Ayla (links) und Kamil Ercan zeigen ein Foto ihrer Tochter Hilal Ercan, die seit dem 27. Januar 1999 vermisst wird. Foto: dpa

Vor 20 Jahren verschwand die damals zehnjährige Hilal Ercan aus Hamburg spurlos. Sie ist eine von fast 2000 Kindern und Jugendlichen, die in der Vermisstenstatistik des Bundeskriminalamtes erfasst sind.

Hamburg/Stuttgart - Zehn Jahre alt ist Hilal Ercan aus Hamburg-Lurup am 27. Januar 1999. Das türkische Mädchen hatte an jenem Tag ein gutes Zeugnis nach Hause gebracht. Der Vater erlaubte ihr, sich Süßigkeiten im Einkaufszentrum „Elbgaupassage“ zu kaufen. Seitdem ist Hilal verschwunden.

Anfangs sucht die Polizei intensiv nach ihr. Ohne Erfolg. Im September 2018 hatten Beamte der Ermittlergruppe 163 des Landeskriminalamtes (LKA) im Altonaer Volkspark nach Überresten des Kindes gesucht, dabei aber nichts entdeckt.

Polizei sucht mögliche Zeugen

Ein Zeuge hatte nach Angaben der Polizei auf eine Örtlichkeit verwiesen, die bereits 2005 als möglicher Ablageort der Leiche des Kindes galt. Damals hatte ein Tatverdächtiger gestanden, Hilal entführt und getötet zu haben. Er widerrief jedoch sein Geständnis.

„Wir bitten mögliche Zeugen, die sich bislang nicht bei uns gemeldet haben, weiterhin ausdrücklich darum, sich mit uns in Verbindung zu setzen“, sagte die zuständige Abteilungsleiterin im Landeskriminalamt, Inge Pape.

1964 ungeklärte Fälle in Deutschland

Mehr als 10 600 Menschen in Deutschland sind beim Bundeskriminalamt (BKA)als vermisst gemeldet (Stand: 1. Januar 2019). „In dieser Zahl sind sowohl Fälle enthalten, die sich innerhalb weniger Tage aufklären, als auch Vermisste, die bis zu 30 Jahren verschwunden sind“, erklärte das BKA.

Täglich werden in der Fahndungsdatei des BKA in Wiesbaden 200 bis 300 Fahndungen neu erfasst oder gelöscht. Die Polizei ist europaweit vernetzt: Europol, BKA und LKAs gehen jedem Hinweis nach.

„Erfahrungsgemäß erledigen sich 50 Prozent der Vermissten-Fälle innerhalb der ersten Woche“, hieß es beim BKA. Der Anteil der Menschen, die länger als ein Jahr vermisst werden, liegt lediglich bei drei Prozent. Knapp zwei Drittel aller Vermissten sind laut dem Bundeskriminalamt männlich.

In Deutschland werden vermisste Kinder und Jugendliche in der Vermisstenstatistik des BKA und der Kriminalämter der Länder (LKA) „Vermi/Utot“ („Vermisste/Unbekannte Tote“) erfasst. Insgesamt sind 1964 ungeklärte Fälle vermisster Kinder bis 13 Jahren erfasst (Stand 2018). Das bezieht sich auf die Jahre von 1951 bis heute.

„Vermisste, unbekannte Tote, unbekannte hilflose Personen“

In der BKA-Vermisstenstelle wird jedes Schicksal detailliert erfasst. „Mehr als die Hälfte dieser Kinder sind unbegleitete Flüchtlinge, gehören zu den sogenannten Dauerausreißern/Streunern oder wurden ihren Sorgeberechtigten entzogen.“ Bei dem verbleibenden Teil der vermissten Kinder, so das BKA, sei zu befürchten, dass sie „Opfer einer Straftat oder eines Unglücksfalls wurden, sich in einer Situation der Hilflosigkeit befinden oder nicht mehr am Leben sind“.

In der Polizeidienstvorschrift (PDV) 389 „Vermisste, unbekannte Tote, unbekannte hilflose Personen“ ist genau geregelt, wie bei Vermisstenmeldungen vorzugehen ist. Minderjährige dürfen demnach ihren Aufenthaltsort nicht selbst bestimmen. Bei ihnen wird grundsätzlich von einer Gefahr für Leib und Leben ausgegangen. Wenn erforderlich, läuft eine Großfahndung an.

„Age processing“

Reicht das Personal einer Dienststelle nicht aus, wird die Hilfe der Bereitschafts- und Bundespolizei angefordert. Hunderte Beamte durchkämmen dann die Gegend, in der ein Minderjähriger verloren gegangen ist oder vermutet wird.

Mit modernsten kriminologischen Methoden wird heute nach Vermissten gefahndet. Enorm belastend für viele Familien ist das „Age processing“, ein aus den USA stammendes Fahndungsverfahren: Fotos von dauerhaft vermissten Kindern werden am Computer an das tatsächliche Alter der Verschwundenen angepasst und so ein aktualisiertes Fahndungsfoto erstellt.

Die Eltern sehen ihr vermisstes Kind auf dem Bildschirm älter werden. Sollte das verschwundene Kind nach Jahren tatsächlich noch leben, hätte sich sein Aussehen frappierend verändert.

Was bleibt, ist nur die Erinnerung

Manchmal findet man die Leiche. Dann können die Angehörigen zumindest ihr Familienmitglied beerdigen und Abschied nehmen. Einige Vermisste tauchen aber nie wieder auf, weil sie in einem Baggersee ertrunken oder in einem Steinbruch verschüttet worden sind. Das Bundeskriminalamt schreibt: „Falls eine Vermisstensache nicht aufgeklärt wird, bleibt die Personenfahndung bis zu 30 Jahre bestehen.“ Danach bleibt nur noch die Erinnerung.