Die Auftritte in der Mercedes-Benz-Arena verfolgen viele Anhänger des VfB Stuttgart seit langem mit Leidensmiene Foto: dpa

Leidensfähigkeit haben die Fans des VfB in der Vergangenheit häufig bewiesen. Doch vor dem Heimspiel gegen Borussia Dortmund (20.30 Uhr/Sky) wissen auch sie nicht mehr weiter. Endzeitstimmung macht sich breit.

Stuttgart - Für Sportsfreund Thomas Schwarz war der vergangene Samstag ein einschneidendes Erlebnis. Der Gegentreffer in der Nachspielzeit beim Spiel in Hoffenheim weckte bei dem langjährigen Dauerkarteninhaber schmerzliche Erinnerungen. „Es hat sich angefühlt wie bei einem 17-Jährigen, mit dem die Freundin Schluss gemacht hat.“ Traurig, tragisch – man fühlt sich machtlos.

Die weiß-rote Fangemeinde leidet unter Liebeskummer. Gefühlt steht ihr Herzensclub spätestens nach dem 1:2 von Hoffenheim mit einem Bein in der zweiten Liga. Hoffnung auf ein Happy End? Wenig.

Nun charakterisiert sich der Schwabe nicht in erster Linie durch seinen überbordenden Optimismus. Im Zweifel ist das Glas halbleer, nur: im Moment ist es trocken. „So eine Situation habe ich noch nie erlebt“, sagt Joachim Schmid. Der Vorsitzende des Fanclubs Rot-Weiße Schwaben Berkheim braucht nicht viele Worte, um die Stimmungslage unter den rund 1000 Mitgliedern seines Fanclubs zusammenzufassen: Frust, Resignation, Hoffnungslosigkeit. Was vielleicht noch schwerer wiegt: Auch Lustlosigkeit macht sich breit. Für die kommenden Auswärtsspiele in Hannover, Leverkusen und Wolfsburg gibt es nur wenige Anmeldungen. „Das gab es noch nie, dass wir einen Bus nicht vollkriegen“, berichtet Schmid.

Von einer „Jetzt erst recht“-Stimmung ist auch bei den Heimspielen kaum etwas zu spüren. Zwar liegt der Schnitt bei beachtlichen 48 500 Zuschauern. Darin sind aber auch jedes Mal die 27 500 Dauerkarteninhaber eingerechnet. Gegen Borussia Dortmund (20.30 Uhr/Sky) dürfte das Stadion vorerst das letzte Mal richtig voll werden – es sei denn, der Verein startet wie schon in der vergangenen Saison oder in der Hinrunde gegen den SC Paderborn vergünstigte Aktionen, um die Lücken auf den Rängen zu füllen.

Die Stimmung in der Mercedes-Benz-Arena tendiert schon länger in Richtung der Zahl der zuletzt geschossenen Heimtore – null. Einzig die Cannstatter Kurve lässt sich den Spaß am Dauer-Singsang noch nicht vermiesen. „Wir wollen den Support weiter durchziehen“, sagt Marco-Tobias Arnold von den Ultras des „Schwabensturms“. Protest – ob schweigend oder durch Fernbleiben – hilft jetzt auch nichts mehr, glaubt der Ultra. Und mit Spruchbändern sei längst alles gesagt, was zu sagen ist. Allerdings, betont Arnold, wolle man von Spiel zu Spiel denken. Noch ein paar Pleiten – dann kann niemand mehr garantieren, dass es ruhig bleibt.

Verein denkt über Aktion nach

Ähnlich argumentiert die zweite große Ultragruppierung vom Commando Cannstatt. „Wir werden die verunsicherte Mannschaft, so gut es geht, weiter unterstützen“, sagt einer ihrer Vertreter. Nach der Hoffenheim-Pleite haben Fans des Commandos den Bus vor der Einfahrt ins Clubzentrum angehalten und die Mannschaft zur Rede gestellt. Die Aktion verlief friedlich; manche Spieler seien fast froh gewesen, sich ihren Frust mal von der Seele reden zu können, berichten jene, die dabei waren.

Allein: Wird davon alles besser? Mit Sicherheit nicht. Aber zumindest könnte die Aktion dazu beitragen, dass sich Mannschaft und Fans in dieser schwierigen Situation nicht weiter entzweien. In einem ist sich die weiß-rote Fangemeinde weitgehend einig: Die Spieler selbst tragen an der verfahrenen Situation die geringste Schuld. Sie können nichts dafür, dass sie es nicht besser können. Häme und Spott müssen sie im Internet schon genug ertragen.

Weil aber jede Krise ein Gesicht braucht, ist Bernd Wahler gerade auf dem besten Weg, diese Rolle einzunehmen. „Von unserem Präsidenten sieht und hört man nichts“, kritisiert Joachim Schmid, der sich in der momentanen Situation nichts sehnlicher wünscht als jemanden, der das Team, ja den gesamten Verein mal so richtig wachrüttelt. „Wir steigen ab, und keiner merkt es!“

Kabinenpredigten sind von Wahler eher nicht zu erwarten, und auch Sportvorstand Robin Dutt hat man noch nicht mit der Faust auf den Tisch schlagen hören. Für ihn ist Ruhe oberste VfBler-Pflicht. Dass man sich lebendig begraben lässt, verneinen die Club-Bosse jedoch. Über gemeinsame Aktionen mit den Anhängern, wie es sie in der Vergangenheit schon gab („Niemals 2. Liga“) , wird zumindest nachgedacht. Die Vorlage dazu muss aber die Mannschaft liefern – mit einem möglichst baldigen Sieg. Sonst würde die Aktion bei den Fans verpuffen.

„Sie leiden gerade sehr“, sagt Fanbetreuer Christian Schmidt. „Für viele ist der VfB wie eine Liebesbeziehung.“ Die gerade auf eine extrem harte Probe gestellt wird. Wie im echten Leben ziehen sich die einen zurück und verfallen in Apathie, während die anderen um ihre Liebe kämpfen. Christian Schmidt ist in diesen Tagen jedenfalls mehr denn je als Seelsorger gefordert.

Thomas Schwarz muss noch keine psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, wenngleich er nach dem Hoffenheim-Spiel jeden Glauben in seine roten Helden zu verloren haben scheint. „Vielleicht können wir ja Freunde bleiben – die Bundesliga und wir“, sagt der VfB-Fan. Vielleicht gibt ihm sein Verein aber auch noch eine allerletzte Chance – und macht mit einem Sieg gegen Borussia Dortmund den Anfang.