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Stuttgart soll fahrradfreundlicher, das Radwegenetz ausgebaut werden. Doch welchen Stellenwert Radler haben, zeigt sich im Winter: Selbst Hauptradrouten werden nur unzureichend geräumt – obwohl dort Tausende unterwegs sind.

Stuttgart - Radfahren im Winter – wer macht denn so was? Erstaunlich viele: Trotz Tiefkühltemperaturen registriert die Zählanlage am Mineralbad Leuze täglich bis zu 1500 Radler. „Und selbst am Sonntag, nach dem Eisregen, waren dort noch 150 Radfahrer unterwegs“, sagt Claus Köhnlein, Fahrradbeauftragter der Stadt. Nur: Der städtische Winterdienst lässt diese Verkehrsteilnehmer weitgehend im Schnee stehen. Nur 9,3 Kilometer separat verlaufende Radwege werden geräumt und gestreut.

Ein Bericht unserer Zeitung über den nicht geräumten Hauptradweg in der Böblinger Straße zwischen Kaltental und Vaihingen erweist sich als Griff in ein Wespennest. Der Streckenabschnitt gehört zur ersten großen Hauptradroute Stuttgarts, die von 2013 an quer durch die Stadt von Vaihingen bis Fellbach führen soll. Doch die aktuelle Streupflicht-Satzung der Stadt grenzt den für 150 000 Euro angelegten Kaltentaler Radweg aus: „Außerhalb bebauter Ortslage“ wird die Strecke sich selbst überlassen.

Tempo-30-Zonen werden meist nicht geräumt

„Eine Ausweitung ist aus finanziellen Gründen nicht machbar“, sagt Annette Hasselwander von der für den Räumdienst zuständigen AWS, der städtischen Abfallwirtschaft Stuttgart. Für die erste Stuttgarter Hauptradroute zwischen Vaihingen und Fellbach – diese ist 24 Kilometer lang – hat die AWS das schon ausgerechnet: Für einen Winterdienst auf der kompletten Strecke werden 113 000 Euro pro Jahr veranschlagt. Billiger wäre es, wenn die 6,3 Kilometer, die durch Tempo-30-Zonen verlaufen, ungeräumt bleiben würden. Dann wären es jährlich etwa 75 000 Euro.

„Die Tempo-30-Zonen sind in dieser Hinsicht ein gewisses Problem“, sagt der städtische Radbeauftragte Köhnlein. Dort wird meist nachrangig, beziehungsweise gar nicht geräumt, auch nicht für den Autoverkehr. „Hier müsste man private Unternehmen beauftragen“, sagt AWS-Sprecherin Hasselwander.

Fahrradschutzstreifen auf den Fahrbahnen können eine Lösung sein

Die AWS hat außerdem eine Rechnung aufgemacht für die Hauptradrouten, die bis 2020 fertiggestellt und in der ersten Streu-Kategorie auftauchen würden. Dabei handelt es sich um 140 Netz-Kilometer. „Bei Komplettbearbeitung würden sich Gesamtkosten von 660 000 Euro ergeben“, sagt Hasselwander. Bei Verzicht aufs Streuen in den Tempo-30-Zonen könnten die Kosten auf 440 000 Euro reduziert werden.

Ob das dem Gemeinderat für den guten Zweck wert ist, wenn im Herbst 2013 der nächste Doppelhaushalt verhandelt werden soll? Radbeauftragter Köhnlein rechnet – und setzt auf die Variante des sogenannten Fahrradschutzstreifens auf den Fahrbahnen. Denn wenn der Radweg nicht baulich von der Straße abgetrennt ist, „ist der Winterdienst automatisch einbezogen“, so Köhnlein. Außerdem sei ein Radweg auf der Straße sicherer, weil Radler damit stets im Blickfeld der Autofahrer unterwegs seien. Das große Ziel sei es, in den nächsten Jahren insgesamt 36 Hauptradrouten mit einer Gesamtlänge von 340 Kilometern aufzubauen. „Und die sollten dann auch weitgehend wintertauglich sein“, so Köhnlein.

Einen städtischen Winterdienst für ausgewiesene Radwege gibt es bisher nur auf 9,3 Kilometern. Längster Abschnitt ist der Schillerweg zwischen Unter- und Obertürkheim mit 2,2 Kilometern. Auf der Liste stehen auch der Geh- und Radweg in der Böblinger-/Burgstallstraße bis zur Seilbahn im Stuttgarter Süden auf 1,1 Kilometer und ein 800 Meter langes Stück an der Heilbronner Straße zwischen Pragsattel und Krailenshaldenstraße in Feuerbach.

Die meisten sind es freilich nicht. Das gilt für die Strecke Kaltental–Vaihingen, aber auch für die Verbindung Vaihingen–Möhringen. Auf der Vaihinger Straße ist die Lage weitaus komplizierter. Der Gehweg, der von Radfahrern benutzt werden darf, wird nur bis zu den Bürogebäuden von der Stadt geräumt. „Danach sind für das Räumen die Firmen als Privatanlieger zuständig“, stellt AWS-Sprecherin Hasselwander fest. Für einen betroffenen Radfahrer ist auch dieser Fall ein Ärgernis: „Eine viel benutzte Radroute sollte einfach geräumt sein“, sagt er. „Der Verweis auf verschiedene Zuständigkeiten hilft einem Betroffenen auf der Strecke nicht weiter.“

Wer den Radverkehr fördern wolle, dürfe den Winterdienst nicht außer Betracht lassen, sagt Erich Kimmich, Landesgeschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Tatsächlich seien viele Menschen mit dem Fahrrad zur Arbeit unterwegs, auch im Winter. „Wie viele Radler aus Kornwestheim nach Feuerbach und Zuffenhausen unterwegs sind, hat uns selbst überrascht“, sagt Kimmich.

Was sagen Stuttgarter Radfahrer? Wo gibt es problematische und verbesserungswürdige Radwege? Hinweise werden erbeten per E-Mail an lokales@stn.zgs.de