VfB-Coach Huub Stevens: Höhere Anforderungen nach der Winterpause Foto: Bm

Nach dem kärglichen 0:0 im letzten Rückrundenspiel gegen den SC Paderborn ist für VfB-Coach Huub Stevens klar: Die Einstellung einiger Spieler ist zu lasch. Die Vorbereitung auf die Rückrunde könnte ziemlich ungemütlich werden.

Stuttgart - In seltenen Fällen kann es auch im Fußball passieren, dass die Fachwelt vor einem Rätsel steht. Zum Beispiel vor dem, das der VfB Stuttgart aufgibt. Weil die herkömmlichen Antworten auf die üblichen Fragen dann nicht mehr ans Licht der Erkenntnis führen, mündet der Diskurs häufig in ein küchenpsychologisches Seminar unter Zuhilfenahme medizinischer Fachbegriffe. Das löst zwar nicht das Problem, erleichtert aber das Verständnis. Weshalb man am Ende dieser Bundesliga-Hinrunde ungestraft von Anflügen einer bipolaren Störung sprechen könnte. Alles gibt es irgendwie zweimal, noch dazu in zwei grundverschiedenen Stimmungen. Die Mannschaft, den Verein. Mal Hoffnung, mal Verzweiflung. Heute Aufbruch, morgen Abbruch.

Als hätten Spieler und Führungscrew den Beweis zu führen, dass sich solche Gegensätze aufheben, gab es am letzten Spieltag der Hinrunde ein laues 0:0 gegen den SC Paderborn. Und ein paar Interviews der VfB-Bosse, die in ihrer Aussagekraft geeignet waren, selbst hartnäckige Schlafstörungen zu beheben. Würde die Mannschaft jedenfalls daran gemessen, wie Präsident Bernd Wahler und Aufsichtsratschef Joachim Schmidt im Hinblick auf die Fußball-AG und den neuen Sportvorstand der Kunst des nichtssagenden Redeflusses zu neuem Glanz verhelfen, wäre der VfB ein heißer Anwärter auf die Champions League.

So aber bleibt es bei einem symptomatischen 0:0 auf allen Ebenen, bei einem Tabellenplatz, der über kurz oder lang zum Abstieg berechtigen könnte, und bei der Ahnung, dass es so ist, wie mancher schon lange vermutet: Die Mannschaft spielt, wie der Verein sich präsentiert: ohne überzeugende Antworten auf entscheidende Fragen.

Nach übereinstimmender Einschätzung renommierter Experten handelte es sich beim Bundesliga-Aufsteiger SC Paderborn nicht um Real Madrid oder den FC Bayern. Weshalb es kein Verbrechen war, darauf zu hoffen, dass es am Ende der Hinrunde noch mal mit einem Heimsieg hätte klappen können. Eine frommer Wunsch, den 55 000 unverzagte Zuschauer teilten. Die Mercedes-Benz-Arena war prall gefüllt, und mutmaßlich hätten ein paar funkenschlagende Zweikämpfe genügt, um die große Flamme der Begeisterung zu entfachen. Aber statt grimmiger Samurai kickte eine Abordnung harmoniesüchtiger Chorknaben. Der Aufsteiger hatte schon bis zur Halbzeitpause drei Gelbe Karten eingesammelt, als die Hausherren noch überlegten, ob den Widerspenstigen aus Westfalen im Zweifelsfall auch mit gutem Zureden beizukommen sei.

Weil aber nur Mose das Meer teilen konnte, reifte nach Spielschluss nicht nur bei Torhüter Sven Ulreich die sich in dieser Spielzeit wiederholende Erkenntnis, dass es „einfach zu wenig“ war. Was der gute Mann so auch problemlos auf seine eigene Leistung hätte übertragen können. Seine Absichten jedenfalls, das Angriffsspiel mit einzuleiten, orientieren sich mehr denn je an einer Zeit, in der spielende Torhüter noch eine akute Bedrohung fürs eigene Team darstellten: Hoch und weit gibt Sicherheit.

So stand Huub Stevens am Ende ein wenig allein in den Wogen der Enttäuschung, die über ihm zusammenschlugen, und machte ganz den Eindruck, als würde er jeden Spieler persönlich würgen, wäre es ihm nur gestattet. „Ich weiß es nicht“, antwortete der Coach auf die Frage, wie es denn möglich sein kann, dass eine Mannschaft zwei so grundverschiedene Gesichter zeige wie gegen Hamburg und Paderborn. „Wir wollten den Zuschauern zeigen, was in uns steckt“, verriet der Niederländer. Aber die Furcht vor der Niederlage war wieder einmal größer als die Courage zum Sieg. „So eine innere Blockade kannst du lösen, dafür musst du aber heiß und aggressiv sein. Nur so kannst du die Zweikämpfe gewinnen“, knurrte der VfB-Trainer, und irgendwie schien es, als ließe sich mit diesen kargen Sätzen ein komplettes Jahr des Vereins für Bewegungsspiele analysieren.

Alles kommt eben ein wenig mürbe und verschlissen daher im nun schon dritten Jahr des Überlebenskampfes. Da ist es kein Fehler, in der Winterpause nach Impulsen zu forschen, die der Causa Klassenverbleib neuen Schwung einimpfen können. Schon jetzt zeichnet sich ab: Wenn Huub Stevens am 3. Januar seine Sportsfreunde wieder zum Training bittet, dürfte das Aggressionspotenzial erheblich höher ausfallen als in den vergangenen Wochen. Christoph Daum setzte einst den Schönspieler José Horacio Basualdo auf die Tribüne und gab als Losung aus: „Vor einem offenen Schienbeinbruch pfeife ich kein Foul.“ Und Felix Magath antwortete auf die Frage eines Reporters, wo denn Fernando Meira abgeblieben sei: „Im Training bei den Amateuren. So hat er auch gespielt.“

Wenn alles klappt, werden noch ein, zwei Neuzugänge für ein bisschen mehr Konkurrenzkampf im weiß-roten Establishment sorgen. Gut möglich ist auch, dass ein neuer Sportvorstand noch vor dem Wiederanpfiff der Spielzeit sein Büro bezieht. Und wenn er nur ansatzweise die Leidenschaft mitbringt, die er braucht, um das große Rätsel VfB zu lösen, dann wird das Nullnull auf allen Ebenen das Erste sein, worum er sich kümmert.