VfB-Maskottchen auf symbolträchtiger Fahrt im Paternoster: Ein ständiges Auf und Ab Foto: dpa

Wenn die Not beim VfB Stuttgart am größten ist, tagt wie immer das Tribunal der Empörung.Dann müssen Köpfe rollen. Akut gefährdet sind Trainer, Sportchefs, Präsidenten. Aber die Geschichte lehrt etwas anderes.

Stuttgart - Arie Haan, einer der gefühlt 150 ehemaligen Trainer beim VfB Stuttgart, zog stets den Zeigefinger durch den Staub auf dem Thekentisch, wenn er die Schicksalhaftigkeit des Spiels zu erklären versuchte: „Der Ball geht im ersten Saisonspiel nach fünf Minuten an den linken Pfosten, kullert die Torlinie entlang und rollt dann ins Netz. Dann spielst du eine super Saison. Kullert der Ball zurück ins Feld, kann es sein, du musst gegen den Abstieg kämpfen.“

So betrachtet sollten die VfB-Bosse schon mal die Lizenz für die zweite Liga beantragen. Denn nach zehn Spieltagen möchte man dem Holländer entgegenhalten: „Mensch, Arie. Wenn es nur das wäre!“

Buchwalds Doppel-Rolle

Die Mannschaft grüßt nervlich zerzaust vom Tabellenende, die Verletztenliste ist so lang wie die Schlange vor der Würstchenbude, die Fans pfeifen sich die Lunge aus dem Leib und wie auf Bestellung liefert die Clubikone Guido Buchwald den Start-Beitrag zur Anklageerhebung am Stammtisch-Tribunal der Empörten: Sportchef Michael Reschke ist schuld. Buchwald fordert mehr Sportexpertise in den Führungsgremien. Dort sitzt er als Aufsichtsrat allerdings selbst. Und wie man aus dem Kontrollgremium hört, hätte der Ehrenspielführer ganz gern die bescheiden dotierte Rolle des Spezial-Scouts und Betreuers für die ausgeliehenen VfB-Spieler übernommen. Die vergab der Vorstand aber an Ex-Bundesligacoach Helmut Schulte. Seit diesem Dienstag ergänzt noch der Ex-Profi Halil Altintop als Coach für individuelle Maßnahmen das VfB-Trainerteam. Buchwald geht weiterhin leer aus.

Da ist sie jedenfalls wieder, die traditionelle Jagd nach dem Sündenbock. In den vergangenen zehn Jahren fielen ihr Trainer, Manager und Präsidenten zum Opfer. Geholfen hat es herzlich wenig. Jetzt kreist seit Tagen über dem Übungsgelände der Cannstatter Fahrstuhlgemeinschaft ein Rettungshubschrauber mit Jürgen Klinsmann an Bord. Großer Name, große Vergangenheit. Und wenn das öffentliche Echo nicht täuscht, kann der verlorene Sohn alles: Trainer, Sportchef, Präsident. Aber lösen neue Namen die alten Probleme? Bayern-Coach Jupp Heynckes erkannte im VfB Stuttgart einst eine „Fahrstuhlmannschaft“. Das war vor 30 Jahren. Verändert hat sich bisher eher wenig. Im Gegenteil: Etliche Spieler, Trainer und Manager, die beim zur Kurzatmigkeit neigenden VfB scheiterten, hatten andernorts Erfolg. Dieser Tage ließ Fredi Bobic aus Frankfurt grüßen.

Kein Spielraum für personelle Experimente

„Nur weil einer mal einen Freistoß über die Mauer zirkeln konnte, ist er noch lange kein guter Manager“, knurrte einst VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder, wenn wieder mal ein Ex-Profi um Einlass begehrte. Und Wolfgang Dietrich beharrt: „Wir brauchen Verantwortliche, die wissen, was es bedeutet, jeden Tag strukturiert und engagiert einen Job zu machen.“ Mit anderen Worten: Solange der VfB nicht auf allen Ebenen im gesicherten Modus operiert, bleibt kein Spielraum für personelle Experimente. Den Ex-Torjäger Klinsmann im operativen Geschäft kann sich der Vereins-Präsident und Aufsichtsratschef der Fußball AG dem Vernehmen nach so schwer vorstellen wie den VfB in der Oberliga. Eher schon als Frontmann und VfB-Botschafter an den Linien der internationalen Vermarktung.

Jürgen Klinsmann, daraus macht der ehemalige Bundestrainer kein Geheimnis, würde ohnehin am liebsten wieder eine Nationalmannschaft betreuen. Ein Angebot allerdings hat er nach eigenen Worten bereits ausgeschlagen: die sportlichen Perspektiven haben nicht gepasst.

Michael Reschkes Beliebtheitsgrad in Teilen der weiß-roten Glaubensgemeinschaft übersteigt zurzeit zwar nicht den der Steuererklärung, aber um seinen Job muss der Rheinländer bis auf Weiteres also nicht fürchten. Zwar meldet der Flurfunk aus der Mercedesstraße, dass Dietrich seinen hyperaktiven Sportvorstand schon mal unter die kalte Dusche schickt, aber nach alter VfB-Art den Kritikern zur Beruhigung ein Bauernopfer darzureichen, widerspricht seinem Verständnis von Unternehmensführung: „Das Problem des VfB war doch, dass es in wichtigen Positionen an personeller Kontinuität fehlte.“

Unwucht in der Achse der Erfahrenen

Jetzt fehlt es an Punkten. Und in Markus Weinzierl kämpft schon der zweite Trainer in dieser Spielzeit mit einer Verkettung widriger Umstände, die den VfB immer tiefer in die Krise treiben. Einige Spieler pumpen schon nach 60 Minuten nach Luft wie die Maikäfer, andere leisten sich unerklärliche Aussetzer – und was das Schlimmste ist: die Achse der Erfahrenen von Torhüter Ron-Robert Zieler über Holger Badstuber, Christian Genter bis hin zu Mario Gomez rotiert mit besorgniserregender Unwucht. Wohl auch, weil das Team unter Coach Tayfun Korkut sein Heil in konzentrierter Defensivarbeit mit gelegentlichen Ausflügen nach vorn suchte, fehlen jetzt Plan und Gespür für die Wege in den gegnerischen Strafraum. Da nimmt es kein Wunder, dass die sechs Neuzugänge bisweilen noch mit Kompass und Gebrauchsanleitung durch die Bundesliga irren. Fehleinkäufe? Für ein abschließendes Urteil ist es wohl noch zu früh.

Ansage an Castro

Sportchef Michael Reschke hilft in der Not nach eigenen Worten, wo er kann. Und wenn es nach dem Eindruck seiner internen Kritiker geht, manchmal auch dort, wo er nicht gebraucht wird. Am Tag nach dem 0:3 gegen die Frankfurter Eintracht soll er Neuzugang Gonzalo Castro vor versammelter Mannschaft den Marsch geblasen haben: Er sei persönlich enttäuscht von ihm. Und beim 0:4 in Hoffenheim redete er während der Halbzeitpause (0:0) auf die Mannschaft ein, noch ehe Weinzierl in der Kabine war. „Ich habe die Spieler aufgemuntert, ihnen gesagt, dass sie es gut machen und dass sie so weiterfighten sollen“, bestätigt Michael Reschke und beteuert: „Wenn es weitergehende Themen zu besprechen gibt, ist das selbstverständlich mit dem Trainer abgestimmt.“ Und Castro habe er nicht zusammengefaltet, sondern auf seine schwache Körpersprache hingewiesen und darauf, dass er mehr von ihm erwarte. „Ich habe ihm schon als Zwölfjährigem seinen ersten Vertrag bei Bayer Leverkusen gegeben. Wir kennen uns sehr lange und sehr gut. Er weiß, wie er meine Worte zu verstehen hat.“

Wer es nicht gut mit Reschke meint, weist im Gespräch gelegentlich auch ganz gern darauf hin, dass der Sportchef in seiner ersten Expertise vor dem Aufsichtsrat dem zurzeit verletzten Stürmer Anastasios Donis die Bundesligatauglichkeit abgesprochen hatte. „Ich war skeptisch“, bestätigt Michael Reschke, „ich kannte ihn damals nur aus Spielen in Turin und in der Juniorennationalmannschaft. Aber seitdem hat er sich sehr gut entwickelt und ist für uns ein ganz wichtiger Spieler geworden. Er hatte immer meine volle Unterstützung.“

Klar ist in jedem Fall: Die Diskussionen um die VfB-Bosse werden nicht abreißen, solange die Mannschaft nicht hält, was sie vor Saisonbeginn noch versprach. Das war realistisch betrachtet ein Platz im Mittelfeld der Liga. „Wir müssen uns wieder auf die Basics, auf die Grundlagen besinnen“, forderte der frühere Trainer Jürgen Sundermann, wenn der Spielfluss stockte. Daran hat sich bis heute wenig geändert.

Warten auf ein Wunder

Markus Weinzierl wird die Reihen nach der dritten Niederlage unter seiner Regie neu ordnen müssen, vielleicht hilft ihm auch das eine oder andere personelle Wagnis. Wunder dagegen sind von ihm nicht zu erwarten. Auch wenn der VfB jetzt eines gebrauchen könnte.