VfB-Sportchef Michael Reschke (li.), Präsident Wolfgang Dietrich: Schnelle Lösung in der Trainerfrage? Foto: dpa

Die Trennung von Trainer Hannes Wolf war wohl kaum mehr zu vermeiden, doch sie zeigt auch, dass die Chefs beim VfB Stuttgart viel versprechen und wenig halten.

Stuttgart - Gibt es Fragen? Der Blick des jungen Trainers durchmaß nach dem 0:2 gegen den FC Schalke angestrengt den Raum – und stieß auf eine Mauer versteinerter Gesichter. Es zählte noch nie zu den beruhigenden Signalen für einen VfB-Coach, wenn aus die Pressekonferenz nach dem Spiel zur Schweigeminute wird. Denn entweder bietet die Kargheit der sportlichen Darbietung rein gar nichts, was es zu besprechen gibt oder die Reporter scheuen das Tribunal vor geöffneten Mikrofonen. Die Kaskaden des Zweifels stürzten jedenfalls erst dann über Hannes Wolf zusammen, als er im kleineren Kreis zu erläutern versuchte, was eigentlich nur noch so zu verstehen war: So unaufhaltsam sich der VfB der Abstiegszone näherte, so unweigerlich schwand das gegenseitige Vertrauen in Reihen der sportlichen Führung. Und wie immer, wenn die Wogen öffentlicher Diskurse höher schlagen, als es dem eigenen Befinden zuträglich ist, blieb am Ende ein Meer aus Floskeln und Beschwörungsformeln. „Es geht nicht um mich“, sagte Wolf mit gepresstem Lächeln, „es geht um den Verein und seine Fans.“ Weil er schon ahnte, dass es keinen Ausweg mehr geben könnte aus der Sackgasse, in die er sich unter dem Zutun des unübersichtlich agierenden Michael Reschke manövriert hatte. „Wir haben uns die Situation alle nicht gewünscht“, sagte der VfB-Sportchef. Wohl wahr.

Wolfs SMS: Eine Vorahnung

Noch in der Nacht sandte Wolf eine SMS an einen VfB-Verantwortlichen, der ihn bis zuletzt gestützt hatte. Es fühle sich nicht gut an, schrieb der Trainer, man müsse nun eben sehen was passiert. Kurze Zeit später haben Präsident Wolfgang Dietrich und Michael Reschke den Daumen gesenkt. Und wie es so ist in einem Geschäft, dessen Bilanz jede Woche in der Bundesligatabelle leuchtet, hielten sich die Häuptlinge nicht übertrieben lange auf mit der Personalie, die der VfB vor anderthalb Jahren noch als ein neues Kapitel seiner Clubgeschichte gepriesen hatte. Im Funkverkehr unter den Granden wurden schon am frühen Sonntagmorgen die Namen möglicher Nachfolger gehandelt. Und schneller als gedacht war klar: Einen Plan B hielt Reschke nicht parat.

Denn Thomas Tuchel, so war zu hören, stehe für derlei Feuerwehraufgaben nicht bereit. Auch Markus Weinzierl trage sich bis zum Sommer mit anderen Gedanken, gleichwohl sein Berater um die Cannstatter Ecke wohnt: Jürgen Schwab aus Winterbach hätte wohl kaum was dagegen, wenn sein Schützling ein Team trainiert, dessen Kapitän ebenfalls auf den Rat des Remstal-Promoters hört: Christian Gentner. Außerdem in der Verlosung: David Wagner, der deutsche Coach beim englischen Erstligisten Huddersfield Town. Ex-KSC-Profi Slaven Bilic, einst kroatischer Nationaltrainer und zuletzt bei West Ham United. Tayfun Korkut, der ehemalige U-19-Coach beim VfB Stuttgart. Doch dessen einzige Konstante war zuletzt nicht gerade der Erfolg. Uwe Koschinat (Fortuna Köln) gilt als großes Talent, ihm fehlt aber die Bundesliga-Expertise. Und den Heidenheimer Zweitligacoach Frank Schmidt binden sie auf der Ostalb an den Flutlichtmast, um seinen Wechsel ins Neckartal zu verhindern.

Der Anfang vom Ende

Viel Arbeit also für die VfB-Spitze, die noch vergangene Woche mit dem Erste-Hilfe-Koffer durch die Lande reiste, um die Wunde zu heilen, die Sportvorstand Michael Reschke nach der 2:3-Niederlage beim FSV Mainz 05 gerissen hatte. Zwar versichert Wolfgang Dietrich: „Wir sind noch lange nicht in der Rolle ein Chaosclub zu werden. Im Gegenteil.“ Doch unter Experten gibt es keine zwei Meinungen: Reschkes Einwurf, mit Wolf über Strategie und Taktik reden zu wollen, war dessen Anfang vom Ende. Der junge Coach blickte nächtens so verstört wie ein vom Stadiondach gepurzeltes Eichhörnchen, als er im ZDF-Sportstudio mit den Aussagen seines Vorgesetzten konfrontiert wurde – und stellte die Tage danach fest, „dass die Dinge mit einem Mal eskalierten“.

So schnell ändern sich die Zeiten: Als der VfB gegen Ende der Hinrunde zur Überraschung vieler Borussia Dortmund bezwungen hatte, (2:1) orderten sie in der Ehrenloge Champagner. Nach dem 0:2 gegen den FC Schalke 04 stieß den Bossen erst die Aufstellung sauer auf, dann das Selters. Dass Wolf den Bundesliga-Novizen Jacob Bruun Larsen ins kalte Wasser stieß und den zweikampfstarken Santiago Ascacibar durch den eher schmalbrüstigen Dzenis Burnic ersetzte, werteten die Kritiker des Trainers als Tanz auf dem Schlappseil. Die Mannschaft stürzte im Spiel gegen Schalke prompt ab, die Falten auf der Stirn der Chefs schienen plötzlich so tief wie der Grand Canyon.

Zweifel auch bei Wolf

Doch nach allem, was aus der Nacht zum Sonntag zu erfahren war, haben die VfB-Verantwortlichen nicht nur Stöckchen gezogen. Auch Wolf hegte wohl gelinde Zweifel, dass er bei den Spielern noch ausreichend Gehör findet. Das überraschte dann doch. Zu Beginn vergangener Woche hatten sich die VfB-Gremien noch im Stuttgarter Jazzclub Bix zur Verabschiedung des früheren Aufsichtsratschefs Martin Schäfer getroffen. Von Disharmonien keine Spur!

Jetzt fühlen sich die langjährigen Wegbegleiter des Vereins an Zeiten erinnert, die schlimme Erinnerungen wecken. So ganz unbegründet ist die Angst vor dem Absturz nicht. Denn seit Reschke kurz vor Saisonstart die Geschicke in die Hand nahm, ist der innere Friede immer mal wieder gestört. Noch immer mögen Teile der Fangemeinde den Fortschritt in der Kaderplanung nicht erkennen, den sich Wolfgang Dietrich nach der Trennung von Jan Schindelmeiser versprach. Dessen kühnen Plan, mit Jugend forsch die Mission Klassenverbleib zu garantieren, konterte sein Nachfolger auf die Schnelle mit Retro-Lösungen wie Dennis Aogo und Andreas Beck. Zwar reichte Reschke noch den Argentinier Santiago Asacibar als Abräumer im Mittelfeld nach, aber die technische versierte Fachkraft für überraschend vorgetragene Offensivbemühungen vermochte auch der als „Perlentaucher“ gerühmte Topscout nicht auszugraben. „Es ist eben ein Unterschied, ob jemand mit der Finanzausstattung von Leverkusen oder dem FC Bayern auf Spielersuche geht oder mit der des VfB“, sagt ein ehemaliger Bundesliga-Manager, der nicht genannt werden will, „der Micha hat die Aufgabe unterschätzt.“

Reschkes großes Ego

Der VfB-Sportvorstand rühmt sich zwar gern seiner Kontakte zum ehemaligen Bayern-Coach Pep Guardiola („der Pep liebt mich“), aber zeitweise macht der Rheinländer den Eindruck, als stünde er sich mit seinen Erfahrungen aus der Premium-Klasse der Liga ein wenig selbst im Weg. Kritik versteht er gern auch als Anschlag auf sein Ego: „Nur damit Sie es wissen, die Entscheidung treffe immer noch ich.“ Und aus den eigenen Reihen ist zu hören, dass er den Ausführungen der Medienexperten Oliver Schraft und Tobias Herwerth zwar lauscht, aber doch meistens so spricht, wie ihm der Sinn steht. Weshalb sich Kritiker seiner Personalpolitik auch gern mal zu den „Vollidioten“ zählen dürfen. Und wer sich erdreistet, seinen Gedankenfluss zur sicherlich notwendigen Reform der VfB-Nachwuchsarbeit ein wenig zu hemmen, dem gibt er zu verstehen, dass er vom Fußball so viel verstehe wie ein Maulwurf von der Farbe.

Es gibt gute Gründe für die Chefetage, sich vor den restlichen 14 Spieltagen noch einmal zurecht zu rütteln. Ein wenig mehr Selbstkritik könnte dabei nicht schaden – und ein Plan, der hält, was er verspricht: den Klassenverbleib.