Die bundesweite Einführung der Bezahlkarte lässt auf sich warten. Aus Sicht des Flüchtlingsrats sollte die Zeit genutzt werden. Erste Kreise haben ihre Erfahrungen gemacht.
Der Flüchtlingsrat fordert die Landesregierung auf, die Verzögerungen bei der bundesweiten Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber zu nutzen, um das System zu überdenken und den Landkreisen freie Hand zu lassen. Die Politik könne dabei auf unterschiedliche Erfahrungen mehrerer Regionen bauen, um das Angebot für geflüchtete Menschen zu vereinfachen, sagte die Co-Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg, Anja Bartel.
Für vorbildlich hält sie den Ortenaukreis mit seiner Version einer Bezahlkarte. Im Vergleich dazu sei die Variante im Zollernalbkreis deutlich einschränkender. Beide äußern sich allerdings zufrieden mit den Karten.
Darum verzögert sich die Einführung der Bezahlkarte
Sollte diese allerdings wie geplant mit vielen Auflagen im Land eingeführt werden, dürften nach Einschätzung Bartels deutsche Richter das letzte Wort haben: „Natürlich erwarten wir bei so einer einschneidenden Maßnahme, dass Betroffene den Klageweg suchen und Gerichte entscheiden müssen“, sagte sie. „Aus unserer Sicht ist der Ansatz einer Bezahlkarte verfassungswidrig, wenn Betroffene noch stärker als ohnehin schon daran gehindert werden, ihre Bedarfe zu erfüllen.“ Dies widerspreche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, nach denen die Menschenwürde nicht zu relativieren sei.
Wegen Einsprüchen im Ausschreibungsverfahren verzögert sich die bundesweite Einführung der Bezahlkarte. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hofft, dass sie noch vor den Wahlen in drei ostdeutschen Bundesländern im September kommt. 14 von 16 Bundesländern haben sich auf das geplante länderübergreifende bargeldlose Bezahlsystem für Flüchtlinge verständigt. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern gehen eigene Wege. Die Karte soll unter anderem Geldzahlungen an Schleuser oder Familien in den Heimatländern verhindern, Kommunen bei der Verwaltung entlasten und den Anreiz für irreguläre Migration senken.
Bartel hält das für einen Trugschluss: „Es ist erschreckend, wie viele Politikerinnen und Politiker immer wieder diesem Mythos der sogenannten Push- und Pull-Faktoren folgen“, sagt sie. Die bisherigen Äußerungen von Geflüchteten zeigten, dass die Bezahlkarte nicht als die einschränkende Maßnahme wahrgenommen werde, als die sie gedacht sei, und somit nicht zum politischen Ziel führe. „Es ist ausgeschlossen, dass die Bezahlkarte Auswirkungen darauf hat, wie viele Menschen nach Deutschland fliehen“, sagt Bartel.
So ist die Lage in Baden-Württemberg
Mehrere Landkreise in Baden-Württemberg haben bereits eigene Kartensysteme eingeführt, um Asylbewerbern möglichst wenig Bargeld zur Hand zu geben. Als Vorreiter gilt der Ortenaukreis, in dem seit einem halben Jahr vor allem das Ziel verfolgt wurde, die Verwaltung zu entlasten. Nach Angaben eines Sprechers sind bislang 470 Karten als Bargeldersatz an Menschen oder Familien übergeben worden, die kein eigenes Konto eröffnen können. „Wir sind mit der Lösung glücklich. Es gibt keine Klagen“, sagte der Sprecher.
Im Zollernalbkreis sind seit Ende März Karten an etwa 425 sogenannte Bedarfsgemeinschaften oder rund 900 Menschen ausgehändigt worden. Bereits im Juni wurden auch die Bestandsfälle auf die Bezahlkarte umgestellt. „Es bestand konkret die Befürchtung, dass eine bundesweite Lösung noch längere Zeit auf sich warten lässt“, sagte ein Sprecher des Landkreises.
Die Erwartungen seien erfüllt worden. „Wir bemerken die Entlastung für die Verwaltung durch die wegfallenden Bargeldauszahlungen an der Kasse“, sagte er. „Weil weniger Bargeld vorgehalten werden muss, ist das Sicherheitsrisiko für die Bediensteten reduziert.“ Der zunächst noch etwas höhere Aufwand werde spätestens dann entfallen, wenn sich das Verfahren bundesweit etabliert habe. Und die Empfänger? „Nach unserer Beobachtung kommen die Asylbewerber damit insgesamt im Alltag zurecht“, hieß es.
Der Flüchtlingsrat hat da seine Zweifel. „Die Rückmeldungen aus dem Zollernalbkreis lassen darauf schließen, dass die Bezahlkarte mit großen Problemen verbunden ist“, sagt Bartel. Geflüchtete würden gegängelt. Es werde ihnen erschwert, Handy-Rechnungen zu zahlen oder einen Rechtsanwalt, wenn sie ihn benötigten. Außerdem werde nur eine Karte pro Bedarfsgemeinschaft ausgegeben. „Das wirft Machtfragen in der Familie auf“, sagte Bartel.