Durch diese Tür gab es wegen der Müllstapel kein Durchkommen mehr. Foto: 7aktuell.de

Bei einer Vermisstensuche stößt die Polizei auf ein Messie-Lager in einem Mehrfamilienhaus. Der spektakuläre Fall wirft ein Schlaglicht auf erschütternde Zustände in Stuttgarter Wohnhäusern.

Stuttgart - Gesucht wurde ein vermeintlich verschollener Mieter, gefunden haben die Einsatzkräfte nichts als Müll. Das ist die ernüchternde Bilanz einer Durchsuchung eines Wohnhauses in der Johannesstraße im Stuttgarter Westen. Ein sogenannter Messie, ein krankhafter (Müll-)Sammler, hatte die Erdgeschossräume dort bis zur Decke zugestapelt. Der Fall ist krass, aber gar nicht so selten in der Stadt, in der die Kehrwoche hochgehalten wird.

„Wir haben in Städten einen hohen Anteil von sogenannten Sleepern unter den Messies“, sagt Jürgen Thomas von Hera, einer Abteilung der Caritas, die Betroffenen unter die Arme greift. „Die Leute sammeln und horten oft über Jahre und Jahrzehnte, und die Bescherung wird erst sichtbar, wenn es einen Rohrbruch gegeben hat oder der Schornsteinfeger Zugang zum Kamin braucht.“ Anders bei den sogenannten Nasssammlern. Thomas: „Da wird das Problem vorher schon ruchbar oder durch Ungezieferbefall sichtbar.“

Mehr Verwahrlosung bei Hochbetagten

Durchschnittlich 22 Haushalte berät Hera jährlich in Stuttgart. Die Klienten sind Messies, die wegen Störung des Hausfriedens oder Belästigung der Nachbarschaft vom Verlust ihrer Wohnung bedroht waren. In solchen Fällen wird Hera von der Fachstelle für Wohnungsnotfallhilfe beauftragt und bezahlt. Oder es sind Klienten, die dem Rat von Angehörigen folgen und gemeinsam mit dem Hera-Team Ordnung schaffen.

Während die Zahl der betreuten Messies relativ konstant blieb, steigt die Zahl der Verwahrlosung unter Hochaltrigen an. „Seit 2016 haben wir schon 20 Wohnungen aufgeräumt, und es werden mehr“, sagt Dani Indlekofer, Einsatzleiterin der ehrenamtlich tätigen Nachbarschaftshilfe West. Viele Hochbetagte nähmen die Hilfe an, wenn sie so den Umzug in ein Heim verhindern könnten, andere, weil sie es ohne Aufzug aus dem vierten Stock nicht mehr zum Mülleimer im Hinterhof schafften. „Es kam schon vor, dass eine Bewohnerin nicht mehr wusste, dass sie eine Katze hat. Die lag mumifiziert unterm Bett“, so Indlekofer. In drastischen Fällen zögen sich Kotspuren durch Küche und Wohnraum, häufig stapelten sich Aluschalen von Fertigmahlzeiten sowie Brotreste in den Räumen. Eine Stuttgarterin berichtet, sie kaufe regelmäßig für ihre hochbetagte Nachbarin ein und wünsche sich, jemand würde mal beim Putzen und Aufräumen helfen. „Das lehnt sie jedoch kategorisch ab, in jeder Form.“

Rätselhafter Alarm

Anders der Fall in der Johannesstraße. Dort deutet vieles darauf hin, dass ein Messie ein Depot eingerichtet hat. Den Mieter kennen die Bewohner eher als Phantom. „Man sieht ihn wenig, aber er wirkt sehr seriös“, sagt einer, der seit 30 Jahren in dem Mehrfamilienhaus im Stuttgarter Westen lebt. Wie ein Geist suche er den Keller des Hauses in der Johannesstraße auf. „Der Mann kommt immer nur nachts hierher“, sagt ein anderer. Müll, kubikmeterweise, ist bei einem Polizeieinsatz zu Wochenbeginn aus dem Erdgeschoss zutage gefördert worden. Nicht minder rätselhaft als das Phantom sind die Umstände der Alarmierung.

Für die Beamten war’s erst ein Vermisstenfall. „Eine Vermieterin hatte am Montag gegen 16 Uhr angerufen und Sorgen über ihren Mieter geäußert“, sagt Polizeisprecherin Elena Marino. Der Briefkasten sei überfüllt, die Miete nicht gezahlt – ob da was passiert sei? Die Polizei rückte an und ließ sich mithilfe der Feuerwehr die Tür öffnen.

Die Beamten stießen auf komplett vermüllte Räumlichkeiten – und holten die Feuerwehr zu Hilfe: „Wir mussten die Müllberge abtragen, um sicherzugehen, dass sich niemand in den Räumen befindet“, sagt Polizeisprecherin Marino. Geschützt mit Atemmasken und Ganzkörperanzügen durchkämmten die Wehrmänner den Unrat aus alten Zeitungen, Pizzakartons und Möbelresten. Um 20.30 Uhr wurde die Aktion abgebrochen. Es gab niemanden, der zu retten oder zu bergen gewesen wäre.

Müllberge im Hinterhof

Offensichtlich war der Anruf bei der Polizei ein abgekartetes Spiel. Eine Vermieterin ist nicht auszumachen, lediglich ein Hauseigentümer. Dass die Räume nicht bewohnt gewesen seien, wisse jeder, sagt ein Hausbewohner. Der Vermieter, der auf unsere Anfragen nicht antwortet, lässt auf einem Aushang wissen, dass die Tür zum Hinterhof ein neues Schloss und er „für die Hoffläche das alleinige Nutzungsrecht“ habe. Wo der Mieter nun steckt, das ist kein Fall mehr für die Polizei. „Vor dem Lagerraum hatte er eine andere Wohnung hier im Haus, die musste er räumen“, behauptet ein Nachbar. Ein Garagenbesitzer sagt, hier stehe schon seit einem Jahr alles voller Müll. Der Müll aus dem Erdgeschoss lagert dort jetzt zudem. Der Hausverwalter, dessen Büro schräg gegenüber liegt, sagt: „Den Müll wegzuräumen ist Sache des Eigentümers.“