Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen – hier vergangene Woche im Bundestag – verpasst der Bundeswehr neue Richtlinien für den Umgang mit Deutschlands militärischer Vergangenheit. Foto: dpa

Erst hat Ursula von der Leyen die Bundeswehr unter Generalverdacht gestellt, ein Hort des Ewiggestrigen zu sein. Jetzt setzt die Verteidigungsministerin einen Traditionserlass in Kraft, der überzeugt. Der hilft erst mal ihr selber, meint StN-Chefredakteur Christoph Reisinger.

Stuttgart. - Das muss man ihr lassen: Mit dem neuen Traditionserlass für die Bundeswehr hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Kurve gerade noch gekriegt. Mehr noch, was sie der Truppe verordnet, lässt sich als erste vertrauensbildende Maßnahme ihrer zweiten Amtszeit lesen.

Unheilvoller Hang zum Ewiggestrigen

Die war fällig. Schließlich ist der Impuls, den Traditionserlass neu zu fassen, ja nicht ausgeruhter Betrachtung der seit 36 Jahren geltenden Vorschrift entsprungen. Vielmehr attestierte von der Leyen der von ihr geführten Bundeswehr generelle Haltungsprobleme und einen unheilvollen Hang zum Ewiggestrigen. Als sich vermeintliche Beweise für diese ebenso steile wie irrige These in heiße Luft auflösten, ließ von der Leyen die Kasernen nach Wehrmacht-Andenken flöhen. In der Hoffnung, irgendwas bleibe hängen.

Kein Wunder, dass das ihrem Ansehen schwer geschadet hat. Zu offensichtlich waren die Plausibilitäts- und Glaubwürdigkeitslücken, die der bilderstürmerische Umgang der Ministerin und eines Teils der militärischen Führungsspitze mit dem Andenken an deutsche Militärgeschichte aufriss. Plötzlich sollte sich die Bundeswehr für diejenigen schämen, die diese Armee aufgebaut haben und vorher in der Wehrmacht gedient hatten.

Das Signal an jeden aktuell dienenden Soldaten war: Wer so mit dem Andenken an frühere Soldaten umgeht, von denen sich die wenigsten ihr Schicksal ausgesucht haben, der wird auch mit meinem so verfahren, wenn es politisch gerade passt. Vertrauensbildung geht anders.

Mehr als ein Akt der Selbstdarstellung

Dass von der Leyen aus dieser selbst gestellten Falle nun ein gutes Stück wieder raus ist, liegt daran: Die Entwicklung des neuen Erlasses ließ Platz für mehr als die Selbstdarstellung der Ministerin. Vernünftigerweise kamen zahlreiche Soldaten aller Dienstgradgruppen und zivile Mitarbeiter zu Wort. Wissenschaftliche Expertise fand Gehör.

Und siehe da – das Ergebnis überzeugt. Dass sich der neue Traditionserlass viel stärker als der Vorgänger von 1982 auf die Geschichte der Bundeswehr bezieht, ist logisch. Den harten Trennstrich zu den Institutionen Wehrmacht und Nationale Volksarmee der DDR wird jeder Demokrat begrüßen. Vor allem weil der Erlass – entgegen anfänglichen Einlassungen der Ministerin und einiger Generäle – die Institutionen, aber nicht automatisch alle Männer für traditionsunwürdig erklärt, die in ihnen gedient haben. Ein weiteres Plus: Deutsche Militärgeschichte wird nun doch nicht auf eine angeblich zu verklärende Bundeswehr-Historie und auf eine davon abzugrenzende Wehrmacht- und NVA-Vergangenheit reduziert. Was unhaltbar und unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten lächerlich wäre.

Respekt vor der Tapferkeit

Bei allem verdienten Lob sei nicht vergessen: Der beste Traditionserlass wird nur so gut sein wie die, die ihn anwenden. Der frühere Marine-Inspekteur Hans-Rudolf Böhmer hat das auf die griffige Formel gebracht: Sein Respekt vor der Tapferkeit und den nautischen Fähigkeiten vieler Marineoffiziere der Wehrmacht sei groß – „aber als einen Soldaten, der zur Verteidigung von Freiheit und Grundgesetz angetreten ist, trennen mich Welten von denen, die auf einen verbrecherischen Führer vereidigt waren und ihm aus Überzeugung oder blind gefolgt sind“.

Diese Haltung findet sich schon im alten Traditionserlass, nun akzentuiert auch im neuen. Sie vorzuleben, obliegt allen Offizieren und Unteroffizieren der Bundeswehr. Aufgabe der politischen Führung ist es, sie darin zu bestärken, nicht sie durch offen zur Schau getragenes Misstrauen zu schwächen. Von der Leyen hat jetzt wieder Gelegenheit dazu.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de