben neue Spieler wurden dazugeholt. Darunter die erfahrenen Gonzalo Castro und Daniel Didavi, die das spielerische Niveau heben. Ebenso wurde die Zusammenarbeit mit Holger Badstuber verlängert. Davor war schon Mario Gomez verpflichtet worden. Dazu kommen die jungen Nicolas Gonzalez, Marc-Oliver Kempf, Pablo Maffeo, Borna Sosa und David Kopacz. Zusammen ergibt das ein Investitionsvolumen von 30 Millionen Euro und einen verheißungsvollen Kadermix. Denn der VfB leistet sich wieder prominente Namen wie Gomez und Badstuber, er entwirft gleichzeitig aber Perspektivszenarien und steckt auch viel Geld in Talente wie Gonzalez und Maffeo. Risikoanlagen sind das, weil sich die Spieler ebenso wie Kempf oder Sosa noch entwickeln sollen. Doch Michael Reschke ist sich sicher, dass dies innerhalb eines stabilen Gefüges gelingen wird. Nach wie vor bilden Christian Gentner, Ron-Robert Zieler, Mario Gomez und Holger Badstuber die Säulen im Konstrukt von Tayfun Korkut. Um sie herum soll der Trainer weiter an einem Team der Zukunft bauen. Wie viel Jugendstil er dem VfB aber schon jetzt hineinmischt, ist eine der spannenden Fragen vor dem Rundenbeginn. Ebenso, ob der 44-Jährige von seiner pragmatisch orientierten Spielweise abrückt und den Stuttgartern mehr fußballerische Freiheiten erlaubt.

Neue personelle Möglichkeiten

Die personellen Möglichkeiten für eine größere Variabilität bestehen, aber Korkut ist bisher nicht dadurch aufgefallen, dass er zu Wechselspielchen neigt. Experimente blieben während der Vorbereitung aus. Der Coach schob Spieler nur punktuell auf neue Positionen und er vertraut auf sein bewährtes Defensivsystem – mit Viererabwehrkette, mit zwei defensiven Mittelfeldspielern im Zentrum – der Rest in der Offensive findet sich. „Wir müssen uns zunächst darauf besinnen, was uns in der vergangenen Rückrunde stark gemacht hat“, sagt Korkut. Disziplin, Mentalität, Effizienz – das ergab einen Fußball, der die Ergebnisse weit über den Erlebniswert stellte. Dennoch lässt die positive Entwicklung den VfB nach oben schauen. Von ungeahnten Höhenflügen träumen die Spieler jedoch nicht. „Wir müssen demütig bleiben“, sagt Badstuber, „und wenn einer von uns glaubt, er müsse abheben, dann werden wir ihn schon wieder auf den Boden holen.“ Diese Selbstregulierungskräfte im Team sind so ganz nach dem Geschmack der Verantwortlichen. Zu tief ist der VfB in der Vergangenheit gefallen, als dass er schon wieder große Töne spucken will. Der herrschenden Euphorie um die Mannschaft zum Trotz, denn als zu schwer kann sich die Last der Erwartungen eben auch erweisen.