Bruno Labbadia, Trainer des VfB Stuttgart, während des Bundesligaspiels gegen den 1. FC Nürnberg Foto: dapd

Maximaler Erfolg, doch spielerisch mau: Die VfB-Strategen tun sich schwer mit der Einordnung.

Stuttgart - Der Pass kam nicht mal übermäßig hart, aber dafür präzise, von Cacau zu Tamas Hajnal – und gleich wieder zurück. Gut, dass der deutsche Nationalspieler blitzschnell geschaltet hatte und in die Tiefe gestartet war. Gut auch, dass der Ungar seinen Laufweg erahnte und ihm den Ball genau vor die Füße spielte. Noch besser, dass Cacau die Lücke ins Tor erspähte und eiskalt vollendete. Es war der 1:0-Siegtreffer, und die Kombination der Einzelaktionen ergab einen Effekt, der für die Zuschauer gemeinhin den Zauber des Spiels ausmacht: Sie staunten, sie schnalzten mit der Zunge, sie waren verblüfft, begeistert – und überrascht. Denn da war das Spiel bereits 78 Minuten alt. Und so tumb, wie sich der VfB vor allem in der ersten Halbzeit angestellt hatte, erwartete keiner der 52.000 auf den Rängen noch irgendeine Szene mit einem Hauch von Inspiration.

Nicht, dass sich lauter kleine Messis in den Nürnberger Trikots versteckt hätten. Der Club tat einfach das, was ein Verein in seiner Lage dicht vor dem Abgrund zur zweiten Liga zu tun hat: Er erwehrte sich seiner Haut, rannte, kämpfte und kombinierte, er hatte Mumm und die bessere Spielanlage. Damit war er dem VfB weit voraus, der sich wie üblich schwertat, den Ball geordnet Richtung gegnerisches Tor zu bringen.

Umso mehr überraschte die Analyse, mit der Bruno Labbadia nach dem Schlusspfiff aufwartete. „Ich bin total stolz auf meine Mannschaft“, sagte der Trainer, „wir haben gegen einen bärenstarken Gegner gespielt. Nürnberg ist eine Riesenmannschaft.“ Pikiert von den Pfiffen von den Rängen fügte er hinzu: „Wir müssen von dieser Arroganz mal wegkommen. Der Gegner spielt schließlich auch mit. Nicht wir waren schwach, sondern der Club einfach klasse.“

Bruno Labbadia verweist auf die Zwänge

Das mag der eine oder andere Fan als überzogen bewerten, doch wie schwer sich Labbadia und die anderen Strategen vom Cannstatter Wasen damit tun, die (Stimmungs-)Lage maßvoll einzuschätzen, verdeutlicht folgendes Beispiel aus der Kategorie Sprüche und Widersprüche: „Wir können auch die Tabelle lesen.“ Dann hätte er lesen können, dass das Tableau die Nürnberger als graue Maus ausweist, die aufpassen muss, nicht richtig in den Abstiegsstrudel zu geraten. Und den VfB als Mannschaft der gehobenen Mittelklasse, die drauf und dran ist, einen Platz in Europa zurückzuerobern.

Trotzdem schien sie in der ersten Halbzeit von allen guten Geistern verlassen. So sehr, dass sich der Zuschauer mit Grausen abwendet und sich dann doch fragt, warum im täglichen Training nicht mehr hängenbleibt. Oder wer mag ernsthaft von der zahlenden Kundschaft verlangen, dass sie sich damit zufriedengibt, dass Spieler von der Güte eines Zdravko Kuzmanovic auf eine Fehlpassquote von 78 Prozent kommen, nach dem Abspiel nicht nachrücken und so den Kombinationsfluss unterbrechen? Dass Tamas Hajnal im Mittelfeld und Cacau im Sturm viel zu häufig querlaufen und -spielen? Dass sich die Außen immer wieder nach hinten drängen lassen und so das Offensivspiel zum Erliegen kommt? Oder dass die Mannschaft auf das kompakte Verschieben einfach verzichtet?

Auch steht nirgendwo geschrieben, dass ein Arthur Boka, der als linker Verteidiger selten Land sah, 90 Minuten durchspielen muss. Oder dass Cacau im Sturmzentrum und Julian Schieber im linken Mittelfeld erst zur Pause ihre Positionen wechseln, was prompt zu einer Belebung des Spiels beitrug. Da hätte ein Trainer, der ein bisschen wagemutiger ist als Bruno Labbadia, früher eingegriffen. Stattdessen antwortete er genervt auf Nachfragen: „Ich habe nicht das Gefühl, dass ich Chinesisch spreche. Wir können die Partien nicht immer nur über Schönspielen gewinnen.“ Aber vielleicht immer öfter? Oder wenigstens ein bisschen öfter?

Nichts wünschen sich die Fans sehnlicher, als dass der VfB ein wenig spielerische Linie in sein Spiel bringt. Siege sind schön und gut, und die jüngste Serie hin zu den Europa-Plätzen macht Laune. Aber heiligt der Zweck alle Mittel? Für die Fans nicht, für die VfB-Strategen offenbar schon. Bruno Labbadia verweist auf die Zwänge. Vor dieser Saison musste Manager Fredi Bobic die Personalkosten deutlich senken, der finanzielle Spielraum ist enger geworden. Doch auch wenn in Serdar Tasci, Vedad Ibisevic, Shinji Okazaki und Khalid Boulahrouz vier Kräfte fehlten, die der Truppe guttun, steht noch immer eine Mannschaft auf dem Rasen, die sich vor vielen anderen Gegnern nicht verstecken muss. Zu ihnen gehört auch Nürnberg.