Zum ersten, zum zweiten und zum dritten: Wer will, kann bei der Kofferversteigerung am Flughafen ein Schnäppchen machen. Foto: Lichtgut - Oliver Willikonsky

Herrenlose Gegenstände, die am Stuttgarter Flughafen zurückgelassen wurden, kommen einmal im Jahr unter den Hammer. Da wollte sich die Redaktion nicht zweimal bitten lassen und steigerte mit.

Stuttgart - In Terminal 3 hat sich eine Menschenmenge gebildet. Alle Augen sind auf Ferdinand Eppli gerichtet. Er steht auf einer kleinen Bühne, in der Hand einen Auktionshammer, und preist einen Koffer an, als handle es sich um einen verschollenen Schatz. Insgesamt kommen bei der alljährlichen Kofferversteigerung am Sonntag 30 Gepäckstücke unter den Hammer. Die Bieter geben ihre Gebote mit kleinen Kärtchen ab. Keiner von ihnen kennt den Inhalt des Koffers, für den er bietet, und niemand weiß, was die gebrauchten Stücke wert sind. Trotzdem steigen die Gebote rasant. Erstes Auktionsgut: ein eleganter Koffer zum Nachziehen, wie ihn Geschäftsleute oft dabeihaben. In weniger als einer Minute schießen die Gebote über 200 Euro. Am Ende beträgt der Kaufpreis 340 Euro.

Was die Bieter antreibt, ist die Freude am Unbekannten. Es ist wie ein Glückspiel. Vielleicht findet man ja dicke Briefumschläge voller Geldscheine oder wertvollen Schmuck. Zumindest eine teure Kamera könnte für den mutigen Bieter rausspringen. Aber egal, ob Schmutzwäsche oder Wertgegenstand: In jedem Fall dürfen die ursprünglichen Besitzer nicht auffindbar sein. Wenn die herrenlosen Koffer gefunden werden, versuchen das Flughafenpersonal und die Fluglinien zu ermitteln, wem sie gehören. Oft gelingt das über Namensschilder, Visitenkarten im Innern oder über die Registrierung, mit denen die Fluggesellschaften das Gepäck verfolgen. Reicht das alles nicht, lagert der Flughafen die gestrandeten Koffer mindestens ein Jahr lang, bevor sie dann unter den Hammer kommen.

Die Gepäckstücke werden vom Zoll geprüft, bevor sie unter den Hammer kommen

Damit keine Koffer mit gefährlichem oder illegalem Inhalt bei der Auktion unter den Hammer kommen, werden alle Gepäckstücke vom Zoll gefilzt. In der kleinen Ausstellung im Eingangsbereich des Flughafens kann man sich ein Bild davon machen, was die Beamten dabei – aber auch bei regulären Überprüfungen – alles finden: lange Messer, riesige Vogeleier, Gürtel und Stiefel aus dem Leder geschützter Tierarten. Abgesehen davon lassen sie die Koffer aber so, wie sie waren. Das bedeutet, dass sie eventuelle Wertgegenstände wieder zurücklegen. Aber eben auch angefangene Wurstbrote. Bei jedem ersteigerten Koffer, den man öffnet, schwingt das Risiko mit, dass man auf den lange verschimmelten Reiseproviant des Vorbesitzers stößt. Der Nervenkitzel hat uns gepackt, wir wollen auch einen Koffer für die Redaktion unserer Zeitung ersteigern.

Wir entscheiden uns für eine kleine Reisetasche. Sie kommt sehr unauffällig daher, deswegen kriegen wir den Zuschlag schon für 130 Euro. Gezahlt wird bar auf die Hand, dann wechselt die Tasche den Besitzer. Sie ist ein wenig abgenutzt. Als Erkennungsmerkmal hat der ehemalige Besitzer einen geflochtenen Faden an einen Reißverschluss geknotet. Als wir die Tasche zum ersten Mal öffnen, bildet sich sofort eine Gruppe von Schaulustigen, die auch einen Blick auf ihr Innenleben erhaschen wollen. Der erhoffte Hauptgewinn bleibt aber aus. Die Reisetasche hat wohl einer älteren Dame gehört. Dafür sprechen zumindest die langen, schlichten Röcke. Daneben eine Bluse, Plastikblumen und ein Windlicht. Obenauf liegen zwei große Tischdecken aus Plastik. Der Höhepunkt sind mehrere Tüten mit Süßigkeiten, die aber direkt in den Mülleimer wandern – schließlich liegen sie schon mindestens ein Jahr in dieser Tasche.

Der Erlös der Versteigerung wird für wohltätige Zwecke gespendet

Auch in den anderen Koffern ist vor allem Kleidung, niemand jubelt über das große Geld. Verdient also vor allem der Flughafen an der Aktion? Ganz im Gegenteil: Der Erlös in Höhe von 9000 Euro wird für wohltätige Zwecke gespendet. In diesem Jahr geht das Geld an den Verein „Frauen helfen Frauen“, der unter anderem ein Frauenhaus für Frauen unterhält, die unter häuslicher Gewalt leiden, sowie an die Fildertafel. Wahrscheinlich trägt der Benefiz-Charakter dazu bei, dass die Gebote so schnell in die Höhe gehen. Das höchste Gebot, an das sich Auktionator Ferdinand Eppli erinnert, betrug 600 Euro. Ob sich das für den Käufer damals gelohnt hat, weiß er nicht mehr. Natürlich steht hier der Spaß im Vordergrund. Aber immer wieder finden sich auch teure elektronische Geräte in den Koffern. Das wahrscheinlich wertvollste war eine komplette Taucherausrüstung. Eppli erzählt gerne die Geschichte eines Musikers, der eine hochwertige, afrikanische Trommel ersteigert hat. „Der Mann ist selber Trommler und hat an der Form erkannt, was in dem Koffer ist.“

Nach einer halben Stunde ist die Auktion beendet. Später am Tag wird es eine zweite geben. Jetzt bilden sich aber überall im Terminal Grüppchen von Menschen, die sich über Taschen und Koffer beugen. Ein Pärchen hat 300 Euro für einen lila Rollkoffer hingelegt. Jetzt sichtet sie die Ausbeute, während er lachend zusieht. Eine Jeans könnte der Nichte passen, ein Glas Nougatcreme wird wie der Hauptpreis bejubelt. Das meiste werden sie wahrscheinlich in die Kleidertonne tun. Da der Millionengewinn ausbleibt, wollen die beiden nächstes Jahr nicht wiederkommen. „Den Spaß heute war es aber trotzdem wert“, urteilt sie.