Mit Video-Umfrage bei den Fans - Im richtigen Leben wäre eine Trennung auf Zeit fällig. Im Fußball geht das nicht. Deshalb muss der VfB Stuttgart mit sich und seinem Umfeld irgendwie auskommen. Das fällt angesichts der sportlichen Talfahrt zunehmend schwer. Es rumort an allen Ecken und Enden.
Im richtigen Leben wäre eine Trennung auf Zeit fällig. Im Fußball geht das nicht. Deshalb muss der VfB Stuttgart mit sich und seinem Umfeld irgendwie auskommen. Das fällt angesichts der sportlichen Talfahrt zunehmend schwer. Es rumort an allen Ecken und Enden.
Stuttgart - Der letzte Eindruck bleibt hängen, positiv wie negativ. Nach dem 0:2 gegen 1899 Hoffenheim erlaubte sich die Galerie, den Sturz ans Tabellenende mit gellenden Pfiffen und wütenden Rufen zu quittieren. Die Mannschaft machte sich, angeführt von Florian Klein, dennoch auf in die Cannstatter Kurve. Auf halbem Weg blieb sie stehen, Klein machte eine abfällige Handbewegung in Richtung der Fans und drehte ab, gefolgt vom Rest der Truppe. Die Folge: noch wütendere Pfiffe, noch heftigeres Wutgeschrei. „Im Spiel hatte ich das Gefühl, dass uns alle unterstützen. Aber am Ende war ein gewisser Hass da“, begründete Klein seine Geste.
Der Tabellenkeller ist ein glitschiges Parkett für Diplomaten. Und die Vehemenz der Proteste mag nur einen Neuzugang wie Klein überraschen. Er hat das traurige Treiben erst vier Spieltage lang erlebt und nicht vier Jahre wie alle anderen. Und weil die Talfahrt von Jahr zu Jahr rasanter und die Hoffnung auf Besserung immer geringer wird, befürchten viele Anhänger, dass der VfB auf Platz 18 nur seinen vorläufigen Tiefpunkt erreicht hat. Sie bangen: Es geht noch tiefer – am Saisonende in die zweite Liga.
Fredi Bobic wäre ein schlechter Botschafter des Vereins, wenn er nicht laufend die angeblich bevorstehende Wende propagieren würde. Allein, das Umfeld beschwichtigte es nicht, als der Manager sagte: „Der Mannschaft kann man keinen Vorwurf machen, sie hat alles gegeben und ist 90 Minuten angerannt.“ Ziellos allerdings, was höheren Ansprüchen ebenso wenig genügt wie Qualität, Hierarchie und Temperament der Mannschaft, die der Sportdirektor zusammengestellt hat. Wobei das Problem weniger die Spieler sind, die er geholt hat – sondern die Spieler, die er nicht abzugeben versucht hat. Vermeintliche Führungskräfte, die seit Jahren auf bescheidenem Niveau stagnieren. „Wir machen einen harten Prozess durch. Aber wir bewahren die Ruhe und treten weiter geschlossen auf“, beteuerte Bobic.
Dabei ist offensichtlich, dass sportlich immer weniger zusammenpasst. Das nagt an den Nerven. Zumal dann, wenn die Rede auf den kessen Neuling SC Paderborn und dessen 800 000-Euro-Stürmer Elias Kachunga kommt, der in dieser Saison bereits drei Tore erzielt hat. „Wollen Sie mich provozieren?“, blaffte Bobic den Journalisten an und warnte ihn mit funkelnden Augen: „Spielen Sie kein billiges Spiel mit mir.“ Und weg war er.
Auch Armin Veh ging die lästige Fragerei der Medien auf den Zeiger. „Das war die letzte Antwort zu einzelnen Spielern“, sagte der Trainer in der Pressekonferenz in harschem Ton, nachdem er über Daniel Schwaab und Moritz Leitner referiert hatte. Schwaab hatte beim 0:1 das Kopfballduell verweigert und war am Boden kleben geblieben, als habe er sich ermahnt, dass er als Fußballer und nicht als Leichtathlet, Disziplin Hochsprung, angestellt ist. Leitner hatte sich im Joggingstil von Gegenspieler Firmino, der hinter seinem Rücken nahte, 15 Meter und den Ball abknöpfen lassen.
Es war nicht die einzige Szene, in der Leitner und seine Kollegen so hilflos wirkten wie die Verantwortlichen bei ihren Erklärungsversuchen. „Wir haben schon Qualität. Aber wir haben auch Spieler, die noch eine gewisse Jungfräulichkeit haben“, sagte Veh und verwies auf das Durchschnittsalter von rund 24 Jahren. Nur: Das ist halt der Kader, dem der VfB vertraut. Veh soll es richten, egal wie. „Ich bin noch nie abgestiegen, das bleibt auch so. Aber ich hatte es mir einfacher vorgestellt“, sagte der Trainer desillusioniert.
So belasten die Probleme auf dem Platz mehr und mehr das Zusammenspiel aller Kräfte im Verein und seinem Umfeld. Mannschaft, Vorstand, Fans und Medien – irgendwie sind sich alle in die eine oder andere Richtung überdrüssig. Es fehlt der Moderator, der das Reizklima entschärft. Bernd Wahler wäre dafür qua Amt der richtige Mann, doch der Präsident hat es in atemberaubend kurzer Zeit geschafft, sich die Gunst der Fans zu verscherzen – mit realitätsfernen Wortwolken ebenso wie mit seinem Beistand für den ungeliebten Manager: „Ich bin optimistisch, dass wir da rauskommen. Fredi Bobic ist absolut der Mann unseres Vertrauens“, sagte er. Für die Fans ist Bobic der Mann, der für Platz 18 verantwortlich ist.
Die Protesthaltung gegen Wahler ist jedenfalls beträchtlich. Die angestrebte Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung kann er angesichts der allgemeinen Stimmungslage wohl vergessen, die dafür notwendige Dreiviertelmehrheit bei der Mitgliederversammlung wird er kaum bekommen. Auch intern sorgt Wahler für Irritationen. Nicht ohne Grund löste er zu Saisonbeginn den Mediendirektor Max Jung ab. Statt der erwarteten Trennung schanzte er ihm einen neu geschaffenen Direktorenposten zu. Das ließ manchen fassungslos zurück, speziell im Aufsichtsrat, der nicht wusste, wie ihm geschah. „Davon habe ich aus der Zeitung erfahren“, sagte ein Mitglied des Gremiums.
Vertrauen sieht anders aus. Das passt ins Gesamtbild des Vereins. Im und um den VfB gibt es zunehmend gestörte Beziehungen – und offenbar keinen, der sie flicken könnte.