Gemeindetagspräsident Steffen Jäger fordert eine schonungslose Debatte. Foto: dpa/Marijan Murat

Überall in den Verwaltungen in Baden-Württemberg fehlen Mitarbeiter. Der Mangel gefährdet das Gelingen der Gesellschaft, sagt Gemeindetagspräsident Jäger. Er weiß, welche Aufgaben wegfallen können.

In den Bürgerämtern werden die Schlangen immer länger, weil es zu wenig Verwaltungsfachleute gibt. Auf den Rathäusern fehlen die IT-Experten, in den Kitas werden händeringend Erzieherinnen gesucht. Baden-Württemberg steuert auf einen immensen Arbeitskräftemangel zu, klagen die im Gemeindetag organisierten kleineren Städte und Gemeinden im Land. Der mache auch vor den Verwaltungen nicht halt.

 

„Es gibt so gut wie kein kommunales Tätigkeitsfeld, das aktuell keine Personalgewinnungssorgen hätte“, stellt Steffen Jäger, der Präsident des baden-württembergischen Gemeindetags gegenüber unserer Zeitung fest. Wie groß die Lücke im öffentlichen Dienst genau sein wird, lasse sich gar nicht sagen. Doch in Baden-Württemberg wird es laut Gemeindetag in den nächsten 15 Jahren allein wegen der Geburtenraten 800 000 Arbeitskräfte weniger geben. Aktuell sind von den 6,4 Millionen Erwerbstätigen im Südwesten 613 000 im öffentlichen Dienst.

Krisenbewältigung ohne Fachkräfte

Jäger spricht von einer „ernsthaften Gefahr für die volkswirtschaftliche Entwicklung“ in Baden-Württemberg. „Ohne die erforderlichen Arbeitskräfte ist das Gelingen unserer Gesellschaft in Frage gestellt“, warnt der Sprecher der Bürgermeister – gerade angesichts der aktuellen Krisenbewältigung und der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Der Präsident regt eine „umfassende politische Diskussion“ an, und fordert einen Masterplan mit gezielten Maßnahmen zur Überwindung des Mangels. Der Gemeindetag will auch die bisherigen Aufgaben in den Blick nehmen und manche davon streichen.

Gemeinden wollen Potenzial an Arbeitskräften heben

In einem Positionspapier, das unserer Zeitung vorliegt, schlagen die Bürgermeister Sanktionen für Arbeitslose vor, die Angebote zur Aus- und Weiterbildung ohne gute Gründe ablehnen. Sie wollen gezielte Zuwanderung von Fachkräften, mit einfacheren Regelungen, schnelleren Verwaltungsverfahren und eine neue „Fachkräfteeinwanderungsverwaltung“. Teilzeitkräfte und Rentner sind ein weiteres Arbeitskräftepotenzial, das die Verwaltungsexperten heben wollen. Sie plädieren für ein flexibles Rentenalter, den Renteneintritt sollten die individuellen Berufsjahre bestimmen. Möglichst wenige sollten vorzeitig in den Ruhestand gehen. Bei der Erhöhung der Arbeitszeiten von Teilzeitbeschäftigten hat sich der Ministerpräsident bei den Lehrern mit seinem Vorstoß kürzlich eine blutige Nase geholt.

Das schreckt die Bürgermeister nicht. Sie wollen Anreize schaffen, damit Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeiten erhöhen. Man denke an Steueranreize für Zweitverdiener, oder an neue Hinzuverdienstgrenzen für Rentner, sagte ein Sprecher des Gemeindetags auf Anfrage. So könnten Kapazitäten im Umfang von 50 000 bis 100 000 Stellen gewonnen werden. Wenn das Elterngeld neu geregelt würde, könnte Teilzeitbeschäftigung ebenfalls attraktiv werden.

Teilzeitbeschäftigte sollen aufstocken

Mangel unvermeidbar

Doch selbst wenn alle Maßnahmen sofort ergriffen würden, gibt es nach Einschätzung des Gemeindetags in den kommenden Jahren einen erheblichen Mangel an Arbeitskräften. „Realistisch betrachtet bedarf es Antworten, wie der zumindest kurzfristig nicht vermeidbare Mangel bestmöglich aufgefangen wird“, sagte Jäger unserer Zeitung. Aufgabenkritik lautet das Zauberwort.

Die zahlreichen Dokumentationspflichten etwa von Erzieherinnen in Kitas sollten reduziert werden. Bürokratieungeheuer, die Kapazitäten unnötig binden, gibt es nach Auffassung der Bürgermeister genug. Sie führen als Beispiele die neuen Umsatzsteuerregelungen an oder die Pflicht deutlich mehr Lärmaktionspläne zu erstellen – sogar für Bereiche, in denen gar niemand wohnt.

Problem Personalvertretung

Die Bürgermeister regen auch an, die Pflicht zur Freistellung nach dem Landespersonalvertretungsgesetz zu überprüfen. Auch das Berufsbildungsgesetz nennen sie als ein Beispiel, das Ressourcen binde, die bei der originären Aufgabenerfüllung fehlen.

Andererseits müssen die Ansprüche gesenkt werden, argumentiert der Gemeindetag unter dem Stichwort „Standards flexibilisieren“. Nicht für alles brauche es Fachleute, sagen sie und wollen „unbürokratisch“ den Weg für Quereinsteiger öffnen.