Statt Tristesse herrscht beim VfB Jubel – ein Fall für Psychologen. Foto: Baumann

Plötzlich läuft es beim VfB Stuttgart, und alle Welt rätselt über die Gründe. Der Stuttgarter Sportpsychologe Stefan Krause weiß: Ein Grund liegt in der Person von Trainer Jürgen Kramny. Auch sein Vorgänger hält indirekt eine Aktie am Umschwung.

Stuttgart - Erfolge im Sport sind in aller Regel nicht bis ins Kleinste zu erklären. Gut, Trainingsfleiß, Ehrgeiz, Wettkampfhärte und Veranlagung sind beste Voraussetzungen, doch es spielen viel mehr Komponenten zusammen. Weil das Ausbleiben dieser Faktoren Misserfolge ebenso wenig erschöpfend beschreibt, streckt der geneigte Zuschauer zuweilen die Waffen: Dann gibt er sich, positiv wie negativ, seinen Emotionen hin und stellt weiter keine Fragen – weil er diese eh nicht beantworten kann.

Besonders ausgeprägt sind diese Gefühlswallungen im Umfeld des VfB, weil die Mannschaft von einem Extrem ins andere verfällt. Stolpert erst von einer Pleite in die nächste – und eilt nun von Erfolg zu Erfolg. Mit ein und derselben Mannschaft, die zunächst scheinbar ohne Hierarchie und Struktur auftritt – und die nun beides vorbildlich vereint. Verrückt, oder?

Nun ja, nicht für Sportpsychologen wie Philipp Laux, der seit Saisonbeginn die Mannschaft des VfB betreut. „Seine Arbeit trägt Früchte“, sagt Sportvorstand Robin Dutt. Auch Stefan Krause überrascht der Wandel nicht. Der Wissenschaftler an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart analysiert fachlich den Aufschwung, den Lukas Rupp laienhaft so beschreibt: „Eigentlich hat der Trainer nicht viel verändert. Wir stehen etwas tiefer und kassieren weniger Gegentore – aber sonst?“

Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten kann Berge versetzen

Sonst beruft sich Krause (46) auf den Begriff der Selbstwirksamkeit. Er bedeutet, dass Fußballer von ihren Fähigkeiten überzeugt sind und diese umsetzen, wenn sie für eine Situation maßgeblich verantwortlich sind. „Selbstwirksamkeit“, sagt Krause, „ist häufig eine stärkere Motivation als eine Ansprache des Trainers.“ Was den Anteil von Jürgen Kramny jedoch nicht schmälert.

Allerdings muss nicht, was naheliegend wäre, in erster Linie dessen Fachkompetenz den Anstoß zur Besserung geben, sondern die spezielle Situation. Als langjähriger VfB-Coach war und ist Kramny Teil des Systems und schärft so mehr als ein Außenstehender das Vertrauen und das Gefühl des Zusammenhalts. „Bei einem Trainer, der von außen kommt, sagen die Spieler eher: Der Neue muss es richten. Bei Kramny sagen sie: Wir müssen gemeinsam die Wende schaffen“, sagt Krause.

Mittelfristig spielen der persönliche Umgang des Trainers, seine soziale Kompetenz und seine fachlichen Qualitäten allerdings eine wichtige Rolle. „Das menschliche Hirn produziert Handlungen aufgrund von Außenmotivation“, sagt Stefan Krause, „neue Trainer profitieren in der Regel von der Arbeit ihrer Vorgänger. Sie ernten die Früchte dessen, was der andere gesät hat.“ Das sei, so paradox es klingen mag, auch im Fall Kramny und seines Vorgängers Alexander Zorniger so: „Die Verwirrung, die Zorniger ausgelöst hat, war notwendig, um mit der Rückkehr zum Vertrauten mehr Selbstvertrauen und Sicherheit zu erlangen.“

Jürgen Kramny steht für die Rückkehr in die Komfortzone

Der kantige Gmünder hatte dem VfB ein Spielsystem übergestülpt, mit dem die Mannschaft nicht zurechtkam. Jürgen Kramny lässt sie dagegen das spielen, was sich in der Praxis bereits bewährt hat – das, was Lukas Rupp mit „tiefer stehen“ meint. „Wenn eine Mannschaft ihre Komfortzone erst einmal verlassen hat, kann bei der Rückkehr ein größerer Effekt entstehen, als wenn sie die Komfortzone nie verlassen hätte“, sagt Krause. Indirekt ist also Zorniger mit verantwortlich für die Rückkehr in die Erfolgsspur – auch wenn sich mancher beim VfB diese Erfahrung gern erspart hätte.

Die Wissenschaft trennt nicht mehr zwischen psychologischen und hormonellen Einflüssen, wobei auch letztere unumstritten sind. Testosteron unterstützt das Dominanzverhalten. „Es hilft den Spielern, ihr Revier zu verteidigen“, sagt Krause. Die Ausschüttung von Dopamin regelt das Empfinden von Glück und stärkt den Glauben an den Erfolg. Mit der Folge, „dass ein gelungener Pass dem Spieler die Zuversicht gibt, dass auch der nächste Pass ankommt“.

Das alles bedeutet aber nicht, dass der VfB nun dauerhaft von Sieg zu Sieg eilt. „Ein paar gute Spiele sind kein absoluter Hinweis darauf, ob der momentane Erfolg dauerhaft ist“, räumt Stefan Krause ein, „die Psychologie kann nur bewerten, was mit einer höheren oder niedrigeren Wahrscheinlichkeit zutrifft. Aber wissen kann man es letztendlich nie.“ Schade eigentlich.