Hoher Besuch in Stuttgart: „Ein würdevoller Greis mit langem weißen Bart, mit hoher Stirn und mit den scharf geschnittenen edlen Zügen eines vornehmen Orientalen“, schreibt das „Neue Tagblatt“ über die Ankunft von Abdu’l-Bahá (Mitte), dem Sohn des Gottesoffenbarers Bahá’u’lláhs in Zuffenhausen am 26. April 1913 Foto: Sabet

Wie lässt sich die Spirale aus Hass, Gewalt und anschließender Trauer durchbrechen? Auf diese Frage hat Hafez Sabet von der Religionsgemeinschaft der Bahá’í nach dem antisemitischen Anschlag in Halle eine Antwort. Sie ist einfach und kompliziert zugleich.

Stuttgart - Wann endet diese Spirale aus Hass, Gewalt und anschließender Trauer? Erst vor Kurzem – nach dem antisemitischen Terrorakt in Halle – hat sich das Hafez Sabet wieder gefragt. Irgendwann muss doch Schluss sein. Obwohl es natürlich gut und richtig sei, auf diese erschütternden Taten mit öffentlichen Kundgebungen, Solidarität und Kerzen zu antworten, am Ende ändere man so nichts in den Köpfen der Rassisten und Extremisten. „Was also tun?“, fragt sich Sabet, das Mitglied des Geistigen Rates der Religionsgemeinschaft Bahá’í.

Seine Antwort ist gleichzeitig einfach und kompliziert: Er fordert einen kulturellen und geistigen Wandel. Denn seit der Aufklärung gilt das Postulat der gegenseitigen Toleranz als die Ultima Ratio für Frieden unter den Völkern und Religionen. „Aber Toleranz, was eigentlich Duldung bedeutet, geht nicht weit genug“, sagt Sabet. „Sie ist auf Zeit und auf Bewährung ausgesprochen.“ Daher fordert er im gegenseitigen Umgang mit anders Denkenden, anders Lebenden und anders Glaubenden vollkommene Akzeptanz. Nur so könne ein friedliches Miteinander gedeihen, nur so könne der Zustand der Duldung nicht bei einzelnen Radikalen zerbrechen.

Tolerante Abgrenzung als Ausgrenzung

Natürlich weiß Sabet, dass sich die meisten Religionen damit schwertun. In ihrer toleranten Abgrenzung liegt bereits der Keim der Ausgrenzung. Und damit hat er über einen Umweg das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft der Bahá’í umrissen, die seit zwei Jahren auch im Rat der Religionen vertreten ist.

„Wir glauben an die Einheit Gottes“, erklärt Sabet. „Dabei spielt es keine Rolle, welchen Namen er hat.“ Weiter sagt er: „Wir glauben, dass alle Religionen vom gleichen Gott reden und alle Religionen die Wahrheit Gottes verkünden.“ Kurz gesagt: Es gibt eine universelle Wahrheit und Spiritualität – nur die Ausprägungen in den verschiedenen Kulturen und Sozialisierungen unterscheiden sich. Sabet: „Ob Jesus, Mohamed, Krishna, Bahá’u’lláh oder Buddha: Sie alle verkünden die gleiche Wahrheit.“

Sabet weiß, dass manche Anhänger der Buchreligionen das nicht teilen. Ein christlicher Pfarrer meinte einst zu ihm, das sei doch ein „Patchwork-Glauben“- nichts Halbes, nichts Ganzes. Doch in der spirituellen Welt findet diese Glaubensrichtung seit knapp 200 Jahren immer mehr Anhänger. Auch in Stuttgart, wo die Gemeinde den 200. Jahrestages der Geburt des Báb feiert. Der Báb ist der Herold des Bahá’í-Glaubens. 1844 verkündet er in Shiraz (Persien) als junger Kaufmann mit bürgerlichem Namen Siyyid ‘Alí-Muhammad, dass er Träger einer neuen Offenbarung Gottes sei. Siyyid ‘Alí-Muhammad bezeichnete sich daher selbst als der „Báb“, (arabisch: das Tor) und spricht davon, dass ein zweiter Gottesoffenbarer in Erscheinung treten werde, den die Bahá’í als Bahá’u’lláh (Ehrentitel, deutsch: „Herrlichkeit Gottes“) bezeichnen. Der Zweck seiner Offenbarung ist weltweit die Menschheit zu Gerechtigkeit, Einheit und Frieden zu führen.

Der erste deutsche Bahá’í – ein Stuttgarter Zahnarzt

Womit der Bogen zu Stuttgart geschlagen ist. Denn im Jahr 1905 kehrt Edwin Fischer aus den USA als ein Anhänger Bahá’u’lláhs in seine Heimat zurück. Damit ist der Stuttgarter Zahnarzt, der an der Königstraße eine Praxis hatte, der erste deutsche Bahá’í. So kommt es auch, dass 1913 Abdu’l-Bahá, der Sohn des Gottesoffenbarers Bahá’u’lláhs in Zuffenhausen (Friesenstraße 26) zu Besuch ist. Das Stuttgarter Neue Tagblatt schreibt dazu am 26. April: „Ein würdevoller Greis mit langem weißen Bart, mit hoher Stirn und mit den scharf geschnittenen edlen Zügen eines vornehmen Orientalen. Er sprach von Völkerfrieden, von der Solidarität aller Menschen, von dem Unsegen und der Gottwidrigkeit des Krieges.“

Eine Botschaft, die auch Hafez Sabet in sich trägt. Er glaubt an die Möglichkeit des friedvollen Miteinanders. Denn das Menschenbild des Bahá’í sei ein positives. „Zudem glauben wir, dass jeder Mensch und jede Religion entwicklungsfähig ist“, sagt er. Dass die Bahá’í in ihrem Denken von Beginn an, die Gleichberechtigung von Mann und Frau fordern und keine Priester, Rabbiner oder Mullahs haben, erwähnt er nur nebenbei. Ebenso, dass in den Häusern der Andacht aus der Baghavad Gita, der Bibel oder aus dem Koran gelesen werde. Wie sollte es auch anders sein, wenn alle Gottesoffenbarer im Weltenlauf dieselbe Wahrheit verkünden. Und damit fallen aus seiner Sicht alle Grenzen. Wenn alle eins und aus dem Einen sind, brauchen Menschen keine Toleranz mehr. Akzeptanz wird zum Normalzustand. „Und genau das ist unsere Aufgabe als Bahá’í“, sagt er, „die Einheit der Menschen zu vollenden.“