Felix Magath 2001 Foto: Baumann

Die aktuelle Lage ist prekär wie 2001. Damals wehrte der VfB Stuttgart den Sturz in die zweite Liga gerade noch ab. Eine Sternstunde von Krassimir Balakov gegen Schalke besiegelte das Happy End eines nervenaufreibenden Krimis.

Stuttgart - Es ist der vorletzte Spieltag, es läuft die vorletzte Minute. Schalke 04 muss gewinnen, um deutscher Meister zu werden. Der VfB muss gewinnen, um nicht abzusteigen. Nach 88 Minuten steht es 0:0. Aber da ist ja noch Krassimir Balakov. In der vorletzten Minute sieht der Bulgare die Lücke, fackelt nicht lange, hält drauf – drin! 1:0, der VfB ist gerettet. Tonnenschwere Steine fallen allen von den Herzen – tonnenschwer lasten sie auch jetzt wieder auf allen. Auch wenn die Situation nicht eins zu eins übertragbar ist, gibt die konzertierte Rettungsaktion von einst Fingerzeige. Vor allem macht sie Mut. „Man muss immer an den Erfolg glauben“, sagte Balakov damals. Zur aktuellen Situation mag er sich nicht äußern.

Rückblende. Unter Ralf Rangnick ist der Karren verfahren, viele Spieler wirken blockiert, auch Balakov. In seiner knapp zweijährigen Amtszeit hat der Trainer nichts unversucht gelassen, dem exzentrischen Star die Flausen auszutreiben. Rangnick hat ihm das Kingsize-Bett im Hotel und die Reha-Reisen in den sonnigen Süden gestrichen. Zugunsten einer neuen Hierarchie und auf Balakovs Kosten hat er Spielern wie Timo Hildebrand und Pablo Thiam mehr Verantwortung übertragen, was zum Machtkampf zwischen Trainer und Star führt. Rangnick verliert ihn. Beim Spiel gegen 1860 München hat Balakov ihm die Kapitänsbinde vor die Füße geworfen. Nach dem Uefa-Cup-Aus bei Celta Vigo muss Rangnick gehen.

Dafür kommt Felix Magath. Der Neue singt das Hohelied auf Balakov: „An ihm können sich alle orientieren.“ Magath bricht alte Strukturen auf. Er setzt den Spielerrat außer Kraft, in dem Zvonimir Soldo, Pablo Thiam und auch der heutige Trainer Thomas Schneider mit sich und ihren Zukunftsplänen beschäftigt sind, Timo Hildebrand zu jung und Jens Todt zu häufig verletzt ist. Magath entscheidet: Alle Macht für Balakov, Kapitän Zvonimir Soldo und Marcelo Bordon. Die Routiniers sollen es richten, nur sie haben Stammplätze sicher. Dahinter ruft er den Konkurrenzkampf aus. Thomas Ernst löst Hildebrand im Tor ab und patzt gleich im ersten Spiel. Hildebrand meckert, Magath keilt zurück: „Wer als Spieler nicht mit Druck umgehen kann, hat den falschen Beruf.“ Dafür leben Stürmer Adhemar und Mittelfeldmann Jochen Seitz auf. Kristijan Djordjevic rutscht, auf Balakovs Rat hin, in die Mannschaft. Statt wie Rangnick über die Unwägbarkeiten des Geschäfts zu hadern, pocht Magath auf eine realistische Sicht der Dinge – einerseits. Andererseits greift er tief in den Schminkkoffer und übermalt die Auftritte des VfB in grellen Farben: „Spielerisch ist das die beste Mannschaft, die ich je trainiert habe. Nur, sie kann das noch nicht zeigen, weil ihr das Selbstvertrauen fehlt.“

Zuckerbrot und Peitsche.

Das hilft. Das 0:0 in Bochum und das 2:1 gegen Wolfsburg hellen die benebelten Sinne auf. Trotzdem stagniert die Mannschaft, nach dem 1:2 bei 1860 steht sie auf Platz 16. Was tun? Magath hat es mit Druck versucht – ohne Erfolg. Er hat sich vor seine Spieler gestellt – ohne Erfolg. Er hat jedem die Chance gegeben, sich zu empfehlen – ohne Erfolg. Thomas Baschab, der Motivationstrainer, hält die Mannschaft für „desolat“, die Stimmung ist „auf dem Tiefpunkt“. Thiam sagt: „Wir sind von Angst zerfressen.“ Und dann kommt Werder Bremen.

Magath, der harte Hund, geht auf Distanz – zu sich selbst. Springt über seinen Schatten. Bittet die Spieler zur Aussprache. Setzt auf Dialog. Drosselt das Training. Gibt die Aufstellung frühzeitig und nicht erst kurz vor dem Spiel bekannt. Nimmt taktische Anregungen auf. Manager Rolf Rüssmann staunt nach einem Abstecher ins Hotel: „Ich habe dort eine völlig verwandelte Mannschaft gesehen.“ Der VfB gewinnt 2:1 gegen Bremen. Und zwei Spiele später, in dieser legendären Partie, 1:0 gegen Schalke. „Bis zum Spiel gegen 1860 hatten wir alle die Lage nicht richtig eingeschätzt“, sagt Balakov.

Heute sind die Parallelen unverkennbar. Auch der VfB 2014 versucht es mit Lob und Tadel, mit positiver Haltung und Geldstrafen, mit Aufmunterung und verschärftem Training. Mit Zuckerbrot und Peitsche eben. Und mit der inständigen Hoffnung, es möge so enden wie vor 13 Jahren. Ebenso viele Spiele (und Chancen) hat er noch.