Vesperkirche in Stuttgart Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die Vesperkirche zieht nach knapp sieben Wochen Bilanz: Täglich wurden im Schnitt 570 Essen ausgegeben. „Ein Zeichen dafür, dass sich die Armut in der Stadt verfestigt“, sagt Pfarrerin Karin Ott.

Stuttgart - So lange es Hilfen für Notleidende gibt, so lange gibt es kritische Stimmen dazu. Ganz gleich, ob es sich um Tafelläden, Suppenküchen oder auch die Vesperkirche handelt. Stuttgarts evangelischer Diakonie-Dekan Klaus Käpplinger ist sich dessen bewusst. Er kennt solche Spitzen: „So etwas verfestigt die Armut doch nur.“ Oder: „Die Armen werden dabei instrumentalisiert, um den Skandal der Armut sichtbar zu machen.“

Nur in einem Punkt stimmt Käpplinger diesen Provokationen zu. Die vergangenen sechseinhalb Wochen, in denen die Vesperkirche stattfand, waren Wochen, in denen keiner wegschauen konnte. Die Armut blickte jedem, der wollte, mitten ins Gesicht.

"Ich bin so unendlich müde"

Oder wie es Vesperkirchen-Pfarrerin Karin Ott ausdrückt: „Vesperkirche war wieder ein Spiegel des Lebens.“ Des Lebens auf der Schattenseite.

Am eindrücklichsten erzählt davon ein 64-Jähriger: „Jeder Tag in Armut ist ein Kampf. Ich bin so unendlich müde. Aber während der Vesperkirche muss ich ein bisschen weniger kämpfen.“

Solche Aussagen geben Karin Ott und den 800 Ehrenamtlichen Mut für ihre Arbeit, „die allen an die Nieren geht“. Denn diese Armut sei für Stuttgart ausgesprochen beschämend. Zwar wurden in diesem Jahr pro Tag durchschnittlich 30 Mittagessen (2014 waren 600) weniger ausgegeben. Aber im Jahr 2010 waren es nur 540. „Das zeigt, das sich die Armut auf hohem Niveau verfestigt hat“, sagt Ott.

Es kann jeden ganz schnell treffen

Aber die Vesperkirche 2015 habe auch etwas anderes gezeigt: Nämlich, dass man immer schneller und ungebremst durchs soziale Netz fällt. Auch die Altersarmut habe weiter zu genommen. „Wer länger als ein Jahr draußen war, ist dauerhaft draußen“, sagt Ott. Vor allem in einer Stadt wie Stuttgart, in der Wohnen und Leben besonders teuer sei. Ihre Botschaft lautet daher: Es könne ganz schnell jeden treffen.

„Dabei ist doch genug für alle da“, sagt Ott, „aber wir sollten jetzt anfangen zu teilen.“ Den Reichtum ebenso, wie die Empörung über diese Verhältnisse.

Damit erfüllte die Vesperkirche, die noch bis 7. März geöffnet ist, aus ihrer Sicht auch 2015 wieder zwei Funktionen: In erster Linie konkrete Hilfe. Aber auch „den Protest gegen diese Welt“.