Dennis Aogo: Kaum beim VfB, schon (Interims-)Kapitän. Foto: Baumann

Trainer Hannes Wolf setzt beim VfB Stuttgart auf flache Hierarchien – erst recht seit dem Ausfall von Kapitän Christian Gentner.

Stuttgart - Glaubt man den jüngsten Erzählungen aus München, dann waren nicht weniger als fünf Spieler des FC Bayern an der Entlassung von Carlo Ancelotti maßgeblich beteiligt. Uli Hoeneß, der Präsident persönlich, nannte diese Anzahl von Revolutionären, als er einsehen musste: „Das war nicht mehr durchzuhalten.“ Die Episode vom Branchenprimus verdeutlicht: Die Macht der Mannschaft liegt selten nur in einer Hand. Meist speist sie sich aus mehreren Wortführern, die Verantwortung übernehmen und Einfluss im Verein ausüben – im äußersten Fall bis zum Fall des Trainers.

Soweit bekannt, probt beim VfB Stuttgart niemand den Aufstand gegen den Trainer Hannes Wolf. Ansonsten ist die Hierarchie beim Bundesliga-Aufsteiger der des Rekordmeister aber ganz ähnlich. Es gibt nicht den einen Häuptling und zehn Indianer, sondern eine breit nach oben führende Machtpyramide. Gerade jetzt, wo Christian Gentner verletzt ausfällt. Der Kapitän ist die Mannschaft, wenn man so will.

Wolf sieht genügend Persönlichkeiten in der Mannschaft

Natürlich braucht es dabei noch immer einen, der das Amt nach außen hin bekleidet – in Form der traditionellen Armbinde. Am vergangenen Wochenende bei der 1:2-Niederlage in Frankfurt führte Dennis Aogo die Mannschaft aufs Feld,was bei einigen Fans Kopfschütteln auslöste. Ausgerechnet Aogo – der Neue? Trainer Hannes Wolf hatte hinterher folgende Erklärung parat: Nach der schweren Verletzung von Christian Gentner in der Partie gegen den VfL Wolfsburg trug im darauffolgenden Auswärtsspiel bei Borussia Mönchengladbach zunächst Simon Terodde die Binde. Der saß gegen Frankfurt aber zunächst auf der Bank, weshalb Aogo zum Zug kam. Es hätten aber genauso gut Holger Badstuber, Daniel Ginczek oder Ron-Robert-Zieler den Kapitän abgeben können. Da Badstuber und Ginczek in Spiel eins nach Gentner fehlten, waren Aogo und Zieler jedoch die nächsten in der Rangfolge. In der Vorbereitung war sogar mal Timo Baumgartl an der Reihe.

„Wir haben genügend Persönlichkeiten im Team, die führen können“, sagt Wolf, der sich aus diesem Grund dazu entschieden hat, auch keinen Mannschaftsrat zu bestimmen. Noch in der Winterpause der vergangenen Zweitligasaison hatte er neben Gentner und Terodde auch Timo Baumgartl und Mitch Langerak in dieses Gremium berufen. „Jetzt hätten wir das Gefühl, Spieler, die Verantwortung übernehmen können und wollen, somit auszuklammern“, begründet Wolf die neue, offene Hackordnung beim VfB.

Je mehr Führungsspieler, desto besser, findet Guido Buchwald, der langjährige VfB-Kapitän und heutige Ehrenspielführer. „Das Dennis am vergangenen Samstag Kapitän war, ist ein Zeichen, dass er schnell hier angekommen ist.“ Dasselbe gelte für Holger Badstuber und Ron-Robert Zieler. „Alle drei sind Führungsspieler“, meint Buchwald, „es ist gut, dass der VfB sie hat.“ An Christian Gentner als unumstrittener Nummer eins führe deshalb aber kein Weg vorbei. „Er kennt die Mannschaft wie kein zweiter“, weiß Buchwald, wie wichtig es ist, immer ein offenes Ohr für die Kollegen zu haben. Denn: „Ein Team muss viele Dinge auch ohne den Trainer regeln.“

Buchwalds Vergleiche mit früher

Als Kopf der Mannschaft, erinnert sich der 56-Jährige an seine große Zeit in den 80er und 90er-Jahren zurück, habe man es nicht immer leicht. Denn ein Kapitän steht nicht nur dann auf der Kommandobrücke, wenn es tobt und braust, er sitzt bisweilen auch zwischen den Stühlen. Mannschaft, Trainer, Vereinsführung – da braucht es einiges Moderationsgeschick, denkt Buchwald ehrfurchtsvoll an Zeiten, als er mit Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder um Prämien feilschen musste.

Nächtliche Verhandlungsrunden mit dem Clubboss gehören der Vergangenheit an, mittlerweile haben die Profis Zulagen und Prämien mit ihrem Berater längst ausgehandelt, bevor sie einen Vertrag unterschreiben. Ansonsten unterscheide sich das Kapitänsamt grundsätzlich nicht von dem früherer Jahre, meint der Weltmeister von 1990. Nur die Machtfülle der Spieler, die habe sich ausgeweitet. Und grundsätzlich auf mehrere Schultern verteilt. In 1899 Hoffenheim, Werder Bremen, Hertha und dem HSV haben vier Clubs der Fußball-Bundesliga gleich drei Kapitäne benannt. „Zu meiner Zeit waren die Unterschiede größer“, sagt Buchwald. „Bei den Bayern gab es schon immer fünf oder sechs Führungsspieler, die das Sagen hatten. Bei allen anderen Clubs stand der Kapitän stärker im Vordergrund.“ Das ist heute – siehe VfB – anders. Und die Bundesliga rückt, wenn auch nicht sportlich, zumindest in diesem Punkt enger zusammen.