Die Stuttgarter werden beim 2:5 in Leverkusen durch einen nicht gegebenen Handelfmeter klar benachteiligt. Nicht zum ersten Mal hadert der Aufsteiger mit den Schiedsrichtern.
Stuttgart - Auf eine Diskussion lässt sich Sven Mislintat diesmal grundsätzlich nicht ein. „Da gibt es keine zwei Meinungen. Das ist der glasklarste Elfmeter, den es nur geben kann. Ich kann erwarten, dass der Schiedsrichter nicht das Spiel eines Aufsteigers bei einem Champions-League-Aspiranten derart unglücklich beeinflusst“, sagte der Sportdirektor.
Der fußballerische Auftritt des VfB beim 2:5 in Leverkusen ist vor der Pause speziell in der Abwehr, wo Akteure wie Marc Kempf und Konstantinos Mavropanos neben sich standen, beängstigend schwach gewesen. „Da haben wir uns zeitweise herspielen lassen“, gibt auch Mislintat zu. „Es war vermutlich unsere schwächste Halbzeit der Saison.“ Und dennoch kam der Szene aus der 54. Spielminute, die nicht nur den streitbaren Westfalen so in Rage versetzte, tatsächlich die zentrale Bedeutung des Spiels zu.
Schließlich waren die Stuttgarter wesentlich strukturierter und mit mehr Dampf in die zweite Hälfte gestartet, hatten durch einen feinen Lupfer von Sasa Kalajdzic (50.) auch den Anschlusstreffer zum 1:2 erzielt, als das Schiedsrichter-Gespann um den Bremer Sven Jablonski ins Zentrum der Kritik rückte. Zunächst hatte Timothy Fonsu-Mensah den Ball nach einem Kalajdzic-Schuss aus kurzer Distanz an die rechte Hand bekommen, die der Verteidiger schützend vor dem Gesicht hatte. Dies belegen die TV-Bilder.
Keine Überprüfung der Handspiel-Szene
Doch Jablonski pfiff nicht. Im direkten Gegenzug fiel dann das 3:1 für die Gastgeber. Dem Treffer von Leon Bailey folgte zwar eine lange Überprüfung der Videobilder. Doch wie sowohl via Anzeigetafel im Stadion als auch über den Twitter-Kanal des DFB erklärt wurde, galt die Prüfung gar nicht dem Handspiel, sondern nur einer möglichen Abseitsstellung von Vorlagengeber Moussa Diaby.
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Statt der Möglichkeit, per Strafstoß auf 2:2 zu stellen, lag der VfB also 1:3 zurück. „Alles was danach passierte, ist für mich irrelevant“, sagte Mislintat über sein junges VfB-Team, das sich neben dem zweiten Kalajdzic-Treffer per Volley-Abnahme noch die Gegentore Nummer vier und fünf einfing.
Dass der VfB eindeutig benachteiligt wurde, belegt auch der Blick in das Reglement bei Handspiel im eigenen Strafraum, das seit dem 1. Juni 2019 in einer modifizierten Version gültig ist. Es wird Sven Mislintat nicht besänftigen. Schließlich ist dort klar vermerkt, dass unter anderem bei jedem Handspiel „ein Vergehen vorliegt, wenn ein Spieler den Ball mit der Hand berührt und sich sein Arm/Hand oberhalb der Schulterhöhe befindet.“ Eine Ausnahme dieser Regel gibt es in diesem Fall allein, „wenn ein Spieler den Ball vorher absichtlich mit dem Kopf oder Körper spielt“, sich also selber anschießt. Dies war bei Fonsu-Mensah nicht der Fall.
„Man kann viel über das Spiel diskutieren, aber sicher nicht, ob die Handspielregel richtig ausgelegt wurde. Wurde sie nämlich nicht“, erklärte der Stuttgarter Vorstandschef Thomas Hitzlsperger daher zu Recht. Denn auch das Argument des Bayer-Doppeltorschützen Kerem Demirbay, der in der ersten Hälfte auf 2:0 gestellt hatte, zog nicht. „Wenn der Ball aus einem halben Meter in Richtung Gesicht geht, ist es eine Reflexreaktion. Und er hat die Hand ja vor dem Gesicht“, erklärte der 27-Jährige. Doch eine Schutzhand gibt es im aktuellen Regelwerk nicht.
„Ich verstehe das Argument, dass der Ball aus kurzer Distanz kommt“, entgegnete der VfB-Torhüter Gregor Kobel. „Aber uns wurde in den Schulungen klar gesagt, dass die Hand vom Verteidiger über Schulterhöhe nichts zu suchen hat. Deshalb geht das überhaupt nicht, das ist ein klarer Elfmeter.“
Der VfB – ein gebranntes Kind
Was den Stuttgarter Ärger noch größer macht, ist der Umstand, dass man in Sachen nicht gegebener Handelfmeter ein gebranntes Kind ist. Bereits am vergangenen Mittwoch hatte es in der mit 1:2 verlorenen Pokalpartie gegen Mönchengladbach Unmut gegeben, als dem Borussen Stefan Lainer in der Nachspielzeit der Ball im eigenen Sechzehner an die Hand sprang. Auch im Heimspiel gegen den FC Bayern (1:3) war Münchens Verteidiger Niklas Süle der Ball an die ausgestreckte Hand geprallt – doch ein Pfiff blieb aus.
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Während sich der Trainer Pellegrino Matarazzo kurz nach Spielschluss in Sarkasmus flüchtete („Ich kann die Szene nicht bewerten, da ich die Handregel nicht mehr verstehe“), liegt für Sven Mislintat der Ball jetzt im Feld der Schiedsrichter. „Es gibt die technischen Hilfsmittel für die Unparteiischen“, sagt der 48-Jährige. „Jetzt bitte ich darum, dass sie auch genutzt werden.“
Das Urteil von Knut Kircher
Der Rottenburger Knut Kircher hat in seiner Schiedsrichter-Laufbahn 244 Bundesligaspiele gepfiffen – und sagt: „Grundsätzlich gilt: Die Schiedsrichter machen die Regeln nicht, sondern sie setzen sie nur um. Man hat beim Handspiel versucht, die Regeln zu vereinfachen. Leider sind sie nicht einfacher geworden. Dabei hätten auch wir Schiedsrichter es gerne, dass jeder Fan die strittigen Szenen beim Handspiel sofort nachvollziehen kann.“