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Deutschland darf den EU-Reformvertrag von Lissabon vorerst nicht ratifizieren, obwohl das deutsche Zustimmungsgesetz zu dem Vertragswerk mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

Karlsruhe - Das Bundesverfassungsgericht hat den EU-Reformvertrag von Lissabon grundsätzlich gebilligt, aber eine stärkere Mitwirkung des Parlaments bei EU-Entscheidungen verlangt. Das höchste deutsche Gericht stoppte deshalb am Dienstag den laufenden Prozess zur Ratifizierung des Vertrags, bis die Beteiligungsrechte von Bundestag und Bundesrat gestärkt werden. Darüber soll in Bundestags-Sondersitzungen zunächst am 26. August und abschließend am 8. September entschieden werden. Das Karlsruher Urteil über den Reformvertrag ist in allen Parteien überwiegend positiv aufgenommen worden. Auch die Kläger waren zufrieden.

Nach der Gerichtsentscheidung steht das deutsche Begleitgesetz, das die Beteiligung des Parlaments am Erlass europäischer Vorschriften regelt, im Widerspruch zur Verfassung. Erst nach Beseitigung der Defizite dürfe die Ratifikationsurkunde zum Vertrag hinterlegt werden - dann wäre der Vertrag von Deutschland gebilligt. Bundespräsident Horst Köhler hatte seine Unterschrift unter den Vertrag mit Rücksicht auf die Karlsruher Entscheidung zurückgestellt. Durch das Urteil gerät der Bundestag unter Zeitdruck - der Vertrag soll spätestens Anfang 2010 in Kraft treten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte: "Es ist ein guter Tag für den Lissaboner Vertrag." Sie sei froh, dass sich die Fraktionen darauf verständigt hätten, das neue Begleitgesetz für den EU-Reformvertrag noch bis September zu verabschieden. Der CSU-Politiker Peter Gauweiler, einer der Kläger, sah sich in vollem Umfang bestätigt. Mit dem Urteil sei der Idee eines "Europas der Vaterländer" Rechnung getragen worden. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, zentrale Aussage sei, dass der Vertrag mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Umsetzung des Urteils werde zur besseren Legitimation von Entscheidungen auf EU-Ebene führen.

Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso begrüßte das Urteil. "Ich bin zuversichtlich, dass das Gericht mit diesem Urteil den Weg für den raschen Abschluss der deutschen Ratifizierung des Vertrags von Lissabon geebnet hat", hieß es in einer in Brüssel veröffentlichten Erklärung. Barroso geht davon aus, "dass wir den Prozess der Ratifizierung bis zum Herbst in allen EU-Ländern abschließen können".

"Das Grundgesetz sagt Ja zu Lissabon, verlangt aber auf nationaler Ebene eine Stärkung der parlamentarischen Integrationsverantwortung", sagte der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. An mehreren Stellen des Vertrags schreibt das Gericht eine zwingende Beteiligung von Bundestag und Bundesrat vor. Das gilt etwa für die sogenannte Brückenklausel, nach der für Beschlüsse des Europäischen Rates statt der Einstimmigkeit ein Mehrheitsprinzip eingeführt werden kann. Dem Urteil zufolge dürfte die Bundesregierung einer solchen Änderung nur auf Grundlage eines Gesetzes zustimmen.

Ähnlich wie Merkel reagierte auch SPD-Kanzlerkandidat und Außenminister Frank-Walter Steinmeier positiv. Er hob hervor, dass der Vertrag in vollem Umfang mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) erklärte, dass die Beteiligungsrechte des Bundestages in Europa-Angelegenheiten verstärkt werden müssten.

Die Grünen werteten den Richterspruch als "Erfolg für die parlamentarische Demokratie", wie Fraktionschefin Renate Künast sagte. Die Linke betonte hingegen, das Bundesverfassungsgericht habe allen anderen politischen Parteien eine "demokratische Nachhilfestunde" erteilt. Der FDP-Außenpolitiker Werner Hoyer plädierte dafür, dass der Bundestag nun fraktionsübergreifend die notwendigen Nachbesserungen auf den Weg bringen solle.

Der Zweite Senat gab mit seinem Urteil mehreren Verfassungsbeschwerden teilweise statt. Geklagt hatten neben Gauweiler eine Gruppe um den Ex-Europaparlamentarier Franz Ludwig Graf von Stauffenberg (CSU) sowie die Linksfraktion und Klaus Buchner, Vorsitzender der Ökologisch-Demokratischen Partei.