Sieht nach dem Tod von Robert Enke keine Veränderungen im Profifußball: VfB-Keeper Sven Ulreich Foto: Baumann

Robert Enkes Tod hat Sven Ulreich nachhaltig berührt. Geändert habe sich aber nichts.

Stuttgart - Der Tod von Robert Enke hat Sven Ulreich nachhaltig berührt. Geändert habe sich im Profifußball aber nichts. "Die Normalität kam schnell wieder zurück", sagt der Torhüter des VfB Stuttgart.

Herr Ulreich, welche Erinnerungen haben Sie an den 10. November 2009?

Der Tod von Robert war im vergangenen Jahr ein Schock für uns alle. Für ganz Deutschland. Für mich als Torhüter war es, glaube ich, besonders schlimm, weil ich genau weiß, wie man als Torwart fühlt und denkt. Ich kann mich ganz gut in andere Torhüter hineinversetzen. Außerdem habe ich Robert Enke auch ein bisschen gekannt - leider allerdings nicht sehr gut.

Robert Enke - ein Mensch, der selbst von Versagensängsten und Selbstzweifeln geplagt wurde - hat Ihnen Mut gemacht . . .

Ja, das war nach der Niederlage in Leverkusen (2007/2008, 0:3, d. Red.). Damals musste ich viel Kritik einstecken. Am nächsten Tag rief plötzlich Robert Enke bei mir an.

Kannten Sie sich schon vorher?

Kaum. Er hatte sich meine Nummer über einen Mitarbeiter von unserem Torwart-Ausrüster besorgt. Robert hat mir eine halbe Stunde Mut zugesprochen, mir gesagt, dass man als Torwart immer mal wieder durch so ein Tal durchmuss. Dass ich mein Ding machen werde. Das war mit Sicherheit das Beeindruckendste, was ich als Sportler je erlebt habe. Umso größer war der Schock, als ich von seinem Suizid hörte.

Nach Robert Enkes Tod wurde von allen Seiten mehr Menschlichkeit im harten Profigeschäft gefordert, mehr Platz für Schwächen im Leistungssport. Hat sich Ihrer Meinung nach etwas verändert?

Leider nicht. Mittlerweile ist wieder alles beim Alten. Man hat vielleicht zwei, drei Wochen darüber diskutiert, und alle haben sich gewünscht, dass sich etwas verändert. In der ersten Zeit hatte ich das Gefühl, dass es ein bisschen besser geworden ist. Aber die Normalität ist sehr schnell wieder zurückgekehrt. Die Show muss weitergehen.

Sind Sie enttäuscht, wie wenig nachhaltig die Diskussionen nach Robert Enkes Tod waren?

Ich hatte ehrlich gesagt schon ein bisschen mehr erwartet. Und das geht nicht nur mir so. So denken alle, mit denen ich darüber spreche. Natürlich ist es absolut unrealistisch zu denken, dass man den Leistungsdruck im Profi-Fußball ganz abschalten kann. Das geht nicht. Aber etwas mehr Menschlichkeit würde ich mir manchmal schon wünschen.

"Ich weiß, dass Fußball nicht alles ist"

Gerade Torhüter stehen in jedem Spiel unter extremer Beobachtung. Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Der Druck muss positiv sein. Man muss Spaß am Fußball haben. Natürlich ist man nach Niederlagen schon mal niedergeschlagen, aber dann muss man am nächsten Tag trotzdem mit einer positiven Einstellung ins Training gehen. Ich bin schon verbissen dabei, aber ich versuche immer, mir Fehler nicht so sehr zu Herzen zu nehmen. Ich freue mich auf jedes Spiel. Wichtig ist aber auch, dass man an freien Tagen richtig abschaltet und nicht auch noch in der Freizeit mit sich hadert. Beruf ist Beruf, privat ist privat.

Wer hilft Ihnen dabei?

Meine Familie, meine Freundin und gute Freunde. Sie alle kennen mich seit Jahren. Sie sehen in mir nicht den Profifußballer, sondern sie sehen mich, Sven Ulreich. Sie hören mir zu, wenn ich Probleme habe. Und ich bin ein Mensch, der auch über Probleme reden kann.

Das kann nicht jeder . . .

Ich weiß, dass Robert eine super Familie hatte. Aber er war ein anderer Mensch. Er hat zumindest nach außen hin nichts an sich herangelassen und nur wenig von sich preisgegeben.

Kann sich ein Fußball-Profi heutzutage überhaupt zu einer Depression bekennen?

Das geht leider noch nicht. Kurz nach Roberts Tod hat Andreas Biermann (ehemaliger St.-Pauli-Profi, d. Red.) seine Depression öffentlich gemacht. Auch er wollte sich das Leben nehmen. Jetzt ist er vereinslos. Für einen Verein ist das schwierig, er kann den Spieler dann nicht mehr dem Druck aussetzen. Und er kann beispielsweise nicht jemanden als Nummer eins ins Tor stellen, der eine Depression hat - und gleichzeitig der Rückhalt für eine Mannschaft sein soll.

Haben Sie das Buch über Robert Enkes Leben gelesen?

Ich bin gerade dabei. Mittlerweile bin ich auf Seite 200. Es ist beeindruckend und auch erschreckend, was Robert alles durchmachen musste. Und es ist wahnsinnig schade, dass er seine tolle Karriere nicht fortsetzen konnte.

Erkennen Sie sich selbst in manchen Passagen wieder?

Ich mache mir schon meine Gedanken. An manchen Stellen des Buches merke ich, dass ich so als Torhüter auch denke. Aber man muss das differenzieren. Jeder Mensch ist anders und handelt anders. Ich weiß, dass Fußball nicht alles ist - und es gibt ein Leben danach.