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An diesem Samstag trifft der große Favorit Bayern München im Pokalfinale auf den Außenseiter VfB Stuttgart. An Unterstützung wird es den Schwaben nicht fehlen. 30 000 Fans werden in Berlin erwartet. Speziell in Neukölln steht ein langes Wochenende bevor.

Berlin - An diesem Samstag trifft der große Favorit Bayern München im Pokalfinale auf den Außenseiter VfB Stuttgart. An Unterstützung wird es den Schwaben nicht fehlen. 30 000 Fans werden in Berlin erwartet. Speziell in Neukölln steht ein langes Wochenende bevor.

Um Punkt 17 Uhr am Freitagnachmittag trifft der Überraschungsangriff des VfB die Bayern völlig unerwartet. Vor dem Brandenburger Tor bremst ein Lastwagen mit quietschenden Reifen. Die Plane der Ladefläche klappt nach oben – und auf der Pritsche findet sich eine komplette Rockband samt Schlagzeug. Die Jungs der Gruppe Die Fraktion, Exil-Stuttgarter in Berlin, stimmen den Song „VfB ein Leben lang“ an. Das Gewitter hält angesichts des Donnerhalls von der Ladefläche für ein paar Minuten inne – und von allen Seiten strömen mehrere Hundert VfB-Fans zusammen. Nach drei Minuten ist der Spuk vorbei, der Lastwagen verschwindet.

Ein Paar in Bayern-Schals steht ungläubig daneben. „Was war das denn?“, fragt die Frau, während ein paar Meter weiter wenig schmeichelhafte Lieder über den Krösus aus München angestimmt werden. Im Internet haben sich die Stuttgarter Anhänger, die am Freitag schon in Berlin gewesen sind, zum sogenannten Flashmob am Brandenburger Tor verabredet. Kurz ein bisschen trommeln und ein erstes Zeichen setzen. „So müssen wir’s am Samstag auch auf dem Platz machen“, prustet einer. Und ein Rikscha-Fahrer outet sich: „Ich sag’s ja sonst net so laut, aber ich bin einer von euch. I komm aus Stuttgart.“ 1:0 für den VfB.

Die Vereine zeigen Flagge in Berlin

Die Bayern dagegen haben Verspätung. Am frühen Freitagnachmittag jedenfalls ist der Fanartikelbus des VfB Stuttgart noch allein auf weiter Flur. Auf dem Breitscheidplatz neben der Gedächtniskirche, einige Kilometer vom Brandenburger Tor entfernt, treffen sich vor dem Pokalfinale traditionell die Fans. An diesem Samstag werden dort im Lauf des Tages Tausende erwartet. Da zeigen die Vereine Flagge. Oder zumindest einer. Die VfB-Fahne flattert im Wind. Der Platz daneben ist leer. „Dort sollten eigentlich die Bayern stehen“, sagen die Verkäufer aus dem Schwäbischen. Vielleicht haben die Feierlichkeiten nach dem Champions-League-Sieg ja zu lange gedauert.

Nebenan trinken sich die ersten Anhänger warm. Ein Bierhändler hat seinen Stand mit VfB-Fahne bestückt, die Stuttgarter sind hier klar in der Überzahl. Doch noch ist das die Ruhe vor dem Sturm. Die meisten Fans rollen erst unmittelbar vor dem Spiel an, mit Sonderzügen und Bussen. In der Nacht hin, nach der Partie direkt wieder zurück. Ein 24-Stunden-Wohlfühlprogramm mit ungewissem Ausgang.

Die geschäftige Hauptstadt nimmt wenig Notiz vom bevorstehenden Fußball-Höhepunkt. Während Schaulustige vor dem Mannschaftshotel der Bayern auf ihre Idole warten, rollt deren Mannschaftsbus völlig unbehelligt die Französische Straße hinunter Richtung Fernsehturm. Ob jemand drinnen sitzt? Nicht zu sehen. Es interessiert aber auch kaum einen. Berlin ist Großereignisse gewöhnt. Da bricht wegen ein paar Fußballern schon lange keine gesteigerte Aufregung mehr aus.

Cannstatter Kurve Berlin erwartet Hochbetrieb im Vereinsheim

Mit einer Ausnahme: In einem Altstadthaus im Bezirk Neukölln herrscht Anspannung pur. Denn das Wochenende des Jahres steht bevor. „Rössle“ steht außen an der ehemaligen Kneipe. Innen zieht sich ein roter Brustring rings um die weißen Wände. Das Stuttgarter Rössle, VfB-Wappen und Trikots zieren die Wände. Hier ist der offizielle Fanclub Cannstatter Kurve Berlin zu Hause. Und der erwartet an diesem Samstag in seinem Vereinsheim Hochbetrieb.

„Es haben sich mehrere befreundete VfB-Fanclubs angesagt, etwa aus München oder Hamburg. Dazu werden sicher noch viele andere vorbeischauen“, sagt Daniel Somfleth aus dem Vorstand. Wie viele es letztendlich werden, die von 12 Uhr an zum Frühschoppen bei Saitenwürstchen und Gaisburger Marsch den Finaltag beginnen oder später die Live-Übertragung des Spiels anschauen, weiß keiner so genau. „150 passen ins Rössle“ so Somfleth. Gerechnet wird aber mit viel mehr. Vorsorglich haben die gut 140 Mitglieder beantragt, dass an diesem Tag vor dem Vereinsheim nicht geparkt werden darf. Zur Not will die Polizei sogar die Straße sperren.

Drin stapeln sich die Getränke bis fast unter die Decke. Dabei ist die zweite Lieferung noch gar nicht da. An die 120 Kästen Bier, dazu Cola, Wasser und anderes hat der Fanclub besorgt. Und in den vergangenen Wochen noch einiges mehr mitgemacht. „Bei uns haben sich unheimlich viele Leute gemeldet, die keine Karten hatten, einfach um zu fragen, was so los ist oder wie sie hier von A nach B kommen“, sagt Somfleths Vorstandskollege Björn Isern schmunzelnd. Ein Auskunftsbüro für alle schwäbischen Berlin-Touristen. Der Fanclub selbst wird mit zahlreichen Mitgliedern im Stadion sein bei seinem Heimspiel in Berlin.

Ganz leicht hat man es als VfB-Fan allerdings nicht in der Hauptstadt. Abgesehen von der allgemeinen Schwabendebatte gibt es eine Fanfreundschaft zwischen den Anhängern von Hertha BSC Berlin und denen des Karlsruher SC, der wiederum für viele VfB-Fans ein rotes Tuch ist. Dennoch tummelt sich bei der Cannstatter Kurve Berlin ein buntes Völkchen. „Viele sind Exilschwaben“, erzählt Somfleth, „wir haben aber auch Ur-Berliner dabei.“ Und in der Nachbarschaft ist man, als man in dreimonatiger Arbeit die ehemalige Kneipe umgebaut hat, auf Wohlwollen gestoßen – auch weil die Vorpächterin für die neuen Nutzer ein gutes Wort eingelegt hat. Seither haben die zahlreichen VfB-Fans in Berlin einen eigenen Treffpunkt, seit die Kneipe in Prenzlauer Berg, wo man früher die Spiele angeschaut hat, zu eng geworden ist.

Der DFB-Pokal steht im Roten Rathaus

Falls der VfB das Wunder von Berlin schaffen sollte, erwarten die Anhänger aus der Hauptstadt übrigens hohen Besuch. Als VfB-Stürmer Martin Harnik den Fanclub einst besuchte, sagte er, dass im Fall eines Gewinns des DFB-Pokals die gesamte Mannschaft nach dem offiziellen Bankett im Rössle vorbeischaue. So richtig ernstgenommen hat das zwar keiner, aber wer weiß, was siegestrunkenen Fußballern so alles einfällt. In Neukölln jedenfalls würden sie sich nicht darüber wundern. Dafür ist das ganze Wochenende einfach zu verrückt.

Zurück in den Straßen Berlins, nimmt die Zahl der Fußballfans mit jeder Stunde zu. Manche erleben allerdings die erste Enttäuschung des Ausflugs. Im Roten Rathaus ist der Pott, der original DFB-Pokal, seit Tagen für die Öffentlichkeit ausgestellt. Nur am Freitag nicht. Ein Plakat am Eingang weist die Besucher darauf hin.

Die Fans beider Vereine schauen sich bedröppelt an und machen sich unverrichteter Dinge wieder von dannen. Mit einem kleinen Trostpflaster: An diesem Samstag gibt es noch einmal eine Chance. Vormittags können die Fußballanhänger schon einmal die Hand am Pott haben. Am Abend übernehmen dann die Spieler einer der beiden Mannschaften diese angenehme Aufgabe.

Auf dem Breitscheidplatz stapeln sich inzwischen die Bierfässer. Der Durst wird wohl auch hier gewaltig sein. Der Himmel hat seine Schleusen wieder geschlossen, die Fußballtouristen strömen allmählich wieder zurück ins Freie. Von den Fanartikelhändlern der Bayern fehlt noch immer jede Spur. Deren Schals und Trikots gibt es aber ohnehin an jedem Souvenirstand. Die Favoritenrolle ist klar verteilt. Wer bereits zwei Titel in dieser Saison geholt hat, kann sich ein bisschen Nachlässigkeit leisten. Zumindest vor dem großen Spiel. Denn mit einem müssen die Bayern, das wissen sie jetzt, immer rechnen: einem Überraschungsangriff des VfB.