Ob Alexander Zornigers öffentlicher Glattstrich die Leistungssteigerung bei Timo Werner bewirkt hat, wissen wohl nur die Beteiligten. Entscheidend ist: Der Stürmer des VfB Stuttgart trifft wieder.
Stuttgart - Die Fußball-Bundesliga steckt voller seltsamer Geschichten. Der VfB Stuttgart in dieser Saison ist so eine. Und Timo Werner ein Teil von ihr. Vom Wunderkind zum Pflegefall und zurück – der 19-Jährige kennt nur Auf und Ab. Und das mit gerade mal 19 Jahren.
Im Moment geht es für Werner aus einem langen Tief wieder nach oben. Elf Spiele, drei Tore, zwei Vorlagen – seine Saisonbilanz kann sich sehen lassen. Wobei die Spielzeit für den Jungen aus Stuttgart-Münster genau genommen erst am fünften Spieltag begonnen hat. Nach dem Spiel in Berlin. Trainer Alexander Zorniger hatte ihn aus dem Kader geworfen, und im roten Haus gab es nicht wenige, die ernsthafte Zweifel hegten, ob das noch mal was wird mit Timo Werner und dem VfB.
„Da hat es bei mir klick gemacht“, sagt Werner heute, vor dem wichtigen Heimspiel gegen den FC Augsburg (15.30 Uhr/Sky). Klick gemacht – das sagt sich so leicht. Welche bewusstseinsverändernden Maßnahmen er beziehungsweise sein Trainer genau ergriffen hat, darüber will sich der Angreifer nicht näher auslassen. Nur so viel: „Ich habe Mittel und Wege gefunden, mich von bestimmten Dingen zu befreien.“ Vom Aberglauben zum Beispiel. Wenn er mittwochs in einem bestimmten Restaurant gegessen hat und am Samstag danach mit seiner Leistung zufrieden war, empfand er es fast schon als Zwang, am nächsten Mittwoch wieder ins selbe Restaurant zu gehen. Sinnlose Rituale – die nur unnötig Energie kosteten und den Blick aufs Wesentliche verstellten.
Zorniger rechtfertigt Rüffel: „Handauflegen hat bei Timo nichts mehr genützt“
Jetzt hat der 19-Jährige den Kopf wieder frei. Werner hat die richtige Mischung gefunden aus Ernsthaftigkeit und Lockerheit, aus Professionalität und der jugendlichen Freude am Spiel. „Früher habe ich mir Gedanken gemacht: Was ist, wenn ich nicht spiele. Oder: Was ist, wenn ich spiele?“ Bis er irgendwann nicht mehr wusste, wo oben und unten ist.
Teampsychologe Philipp Laux hat ihm aus seinem Tief herausgeholfen – und auch Trainer Alexander Zorniger. Zumindest sieht er selbst das so. „Handauflegen allein hat bei Timo nichts mehr genutzt“, meint der 48-Jährige und spielt auf seinen öffentlichen Rüffel nach der Kusshändchen-Affäre von Hoffenheim an. Zornigers Holzhammer-Methodik entsprang folgender Logik: Wenn er auf öffentliche Streicheleinheiten reagiert, dann reagiert er auch auf öffentliche Kritik. Wie zum Beweis legt Zorniger Werners Leistungsdaten im Vergleich vor. „Wo ein großer Konflikt hätte entstehen können, gab es eine Leistungsexplosion“, gibt Sportvorstand Robin Dutt dem Trainer rückblickend recht.
Timo Werner wiederum stimmt Dutt in Teilen zu, wenn er betont, dass es die Leistungssteigerung schon davor, nämlich nach besagtem Berlin-Spiel, gegeben habe. Das mit dem nicht vorhandenen Konflikt treffe hingegen zu, sagt Werner. „Es gibt kein Problem zwischen mir und dem Trainer. Ich konnte seine Reaktion verstehen.“ Dass er nach seinem Tor gegen Darmstadt 98 aufs Neue Küsse ins Publikum warf, und das nicht zu knapp, war aber nicht als Retourkutsche Richtung Trainer gemeint. „Ich konnte mich einfach nicht mehr kontrollieren“, beschreibt Werner seine Gefühlswelt nach seinem Treffer zum 2:0 und erklärt, dass seine Liebesbekundungen niemand Bestimmtem gelten: „Die gehen ans ganze Stadion.“
Aus dem Bubi ist ein junger Erwachsener geworden
Man mag dies als Albernheiten abtun, genauso wie den aktuellen PR-Gag mit dem Messi-Schuh, den Werner als eines von zehn Talenten in Europa über den Rasen trägt. Doch sein Alter relativiert vieles. Werner ist 19. Der mit 17 Jahren jüngste Bundesligadebütant in der Geschichte des VfB ist in den vergangenen Monaten dennoch spürbar gereift – auch außerhalb des Platzes. Aus dem Bubi ist ein junger Erwachsener geworden, ausgestattet mit einem robusteren Körper, einigem Selbstbewusstsein und der Fähigkeit, wohlformulierte Sätze zu sprechen. Werner plappert munter und befreit drauflos.
Wo er sich inzwischen selbst sieht? Werner war schon Wunderkind und Pflegefall – er scheut solche Bezeichnungen und formuliert mit der notwendigen Bescheidenheit, dass er einfach gut spielen und so viele Tore wie möglich schießen will. Und überhaupt soll es ja gar nicht so sehr um ihn als Person gehen. Höchstens um seine Rolle in der Mannschaft. Dort sieht er sich inzwischen voll angekommen – vorne im Sturm, auf seiner Lieblingsposition. „Das hilft mir enorm“, meint der U-21-Nationalspieler, „ich weiß instinktiv, wo ich hinlaufen muss und muss nicht mehr so viel darüber nachdenken: Wen greife ich an, wem kann ich helfen?“
Dass in seinem Spiel längst nicht alles Gold ist, was mit Toren und Scorerpunkten glänzt, weiß er selbst. Werners Laufwege wirken bisweilen konfus, nach Zweikämpfen landet er häufig auf dem Hosenboden, beim Pressing hapert es mit dem Timing. „Ich kann mich in vielen Dingen verbessern. Aber in meinem Alter klappt das noch ganz gut.“ Und wenn nicht, hat er immer noch einen Trainer, der weiß, wie man Timo Werner richtig anpackt.