Jos Luhukay eilt der Ruf voraus, ein strenger Chef zu sein. Doch bisher lässt der VfB-Coach die Spieler an der langen Leine. Die Zielvorgabe vor Saisonstart ist klar: Das Team strebt den direkten Wiederaufstieg an.
Stuttgart - Von seinen bisherigen Stationen ist ja so einiges überliefert. Dass Jos Luhukay einen strengen bis konservativen Umgang mit seinen Spielern pflegt, zum Beispiel. Was dem Fußballtrainer aus Venlo angesichts seiner Körpergröße von 1,68 Metern schon den Beinamen „General“ einhandelte. Oder dass seine ergebnisorientierte Spielweise nicht dazu angetan ist, die Zuschauer von den Sitzen zu reißen. Nicht zuletzt galt der 53-Jährige im Umgang mit den Medien vor allem in Berlin als wenig konfliktscheu. Kurzum: In Begeisterungsstürme brach niemand aus, als der VfB Stuttgart kurz nach dem Abstieg aus der Fußball-Bundesliga den Mann mit dem schwarzen Schnäuzer als neuen Cheftrainer verpflichtete.
Nun, nach eineinhalb Monaten im Amt, hat sich aber noch nichts von dem Ruf bewahrheitet, der dem Niederländer vorauseilt. Im Training lässt Luhukay fast ausschließlich mit dem Ball trainieren, was seine Schützlinge mit Spaß an der Arbeit goutieren und den Schluss nahelegt, dass er die spielerische Komponente nicht zu kurz kommen lassen will. Er lässt seine Spieler an der langen Leine (und auf dem Platz fast nur von seinem Assistenten Remy Reynierse anleiten), am Buffet gönnt er ihnen auch mal Kuchen und eine Kugel Eis. Und dass er Journalisten schon den Hals umgedreht hätte, ist bislang auch noch nicht vorgekommen.
„Eine der schwierigsten Situationen“
Man könnte also Luhukays Start auf dem Wasen durchaus als harmonisch und geglückt bezeichnen. Dabei ist das erste Spiel noch gar nicht gespielt. Weshalb sich Luhukay selbst größte Mühe gibt, allzu hohe Erwartungen an ihn und die Mannschaft zu dämpfen. So spricht er von „einer der schwierigsten Situationen“, die er je angetroffen habe. Beliebtes Trainer-Understatement zum Saisonauftakt, aber nicht von der Hand zu weisen angesichts der Gesamtsituation im gebeutelten Club aus Cannstatt.
Allen voran im sportlichen Bereich. Den Kader in der Offensive eine Woche vor Saisonstart als rudimentär zu bezeichnen, trifft es wohl am besten. Filip Kostic, Timo Werner und Lukas Rupp haben dem VfB zwar rund 30 Millionen Euro in die Kasse gespült. Ersatz ist bis auf den Zweitliga-Torschützenkönig Simon Terodde aber noch keiner gefunden, weshalb sich die Anhänger in Weiß und Rot die bange Frage stellen: Wer außer Terodde bitte schön soll den VfB mit Toren zum Aufstieg schießen?
Weitere Verstärkungen geplant
Luhukay – oder Jay Lu, wie er in Berlin genannt wurde – spricht die Baustelle im Angriff offen an und gibt den Stab weiter an Jan Schindelmeiser, den jüngst verpflichteten Sportchef – der soll ihm noch ein paar Verstärkungen für beide Flügel besorgen. Möglichst schnell, damit Luhukay die Neuen möglichst bald einbauen kann. Doch auch Schindelmeiser hat sich als Spaßbremse eingeführt mit seinem Satz vom Kader, dem bis zur Aufstiegstauglichkeit noch ein Stück fehlt. Schindelmeiser kann nichts anderes tun als Abhilfe zu versprechen – nicht bis zum Pflichtspielauftakt am Montag gegen den FC. St. Pauli, aber bis zur Schließung des Transferfensters am 31. des Monats.
Der 52-Jährige sieht angesichts des vorgefundenen Chaos noch nicht ganz klar bei seinem neuen Verein. Der Rumpfkader, die (personellen) Umwälzungen im Nachwuchsbereich, die Vakanz im Präsidentenamt. Doch Schindelmeiser versucht das einzig Vernünftige: Priorisieren, nicht verzetteln. Das Gerüst der Mannschaft neu zu bauen, steht dabei an erster Stelle. Es gilt, die Truppe fit für den Aufstieg in die Bundesliga zu bekommen – irgendwie.
Jos Luhukay – das Ein-Mann-Prinzip Hoffnung
Der frühere Hoffenheimer Manager versucht es mit Spielern wie Hajime Hosogai – nicht die großen Stars (die als Zweitligist ohnehin nicht zu bekommen wären), aber solide Fußballer, die das Zeug haben müssten, die immer noch namhafte Mannschaft (Christian Gentner, Kevin Großkreutz, Mitch Langerak, Alexandru Maxim) nach oben zu führen.
Ansonsten gilt: Jos wird’s schon richten. Er verkörpert das Ein-Mann-Prinzip Hoffnung beim VfB. Auf dass ihm der Aufstieg ein viertes Mal gelingen möge. In Augsburg, Mönchengladbach und Berlin hat er es schließlich auch hinbekommen. Deswegen haben sie ihn nach Stuttgart geholt. Ein Tag später, und der Fußballlehrer hätte woanders unterschrieben, heißt es aus dem Aufsichtsrat.
Bei seiner letzten Station in der Hauptstadt wiederum erzählt man sich, dass Luhukay schnell die Nerven verliert, wenn es mal nicht läuft. So wie in der ersten Saison nach dem Bundesliga-Aufstieg, als Mittelmaß den Berlinern nicht gut genug war. Oder dass er taktisch gegen gute Mannschaften an seine Grenzen stößt – ebenfalls zu beobachten bei seinen Stationen im Oberhaus. Aber über Jos Luhukay wurde ja schon so viel verbreitet. In Stuttgart bietet sich dem Niederländer die Gelegenheit, seine Zweifler gänzlich vom Gegenteil zu überzeugen.