Die Vesperkirche gibt Essen an Bedürftige aus. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Vesperkirche der Saison 2022 hat eröffnet: Wegen der Coronapandemie heißt in den kommenden sieben Wochen indes einmal mehr die Devise „Essen zum Mitnehmen“.

Stuttgart - Vorsichtig verstaut Maria die Papiertüte in ihrem Trolley. Das gut verpackte Mittagessen soll sicher zuhause ankommen. „Hähnchengeschnetzeltes mit Gemüse und Rahmsoße mit Reis“ sowie „Reisgemüsepfanne mit Rahmsoße“ hat sie sich von der Vesperkirche geholt. Die hat wieder geöffnet. Doch aus pandemischen Gründen können die Menschen nicht im Inneren des Gotteshause Gemeinschaft beim Mahl erleben: Wie 2020 bietet die Vesperkirche vorerst „Essen to go“ an, das täglich zwischen 11.30 und 14 Uhr an der Tür zur Magdalenenkapelle der Leonhardskirche ausgegeben wird – bis 5. März 2022. Gratis, über Spenden freuen sich die Mitarbeitenden und Freiwilligen des Diakonieteams. „Wer kann und will, gibt“, sagt Doris, die mit Sabine bei der Ausgabe hilft und an einem Stehtisch Traubensaft ausschenkt. „Auch eine Spende!“, erklärt sie, auf Getränkekästen verweisend.

„Drinnen essen war schön“, erinnert sich Maria. „Menschen treffen, schwätzen, ich bin ja allein.“ Aber die 88-Jährige ist froh, dass es das Angebot überhaupt gibt. Sie bekomme Grundsicherung. „Ein schöneres Wort als Hartz IV.“ Gleich Essen für zwei Tage habe sie eingepackt. „Dann muss ich morgen nicht her, das Gehen fällt mir schwer.“ Die Rentnerin erzählt aus ihrem Leben, Krieg, auf dem Bau arbeiten, Krebsoperationen. „Nun gehe ich Flaschen sammeln“, schließt sie, ihr Wägelchen schiebend.

Gesunde Ernährung ist teuer

Diakoniepfarrerin Gabriele Ehrmann nickt verständnisvoll. „Bis übermorgen dann“, ruft sie aufmunternd. „Solch ein Leben, dann im Alter Flaschen sammeln, da drückt mein Herz.“ Neben Rentnerinnen und Rentnern kämen Wohnungslose, Obdachlose, Arbeitslose, jene, mit niedrigen Einkommen, jene, die ob Inflation und steigenden Energiepreisen weniger im Portemonnaie hätten, über die Jahre jeweils drei Viertel Männer. Aber es stehen auch jüngere Menschen in der Schlange, die sich draußen um die Kirchenapsis schieben, mit Maske und auf Abstand. Auch Familien kämen, so Ehrmann. „Gemüse und Obst sind teurer, damit gesunde Ernährung!“ Eine alleinerziehende Mutter war mit ihrer 14-jährigen Tochter da. „Gestern gaben wir 250 Essen aus – hatten zwei mobile Impfteams hier.

Leider ließen sich nur 21 Menschen impfen.“ Täglich würden in der Küche des Rudolf-Sophien-Stifts 600 Mahlzeiten vorbereitet, um bei der Vesperkirche sowie bei Kooperationspartnern, der eva, Bahnhofsmission, Olgastraße 46 sowie an der Paulinenbrücke, ausgegeben zu werden. Ehrmann und ihr Team erleben hautnah, was Statistiken zeigen: Die Pandemie hat die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert. Menschen, die zuvor schon prekär lebten, gehe es schlechter, waren in Kurzarbeit, hätten gar ihren Job verloren, während es am anderen Ende der Skala manchen besser gehe.

„Schimanski“, wie er sich nennt, hat zwar seinen Job in der Logistik noch, aber die Folgen der Krise spürt auch er im Geldbeutel. „Wir haben zwar eine Kantine; ich bin lieber hier und tue was in Spendenkässchen, es ist lecker.“ Dann setzt er leise hinzu, seine Mutter sei gestorben, seine Freundin sei gegangen, er könne nicht kochen.

Schere zwischen Arm und Reich

Wie ein Rentner, der ebenfalls von Frau und Kindern verlassen wurde. „Ins Ausland! Nun muss ich zurechtkommen, finanziell und überhaupt.“ Zur Ur-Idee der Vesperkirche, die 1995 vom Diakoniepfarrer Martin Friz ins Leben gerufen wurde, gehöre Zusammenleben auf Zeit, betont Ehrmann; und daher auch stets ein Kulturprogramm. „Unser erstes Konzert haben wir terminiert auf den 30.1.2022 um 16 Uhr. Aber Gesundheit hat Priorität, in Sachen Kirchenöffnung geben wir die Hoffnung nicht auf, sind im Gespräch mit dem Gesundheitsamt.“ Und mit dem Rathaus: OB Frank Nopper soll im Februar kommen, um unter anderem mit Langzeitarbeitslosen zu sprechen.