Platz 16, einiges an Ärger um seine Person – seinen Start als VfB-Trainer hat sich Alexander Zorniger ein wenig anders vorgestellt. Dennoch ist der 48-Jährige überzeugt, dass sich der Erfolg bald einstellt: „Das Vertrauen in meine Arbeit nimmt mir keiner.“
Herr Zorniger, können Sie in der Länderspielpause auch mal durchatmen?
Wir machen jetzt nicht eine Woche Urlaub, falls Sie das meinen. Aber es ist angenehm, mal eine Trainingswoche durchzuplanen, an deren Ende kein Spiel steht. Es gibt dir die Möglichkeit, die eine oder andere Sache etwas gründlicher aufzuarbeiten.
Und für Sie persönlich? Mal ein bisschen loslassen vom stressigen Alltag?
Loslassen ist in der aktuellen Situation schwierig. Man nimmt als Trainer das Thema Fußball immer auch mit nach Hause. Ein bisschen loslassen wäre sicher einfacher, wenn wir sechs oder sieben Punkte mehr hätten.
Aber irgendwann müssen doch auch Sie mal abschalten. Die letzten Monate waren sicher stressig.
Oh ja, das waren sie. Ich mache den Job aber noch nicht seit 25 oder 30 Jahren. Ich glaube, dass ich über ein gewisses Akku-Potenzial verfüge, das ich in einer Länderspielpause nicht zwingend gleich aufladen muss. Mir genügt zur Entspannung ein freier Vormittag, an dem ich in die Stadt zum Frühstücken oder zum Friseur gehen kann.
Sind Sie schon angekommen in der Fußball-Bundesliga?
Sportlich gesehen ja. Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass ich dort arbeite. Das Vertrauen in meine Arbeit nimmt mir keiner.
Und sonst?
An die öffentliche Wahrnehmung muss ich mich erst noch gewöhnen. Klar musst du auch in der Oberliga Spiele gewinnen. Aber es gucken halt nicht so viele zu. Und es schreiben nicht so viele darüber.
Mit RB Leipzig haben Sie immerhin Zweite Bundesliga gespielt. Dort gab es doch auch eine vergleichsweise große Öffentlichkeit.
Dort habe ich aber zwei Jahre und vier Monate sehr erfolgreich gearbeitet, das macht vieles einfacher. Hier muss ich mir den Erfolg erst noch erarbeiten.
Wie nehmen Sie wahr, was über Sie berichtet wird?
Ich lese es nur zu einem ganz kleinen Teil. Sonst würde ich manchmal wahrscheinlich an meinem Gegenüber zweifeln. Dann lasse ich es lieber. Die breite öffentliche Begleitung verkompliziert die ganze Sportart.
Aber es gehört zum Showgeschäft Bundesliga nun mal dazu.
Natürlich, und ich will das ja auch gar nicht verteufeln. Was mich stört, ist, dass in der Berichterstattung oftmals die Grautöne fehlen oder Dinge nicht in ihrer Gesamtheit abgebildet werden. Aber ich weiß, dass der Job der Medien auch nicht immer der einfachste ist.
Welche Reaktionen erfahren Sie persönlich, seit Sie hier sind?
Wenn ich in Stuttgart irgendwo hinkomme, wird immer sehr respektvoll mit mir umgegangen. Nicht unkritisch, aber respektvoll. Ich bekomme auch SMS mit dem Tenor: „Bleib so, wie Du bist.“ Derjenige, der mir das schreibt, kann mich allerdings nicht wirklich kennen, sonst würde er das niemals schreiben. Aber natürlich freue ich mich über die Rückendeckung.
Für Ihre öffentliche Spielerkritik haben Sie zum Teil ordentlich Prügel bezogen. Zu Recht?
Das würde bedeuten, dass ich etwas grundsätzlich falsch gemacht habe. Ich werde mich auch in Zukunft so verhalten, wie es die Situation erfordert. Harmonie ist was für Anfänger (lacht).
Sieht Timo Werner das genauso?
Dass ich mich öffentlich zu jemandem äußere, ist nie die erste Maßnahme. Das war auch bei Timo so. Und man muss dazu sagen, dass er schon vor meiner Zeit öffentlich kritisiert und seine Entwicklung angezweifelt wurde. Handauflegen allein hat halt nicht gereicht. Wie man sieht, haben die Kritik und die Gesamtheit der Arbeit aller mit ihm ja dann gefruchtet. Ich bin nicht patzig, weil ich patzig sein will. Aber ich glaube, dass ich ein paar Prozesse in der Mannschaft besser einschätzen kann als andere.
Kommen wir zum Sportlichen. Haben Sie inzwischen eine Erklärung dafür, warum die Mannschaft – salopp gesagt – gut spielt und verliert und schlecht spielt und gewinnt?
Dass wir aus den ersten fünf Spielen keinen einzigen Punkt geholt haben, das zu erklären fällt mir nach wie vor sehr schwer. Allein durch die Faktoren Zufall oder Glück hätten wir wenigstens drei oder sechs Punkte holen müssen. Dann würden wir jetzt hier sitzen und ganz anders reden. Aber wir haben inzwischen an ein paar Dingen gearbeitet, die vielleicht nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind.
Zum Beispiel?
Die Konsequenzen von unzureichendem Defensivverhalten, zum Beispiel das Gespür für die vermeintlich unwichtigen Situationen vorne im Spiel gegen den Ball – ohne auf der diagonalen Seite dafür bestraft zu werden.
Klingt kompliziert.
Das Wichtigste ist, dass die Mannschaft es verstanden hat. Und das hat sie. Sie entwickelt sich weiter.
Die letzten Heimspiele waren aber keine Augenweide – trotz der Siege.
Wenn man unsere Spielphilosophie zum Maßstab nimmt, gebe ich Ihnen recht. Aber gegen Ingolstadt und Darmstadt mussten wir so spielen, sie gaben uns mit ihren langen Bällen nicht die Möglichkeit, ins Pressing zu kommen. Gegen den FC Augsburg (21.November, 15.30 Uhr/Sky) erwarte ich ein ähnliches Spiel. In dieser wunderschönen, aber manchmal auch eigenwillig denkenden Stadt erwarten immer noch viele Leute, dass wir Mannschaften wie Darmstadt einfach so wegbügeln.
Ihr Sturm-und-Drang-Fußball hat also fürs Erste ausgedient.
Überhaupt nicht! In der Bundesliga gibt es genügend Mannschaften, die uns die Möglichkeit geben, so zu spielen, wie wir eigentlich wollen. Aber natürlich nicht jede. Grundsätzlich gilt: Die Wahrscheinlichkeit, ein Spiel, das ich selbst bestimme, zu gewinnen ist viel größer, als wenn ich mir kaum Möglichkeiten herausspiele.
Ist Ihre Mannschaft überhaupt gemacht für Ihre Art von Fußball – und gewillt?
Absolut! Ich habe den Fußball ja nicht neu erfunden. Im Prinzip kann jeder dem System folgen, wenn er will. Und meine Spieler geben mir immer wieder zu verstehen, dass sie wollen. Schon deshalb, weil es einfach mehr Spaß macht, selbst aktiv zu werden, statt einfach nur abzuwarten.
Hätten Sie Ihre Systemveränderung vor der Saison nicht behutsamer vornehmen müssen?
Ich wüsste nicht, wie man eine solche Spielweise peu à peu einführen sollte. Etwa damit, erst mal nur in der eigenen Hälfte schnelle Ballgewinne zu generieren? Das funktioniert nicht. Es war richtig, diese Radikaländerung vorzunehmen, und zwar mit allen Konsequenzen.
Was heißt das genau?
Mein Job ist es, eine Leistungsatmosphäre zu schaffen, die nur auf eines abzielt: Wir müssen jeden Tag besser werden. Es soll niemand mehr lamentieren, wenn ich sage: Das reicht nicht. Alles dem Erfolg unterzuordnen, das ist für mich das Entscheidende.
Der VfB galt lange als Wohlfühloase. Wie weit sind Sie schon gekommen, den Spielern ein höheres Anspruchsdenken zu vermitteln?
Das weiß ich nicht. Aber es gibt sicher noch viel zu verbessern – jeden Tag aufs Neue und nicht nur bei den Spielern.
Liegt es nicht einfach an der fußballerischen Qualität des Kaders, dass der VfB wieder nur auf dem 16. Platz der Tabelle steht? Oder anders gefragt: Sind in der Winterpause Verstärkungen nötig?
Wir versuchen gerade, die Leistungsfähigkeit der Mannschaft zu erhöhen. Es wird in der Winterpause nicht die großen Veränderungen geben – allenfalls punktuell. Den Karren aus dem Dreck zu fahren ist die Aufgabe der bestehenden Mannschaft.
Zu der auch Georg Niedermeier zählt, obwohl er bei Ihnen keine Rolle spielt. Würden Sie ihn im Winter ziehen lassen?
Das werden wir in Absprache mit dem Spieler entscheiden. Grundsätzlich muss sich jeder Spieler, der wenig Einsatzzeit hat, fragen: Was kann ich ändern, um wieder mehr zum Zug zu kommen?
Was ist mit den Jungen wie Arianit Ferati, Jan Kliment oder Mart Ristl? Was trauen Sie ihnen noch zu?
Jan hat gemerkt, dass etwas dabei herauskommt, wenn er im Training hart arbeitet. Dadurch ist er schon jetzt auf ein anderes Niveau gekommen. Ähnlich wie Philip Heise, der sich gerade sehr gut entwickelt. Bei Arianit und Mart verhält es sich so, dass Ari der Talentiertere und Mart der Diszipliniertere von beiden ist. Die größte Herausforderung für sie ist jetzt wie bei vielen jungen Spielern, mit ihrem Talent richtig umzugehen.
Welche Schlagzeile wünschen Sie sich zum Saisonende mit dem VfB?
(Überlegt lange) Vielleicht so in die Richtung: Was lange währt, wird endlich gut. Oder von mir aus auch gerne: Gott sei Dank hat er seinen Sturkopf behalten (lacht).